Luigi Nonos "Intolleranza 1960" in Salzburg

Brutalität und ein Publikum, das sich nicht angesprochen fühlt

07:37 Minuten
Eine Schwarze Frau hält ihre Hände vors Gesicht und blickt durch die gestreckten Finger in die Kamera. Der Hintergrund und die Umgebung ist sehr dunkel.
"Intolleranza"-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen. Regisseur Jan Lauwers erzählt eine Migrations- und Flüchtlingsgeschichte von heute. © © SF / Maarten Vanden Abeele
Christoph Schmitz im Gespräch mit Carsten Beyer · 16.08.2021
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Luigi Nonos "Intolleranza 1960" hat bei den Salzburger Festspielen Premiere gefeiert. Damit steht ein Werk auf dem Programm eines der teuersten Festivals, in dem Klassenkampf und Revolution verhandelt werden. Auch Migration ist ein großes Thema.
Luigi Nonos "Intolleranza 1960" hat bei den Salzburger Festspielen in der Felsenreitschule Premiere gefeiert. Obwohl das 1960 uraufgeführte Werk für ein atonales Stück relativ häufig gespielt wird, mag die Entscheidung der Festspielleitung für das Werk manchen Beobachter überrascht haben, schließlich gibt es ganz explizite antikapitalistische, klassenkämpferische und sogar revolutionäre Untertöne – und das für ein Publikum der Reichen und Schönen bei einem Festival, das mit die höchsten Ticketpreise aufruft.

Auswanderergeschichte

Es geht in Nonos Werk um eine Auswanderergeschichte in den 1950er-Jahren, wie unser Kritiker Christoph Schmitz erläutert: "Ein Auswanderer kommt irgendwo aus Südeuropa nach Nordeuropa als Bergarbeiter; er findet Arbeit, wohl in Belgien, hat aber großes Heimweh; er will nach Hause zurück, gerät dabei zufällig in eine linke Friedensdemo, wird von der Polizei verhaftet, geschlagen; nun will er statt zurück in die Heimat lieber die Freiheit wieder: Er bricht aus dem Gefängnis aus, entwickelt revolutionäre Ideen, am Ende steht er vor einem Hochwasser am Grenzfluss und geht unter", fasst Schmitz die Handlung zusammen: "Hier werden also auch heute noch aktuelle Themen wie Migration, Umweltkatastrophe und Einwanderungspolitik verhandelt."
Musikalisch sei es im Grunde ein riesiger, schriller Aufschrei, sagt Schmitz: "Sehr schmerzhaft, wirklich laut. Es tut manchmal in den Ohren weh." Fünf große Trommeln und vier Pauken allein; obwohl schon 60 Jahre alt, sei das Werk noch heute schockierend und irritierend: "Mit einer ungeschminkten Gewalt ist hier komponiert worden", bringt es Schmitz auf den Punkt.
Ingo Metzmacher und die Wiener Philharmoniker führten sehr klar und sicher durch die zerklüftete, abgründige und gefährliche Partitur. "Sie entfesseln vollkommen ungeschminkt die Klangwelt des Terrors", urteilt Schmitz. Es gebe aber auch kleine Momente von Stille und Zärtlichkeit.

Tänzer statt Kulisse

Regisseur Jan Lauwers erzählt eine Migrations- und Flüchtlingsgeschichte von heute mit Massen, die herumströmen. Statt Kulisse gebe es Tanz: "Die Tänzer sind als Bergwerksarbeiter kostümiert, als Arbeiter, als zerlumpte Arbeitsmigranten, Menschen auf der Flucht, aber auch als Militärs, Polizei – unsere Heute-Zeit."

Die Tänzer mischten sich unter die Chorsänger und Solisten und integrieren alle Beteiligten in diesen Tanz, alles sei ständig in Bewegung, auf der Flucht, auf der Suche, auf Demos, vertrieben, gefangengenommen. "Diese Brutalität der Musik ist in Bewegungsgewalt übertragen worden", erklärt unser Kritiker.
Auf der Bühne befinden sich dicht gedrängt viele Menschen.
Die Tänzer werden zur Kulisse bei der Inszenierung von Jan Lauwers.© © SF / Maarten Vanden Abeele
Die Gewalt, das Leiden und die Unterdrückung, die Geschichte der Migranten wirkten durch den Tanz etwas stilisiert, so dass der brutale Realismus von Luigi Nono etwas eingedampft sei, findet Schmitz, Allerdings gebe es eine Folterszene, wo ein Opfer "I can’t breathe" rufe wie der Amerikaner George Floyd unter dem Knie des Polizisten: "So ein paar aktuelle Bezüge gibt es also dann schon noch."
"Das Publikum war mäßig begeistert", sagt Schmitz zu der Reaktion der Besucher auf diese "Intolleranza 1960". "Es fühlte sich auch nicht so ganz angesprochen", vermutet unser Kritiker. "Es kamen ein paar kleine Buhs gegen Jan Lauwers, aber ansonsten wurde das Recht zufrieden aufgenommen."
(mfu)
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