Luftfahrt in Turbulenzen

Mit dem Flieger durch die Klimakrise

30:17 Minuten
Flugzeuge in der Warteschlange vor dem Start auf dem Flughafen Frankfurt Main.
Fliegen ist eine Wachstumsbranche: Allein Airbus rechnet mit einer Verdoppelung der globalen Flugzeugflotte bis 2036. © imago/Udo Kröner
Von Jan-Uwe Stahr · 07.01.2020
Audio herunterladen
Der Flugverkehr verursacht erhebliche CO2-Emissionen und eigentlich sollten die Zeichen auf Schubumkehr stehen. Die Branche rechnet allerdings mit noch mehr Passagieren. Deshalb setzt man lieber auf "Ablasszahlungen" und technische Lösungen.
Berlin-Tegel, Otto-Lilienthal-Flughafen: Auf der Besucherterrasse ist es kalt und windig. Trotzdem stehen dort etwa zehn Leute und beobachten das Geschehen auf der Startbahn: Plane Spotter! Einige haben Kameras mit großen Teleobjektiven dabei - auch Jonas -und Jonathan.
Jonathan: "Aus Amman kommt eine A 320 von Royal Jordanien. Der kommt auch öfters die Woche nach Tegel."
Jonas: "Eines der wenigen Flugzeuge mit schwarzer Lackierung, das ist eigentlich ganz schön."
Jonas: "Hier vor uns startet der A 321 von der Lufthansa Richtung München. Sind, glaube ich, zirka bis zu 220 Leute, die da reinpassen. Also eine ganze Menge Urlauber und Geschäftsreisende."

Zwei- bis dreimal im Monat kommen die beiden Schüler hier raus. Sie kennen jeden Maschinentyp, sind begeistert von Fliegern und Luftfahrt.
Jonathan: "Jetzt startet hier ein Easyjet A 320 nach Faro. Wahrscheinlich mit Urlaubsgästen, die jetzt dort schön die Sonne genießen.
Jonathan: "Schön warm dort in Südportugal…"
Abheben, mit dem Flugzeug. In den Urlaub, zum Geschäftstermin, zur Familie. Interkontinental, kontinental, national – weltweit werden über vier Milliarden Fluggäste pro Jahr durch die Luft bewegt. Dazu kommen schätzungsweise 50 Millionen Tonnen Luftfracht und eine unbekannte Zahl an Militärflügen. Ohne Luftfahrt ist die Welt schon lange nicht mehr vorstellbar. Und das Fluggeschäft ist noch immer eine Wachstumsbranche: Airbus rechnet mit einer Verdoppelung der globalen Flugzeugflotte bis 2036. Doch es gibt auch eine andere Entwicklung. Sie bringt die Luftfahrt in Gefahr – der Klimawandel:

Klarluftturbulenzen nehmen zu

Panische Fluggäste, umherfliegende Gepäckstücke, strauchelndes Kabinenpersonal – auf YouTube finden sich eine Vielzahl von Handy-Aufnahmen sogenannter "Clean Air Turbulences", kurz C-A-T. So werden schwere Turbulenzen bezeichnet, die Flugzeuge plötzlich – bei scheinbar bestem Flugwetter – erheblich durchrütteln können.


Die C-A-Ts sind Folge eines zunehmend schlingernden Jetstreams. Diese atmosphärischen Starkwindbänder auf der Nordhalbkugel verändern sich aufgrund der dramatisch ansteigenden Temperaturen am Nordpol. Klimaforscher kündigen deshalb eine starke Zunahme dieser Turbulenzen an. Auch die europäische Luftfahrtbehörde Eurocontrol zeigt sich besorgt über den Klimawandel: Überflutete Flughäfen, Stürme und Gewitter führten zu immer mehr Verspätungen, Ausfällen und unkalkulierbaren wirtschaftlichen Risiken im Flugverkehr. Der Luftverkehr ist nicht nur betroffen von der heraufziehenden Klimakrise, sondern er ist einer der Mitverursacher. Auch das erzeugt Turbulenzen – am Boden.

Mit dem Flieger in die Klimakatastrophe? Die Zeit rast! Sieben Jahre, elf Monate und wenige Tage bleiben noch.
Knopf: "Das ist umgerechnet die Zeit, die wir noch haben an CO2-Budget. Wenn wir so weitermachen wie bisher."
Sagt Brigitte Knopf vom Berliner Mercator Institut, einem Klimapolitik-Thinktank für Wirtschaft und Politik. Die Welt müsse runter von ihren Kohlendioxidemissionen. Schnell und radikal. Sonst würden wir ungebremst in die globale Katastrophe steuern. Es geht um die Begrenzung der Erderwärmung auf durchschnittlich 1,5 Grad Celsius, wie sie der IPCC, der Weltklimarat, fordert.
Knopf: "Früher hat man immer gesagt: bis 2050 muss man 80 Prozent reduzieren, aber das war noch für 2 Grad, das war sozusagen recht positiv gerechnet. Und was wir jetzt wissen, dass wirklich alle auf 0 müssen, alle Sektoren und da gehört natürlich auch der Flugverkehr dazu."
Die Luftfahrt trage bisher nur 2,5 Prozent zu den globalen CO2-Emissionen bei, hört und liest man immer wieder. Doch bisher fliegt erst ein winziger Bruchteil der Menschheit. Und schon jetzt gilt:
Turbulenzen in der Luft und Blick aus einem Flugzeug.
Stürme und Gewitter führen verstärkt mit zu Verspätungen im Luftverkehr.© imago/Photocase
"Wenn der Flugverkehr ein Land wäre, dann wäre er der sechstgrößte Emittent. Sogar noch vor Deutschland. Also das ist wirklich ein großer Brocken, an den man auch ran muss", sagt Klimaforscherin Knopf.

Luftfahrt – das internationale Geschäft

Das Fliegen muss grüner werden, da sind sich alle einig: die Klimaforscher, die Bevölkerung, die Politik – und auch die Industrie. Die Frage ist nur wie? Und wie schnell geht das? Das Thema ist komplex: Die Luftfahrt ist ein internationales Geschäft und damit schwer zu regulieren. Eine globalisierte Welt ist ohne Luftverkehr undenkbar. Immer mehr Menschen wollen fliegen, auch in Asien, Südamerika und Afrika. Die Branche hofft auf den technologischen Fortschritt. Die Flugzeuge von morgen müssen sparsamer werden und leiser, ihre Antriebe klimaneutral. Die Herausforderungen sind riesig.
Wiedemann: "An der Wand haben wir jetzt hier den Nachbau des Lilienthal-Gleiters, und zwar im Original. Die gesamten Materialien sind wieder so rekonstruiert worden, wie sie auch im eigentlichen Lilienthal-Gleiter verbaut waren."
Mit dem Mecklenburger Flugpionier Lilienthal ist Prof. Martin Wiedemann eng verbunden. Wiedemann leitet das Braunschweiger Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt im Lilienthalhaus am Lilienthalplatz.
"Die bekannteste Entdeckung von ihm ist die Lilienthal-Polare. Das ist der Auftrieb über den Widerstands-Beiwert eines Profils: Und hat festgestellt, dass gekrümmte Profile einen sehr guten Auftriebsbeiwert haben und damit hat er die Grundlagen für den modernen Verkehrsflug gelegt."


Aber noch immer sind die Flugzeugflügel nicht so genial wie die Vorbilder in der Natur. Deshalb arbeiten Forscher wie Prof. Wiedemann beharrlich an weiteren Verbesserungen. Mit Hilfe von neuen Verbundwerkstoffen aus Fasern und Kunstharzen lassen sich Flügel konstruieren, die sich, ähnlich wie bei Vögeln, den verschiedenen Flugphasen anpassen können.
"Die Flügel sehen genauso aus wie heutige Flugzeugflügel, nur haben sie eine Besonderheit, nämlich, dass sie sich von selber verformen."
Martin Wiedemann, Leiter des Braunschweiger Instituts für Faserverbundleichtbau und Adaptronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Ein Mann steht in einem Raum und hält ein kleines Modell einer Tragfläche in der Hand.
Martin Wiedemann: "Gekrümmte Profile haben einen sehr guten Auftriebsbeiwert."© Deutschlandradio / Jan-Uwe Stahr

Weniger Schadstoffe mit neuer Technik?

Adaptronik heißt diese Technologie. Damit könnten zukünftig etwa die Start- und Landeklappen der Flugzeuge überflüssig werden. Das würde sie nicht nur leiser machen sondern auch Strömungsverluste vermindern und Gewicht einsparen.
"Wenn man den Widerstand eines Flugzeuges um 20 Prozent reduzieren würde, könnte man das in erster Näherung auch so in Treibstoff umrechnen."
Das heißt auch: Zwanzig Prozent weniger schädliche Klimagase, die von den Triebwerken in die Atmosphäre geblasen werden – immerhin. Und wann können diese neuartigen Flügel, an denen in Braunschweig geforscht wird, zum Einsatz kommen?
"Ja, (lacht), das ist so ein bisschen das Bittere: der Flugzeugbau ist eine sehr, sehr, sehr konservative Industrie. Aus guten Gründen – und wir sind auch alle sehr froh, wenn wir fliegen. Aber das bedeutet, dass die Entwicklung und die Zulassung sehr, sehr zeitaufwendig ist."
Ein Jahrzehnt dauere das bestimmt, sagt Flügelforscher Wiedemann. Immerhin zeige die Flugzeugindustrie schon jetzt Interesse an diesen Entwicklungen.

Fliegen war mal teurer Luxus

Bis vor gut 30 Jahren war das Fliegen, zumindest in Europa, ein teurer Luxus. Dann wurde der Luftverkehr liberalisiert. Der neue Wettbewerb drückte die Ticketpreise in den Sinkflug. Neue Billiganbieter setzten konsequent auf kostensparende optimale Auslastung, niedrige Personalkosten und auf moderne, spritsparende Maschinen.
Die Flugzeugbauer mussten reagieren: Um rund 40 Prozent sank der Kerosinverbrauch ihrer neuen Modelle. Eine enorme technologische Leistung. Diese wird allerdings mehr als aufgezehrt – durch das noch enormere Wachstum des Luftverkehrs: Allein in Deutschland hat sich die Zahl der Fluggäste in den letzten drei Jahrzehnten verdreifacht. Noch stärker stieg die Menge der Luftfrachten – um 240 Prozent.


Und das Wachstum geht weiter – laut Prognose der Internationalen Luftfahrt-Organisation mit global bis zu 4,8 Prozent pro Jahr. Das bedeutet: Alle 16 Jahre soll sich das weltweite Flugaufkommen noch einmal verdoppeln. Bis 2050 mindestens vervierfachen. Im gleichen Zeitraum müssen aber auch die CO2 Emissionen extrem reduziert werden, um die Klimaziele von Paris einzuhalten und eine Klimakatastrophe zu verhindern.

Doch wie? Eine Umstellung auf elektrische, batterie-betriebene Flugzeuge wird – zumindest für weite Distanzen – technisch nicht möglich sein. Da sind sich alle Fachleute einig. Was bleibt sind klimaneutrale Treibstoffe. Doch die sind bisher nicht verfügbar. Die Luftverkehrsbranche steht unter enormen Druck, denn zukünftig soll auch sie für ihre CO2-Emissionen bezahlen, zumindest innerhalb der Europäischen Union.
Berlin, Tiergarten: In einem Nobelhotel treffen sich Fachleute der Luftfahrtindustrie, der Treibstoffhersteller, der Wissenschaft und Politik. Es ist eine der vielen Fachkonferenzen, die seit Monaten veranstaltet werden. Das Thema hier: "Nachhaltige Flugtreibstoffe". Veranstalter ist der Luftfahrtverband AIREG, Hauptsponsor der Bonner Logistikkonzern DHL.
"Weil für die Deutsche Post DHL Group ist das Thema nachhaltige Mobilität ein Kernfaktor für die Weiterentwicklung unseres Geschäftes."
Sagt DHL-Vorstand Thomas Ogilvie. Mit dem Elektro-Lieferwagen sei man am Boden bereits ein Nachhaltigkeitspionier
"Und natürlich sind wir als größter Luftfracht Spediteur und als weltweit größter Express Dienstleister auch sehr, sehr, stark im Bereich Flugverkehr beteiligt. Und deswegen sind wir interessiert an nachhaltigen synthetischen Kraftstoffen."
Blick in die Economy-Klasse in den 70er-Jahren. Drei Stewardessen bewirten die Passagiere in einem Flugzeug. 
Als Fliegen für viele noch teuer bzw. etwas Besonderes war: Bewirtung in die Economy-Klasse in den 70er-Jahren.© picture alliance / dpa / aviation-images.com / Mary Evans
Der Luftfrachtverkehr, allein aus und nach Deutschland, soll sich bis 2030 gegenüber 2014 noch einmal verdoppeln. Da sei ein starkes Engagement für eine zukünftige CO2-Neutralität schon jetzt ein "absolut entscheidender Wettbewerbsfaktor":
"Das liegt daran; wenn ich auf der einen Seite unser Arbeitgeberimage sehe: Viele junge Nachwuchskräfte wollen in Unternehmen mitwirken, wo nachhaltig gewirtschaftet, nachhaltig entwickelt wird. Aber auch unsere Kunden fordern mehr und mehr nachhaltige Lösungen ein, und last but not least sind ja auch mehr und mehr dedizierte Indexfonds, die sich auf Unternehmensinvestments, Aktieninvestments spezialisiert haben, die eben genau in nachhaltige Firmen investieren."

Keine Flugscham aber Freude über Fridays for Future

Das Gefühl der "Flugscham" dürfte den allermeisten Teilnehmern der internationalen AIREG-Konferenz eher fremd sein. Auch Professor Manfred Aigner hat für die gerade mal 400 Kilometer von Stuttgart nach Berlin das Flugzeug genommen. Trotzdem freue er sich über die Klimaproteste von Greta Thunberg und Fridays for Future, sagt der Verbrennungstechnikexperte vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Ihr Druck auf die Politik habe ihm und seiner Forschungsarbeit – noch kurz vor seiner Pensionierung – zu einem wahren Höhenflug verholfen:
"Ich bin durch die Lande gereist wie so ein Hausierer und habe versucht, Projekte zu verkaufen. Und jetzt werden mir die Projekte nachgetragen. Und die Politik stellt so viel Geld zur Verfügung, was wir uns die letzten Jahre gar nicht vorstellen konnten. Also plötzlich ist auch viel Geld verfügbar, um diese Dinge umzusetzen."

Aigner und sein Stuttgarter DLR-Institut forschen zu synthetischen Treibstoffen. Sie erforschen und testen zum Beispiel Flugbenzin, das mit Hilfe von Biomasse oder erneuerbaren Strom gewonnen werden kann, anstatt aus fossilem Erdöl. Dieses synthetische Kerosin sei nicht nur CO2-neutral, es sei auch leistungsfähiger und insgesamt deutlich weniger umweltschädlich:
"Wir haben ein ganz normales Flugzeug genommen. Wir haben keinen Umbau gemacht, wir haben einfach einen anderen Stoff in den Tank gefüllt. Wir sind aber hinterher geflogen, haben die Schadstoffe gemessen und haben festgestellt, nicht nur dass wir die CO2-Ausstöße mindern, sondern wir haben auch die Feinstaub Masse halbiert."
Genial für die Luftfahrt: Mit synthetischem Kerosin könnten die Airlines ihre vorhandenen Flotten weiterbetreiben und es lässt sich mit fossilem Kerosin vermischen – eine ideale Voraussetzung für eine schrittweise Umstellung auf den klimafreundlichen Treibstoff. Power-to-Liquid, kurz PtL, heißt das Verfahren, auf das sich die Hoffnung so vieler richtet. Doch wie kommt man in eine Massenproduktion – und das so schnell wie möglich? Professor Aigner hat einen Plan:
"Wir haben heute alle Komponenten, die wir brauchen, zur Verfügung. Wir haben aber noch nicht die ganze Kette zusammengekriegt. Wir müssen unbedingt einen Schritt machen, um die gesamte Kette mal von der Rohstoffquelle, von der Energiequelle bis zum Abgas; die müssen wir mal in der Gesamtheit demonstrieren und die müssen wir mal im großen Maßstab haben. Der nächste Schritt muss also sein, eine halb industrielle Anlage zu bauen, die mal so 10.000 Tonnen produziert."

Das könne man in den nächsten drei bis fünf Jahren hinbekommen. Dann müsse man damit so zwei bis drei Jahre technische Erfahrungen sammeln. Der nächste Schritt wäre dann der Einstieg in eine erste großindustrielle Produktion.
"Und dann würden wir in etwa zehn Jahren, gerade zu 2030, gerade noch ausreichend – wir haben ja fünf vor zwölf – könnte man die kommerzielle Anlage bauen die dann hunderttausend Tonnen für die Luftfahrt oder die Millionen Tonnen für die allgemeine Mobilität bereitstellt."

Fortschritt mit deutscher Technologie

Noch sind es deutsche Firmen, die ihre Nase bei der Entwicklung von PtL ganz vorne haben. So, wie ein junges Start-Up-Unternehmen in Sachsen.
Nils Aldag, 33 Jahre, Geschäftsführer und Miteigentümer des Dresdener Unternehmens Sunfire, bittet in die Produktionshalle. In Handarbeit werden hier metallische, etwa kühlschrankgroße, Aggregate montiert: Elektrolyseure, Geräte in denen Wassermoleküle mit Hilfe von elektrischem Strom aufgespalten werden – in Wasserstoff und Sauerstoff. Und das auf eine besonders raffinierte Art und Weise:
"Was wirklich wichtig ist, das ist sozusagen das Herzstück unsere Technologie, das ist eigentlich recht unspektakulär, das ist diese Folie hier, die ich in der Hand halte, das ist die keramische Zelle, die wie ein Sauerstoff-Sieb funktioniert."


Die Sunfire-Elektrolyseure arbeiten mit Wasserdampf und Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Mithilfe der Keramikfolie werden die beiden Gase chemisch zerlegt und neu zusammengefügt zu einem synthetischen Kohlenwasserstoffgas – und das auch noch besonders effizient, sagt Aldag:
"Man muss verstehen, wie Materialien wie Stahl und Keramiken bei hohen Temperaturen miteinander reagieren, sich miteinander verhalten und das ist ein Wissen, das wir hier aufgebaut haben, mit mittlerweile 160, bald 170 Mitarbeitern, das in der Form einzigartig ist."
Die Dampf-Elektrolyseure, die Sunfire jetzt produziert, werden von verschiedenen Industrien nachgefragt: von Stahlherstellern, von der Chemieindustrie und von Forschungsinstituten. Kurz, bei allen, die an Alternativen zu Kohle, Erdöl und Erdgas arbeiten. Oder an synthetischen Treibstoffen. Denn auch dazu lässt sich das Synthesegas weiterverarbeiten. Die Anlage dafür steht auf dem Betriebshof.
"Auf der linken Seite sehen wir jetzt eine 20 Meter hohe Anlage, in der das Synthesegas umgewandelt wird, in diesem Fall in Diesel, Benzin und Wachse für die Chemieindustrie."
Nils Aldag, Geschäftsführer und Miteigentümer des Dresdener Unternehmens Sunfire. Ein Mann steht auf einem Betriebshof und hält eine Flasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit in der Hand.
Nils Aldag: "Das Schöne ist, dass die Anlagen, die wir haben, frei entscheiden können, ob sie Benzin oder Diesel für den Straßenverkehr erzeugen."© Deutschlandradio / Jan-Uwe Stahr

Unklarheiten hemmen Entwicklungen

2013 wurde die kleine Pilotanlage errichtet, mit finanzieller Unterstützung aus dem Bundesforschungsministerium. 2015 konnte die damalige Wissenschaftsministerin sogar schon synthetischen Diesel aus Dresden in ihre Dienstlimousine tanken. 2018 wurde die Produktion jedoch wiedereingestellt. Für stromintensive Elektrolyse musste Sunfire die volle Erneuerbare-Energie-Umlage bezahlen, wie jeder private Haushalt. Gleichzeitig konnte man die Treibstoffe nicht als CO2-neutral verkaufen, denn grüner Strom ist im Braunkohleland Sachsen rar. Und: Es fehlen noch immer regulatorische Rahmenbedingungen, die eine Marktentwicklung für Power-to-Liquid-Kraftstoffe ermöglichen.
"Das Positive ist, dass überall über dieses Thema gesprochen wird. Weil auch klar erkennbar ist, in allen Ministerien, die sich mit Energie befassen, dass Wasserstoff oder strombasierte Gase in Zukunft eine Rolle spielen werden. Was nicht so klar ist, und wo wir uns in der Diskussion nach meiner Meinung ein bisschen verstricken, ist: in welchem Bereich wir diese Kraftstoffe oder Gase als erstes einsetzen möchten."
Ein besonders großes Interesse zeige zwar Luftfahrtindustrie, sagt Unternehmer Aldag, doch das sei eine sehr international agierende Branche. Das heißt: Markteinführungs-Regelungen, wie z.B. Beimischungsquoten zu fossilen Kohlenwasserstoffen seien nur schwer und langsam durchzusetzen. Sunfire plädiert daher zunächst für einen Einsatz von PtL-Kraftstoffen in Autos. Denn dort gibt es zumindest in Deutschland bereits Quoten – für die Beimischung von Biokraftstoffen.
Diese könne man problemlos durch PtL-Kraftstoffe aus grünem Strom ersetzen. Sogar zum gleichen Preis. Das bedeutet, die Luftfahrt muss sich noch ein wenig gedulden, bevor sie synthetisches Kerosin aus grünem Wasserstoff bekommen kann. Es sei denn, sie treibt die Politik international dazu an, schnell entsprechende Regelungen zu setzen. Nils Aldag und Sunfire hätten kein Problem damit.
"Das Schöne ist, dass die Anlagen, die wir haben, frei entscheiden können, ob sie Benzin oder Diesel für den Straßenverkehr erzeugen, oder ob sie mit derselben Anlage Kerosin produzieren."
Eine neue Anlage zur Produktion strombasierter Treibstoffe will Sunfire jetzt in Norwegen errichten. Zunächst für rund 8000 Tonnen pro Jahr. Preisgünstigen grünen Strom bekommt man dort aus Wasserkraft. Geldgeber und Partner für den Anlagenbau gibt es schon. Die norwegische Politik unterstützt die Energiewende mit voller Kraft: Denn bereits bis 2040 – zehn Jahre vor der Europäischen Union – will das heutige Öl- und Gasförderland komplett CO2 neutral sein. Die Zukunft für große grüne Raffinerien sehen PtL-Experten aber vor allem in sonnenreichen Ländern: In Südeuropa, Nordafrika oder auch in den bisherigen Öl-Ländern des Nahen und Mittleren Osten.
"Das sind Anlagen, die Hunderte von Millionen Euro Kosten werden und da brauchen wir starke Partner an unserer Seite."

CO2-Kompensationszahlungen und Ausgleichsprojekte

300 Millionen Tonnen fossiles Kerosin verbrennt die Luftfahrt derzeit pro Jahr. Und jedes Jahr werden es mehr, denn die Branche wächst und wächst. Bis zum grünen Treibstoff ist es noch ein weiter Weg, selbst wenn jetzt die entsprechenden Weichen gestellt werden. Deshalb versucht man schon jetzt, etwas für mehr Klimaschutz zu tun. Mit einem Ausgleich für ihre weltweit wachsenden CO2-Bilanz.
"Privat bin ich das letzte Mal 2010 geflogen, dienstlich das letzte Mal nach Montreal zu den ICAO-Verhandlungen im März."
Marcel Kruse ist Experte für CO2-Ausgleichs-Systeme am Umweltbundesamt. Wenn er dienstlich fliegen muss, zum Beispiel zu internationalen Kongressen wie letztens nach Montreal in Kanada, weiß er schon vorher, was er der Atmosphäre damit zumutet.
"Wir bekommen das natürlich auch immer bei der Buchung unserer Dienstreise mitgeteilt: reine CO2-Emissionen, hin und Rückflug, sind etwas über eine Tonne. Und wir im UBA sind auch verantwortlich für die Kompensation Dienstreisen der Bundesregierung und da berechnen wir nicht nur die reinen CO2-Emissionen, sondern auch die sogenannten Nicht-CO-2 Effekte und die machen dann noch mal zwei Tonnen aus, so dass man sagen kann: Hin- und Rückflug drei Tonnen nach Kanada."


Zusätzlich zur "normalen" CO2-Emission heizt der Flugverkehr die Atmosphäre auch noch mit Stickoxiden auf – und mit den Kondensstreifen, die sich in großer Höhe bilden. Zusammen ergibt das eine schätzungsweise drei Mal höhere Belastung als die Verbrennung fossiler Treibstoffe am Boden. Diese Klimabelastungen durch Flüge von Bundesbeamten, Parlamentariern und Regierungsmitgliedern werden von der Bundesregierung ausgeglichen. Durch sogenannte CO2-Kompensationszahlungen, wie sie auch jeder private Fluggast bei entsprechenden Anbietern, wie z.B. "Atmosfair" oder der "Klimakollekte", tätigen kann.
Ein Flugzeug mit Kondensstreifen. 
Die Luftfahrt verbrennt jährlich 300 Millionen Tonnen fossiles Kerosin.© picture alliance / dpa / Nicolas Economou
"Damit werden Klimaschutzprojekte, in diesem Fall in Entwicklungsländern unterstützt."
Zum Beispiel der Kauf von energie-effizienten Holz-Koch-Öfen, die dann Dorfbewohnern in Zentralafrika zur Verfügung gestellt werden. Allerdings müssen drei solcher Öfen ein Jahr lang kochen, um die Klimabelastung eines einzigen Fluggastes auf der Strecke Berlin-Montreal auszugleichen. Freilich gibt es auch noch andere Ausgleichsprojekte, wie kleine Biogasanlagen oder Windräder. Für jährlich rund 300 Tausend Tonnen CO2 und Nicht-CO2 Flugemissionen braucht schon die Bundesregierung passende, anerkannte Ausgleichsprojekte. Doch ab diesem Jahr will nun auch die Internationale Luftfahrt Organisation der Vereinten Nationen, ICAO, in den Kompensationsmarkt einsteigen. Und dort zumindest das zukünftige Wachstum des weltweiten Flugverkehrs klimaneutral zu bewerkstelligen. CORSIA heißt das Programm
"Der Luft Verkehr wird, geschätzt, um vier bis fünf Prozent pro Jahr wachsen und CORSIA geht von 2021 bis 2035 davon aus, in dieser Zeit wird damit gerechnet, dass man zweieinhalb Milliarden Tonnen kompensieren muss. Das ist schon eine ganz schöne Anzahl an Minderungszertifikaten, die dann gekauft werden müssen."

CO2-Kompensationen vs. moderner Ablasshandel

Die Luftfahrtbranche sieht in ihrem CORSIA-Projekt, bei dem bislang 70 Länder mitmachen wollen, einen Meilenstein für ihr Klimaschutzengagement. Umweltorganisationen halten diese und andere CO2-Kompensationen dagegen für eine Art modernen Ablasshandel, mit dem unterm Strich keine einzige Tonne klimaschädlicher Abgase im Flugverkehr eingespart wird. Auch das Umweltbundesamt meldet Kritik an: Bei CORSIA werde nur das künftige Wachstum kompensiert. Und nicht die rund 800 Millionen Tonnen Kohlendioxid, die schon jetzt Jahr für Jahr in die Atmosphäre geblasen werden.
"Wenn wir das Paris Ziel erreichen wollen, mit 1,5 Grad, dann müssten wir 2050 schon bei netto null sein – also CO2-neutral. Und wenn man dann die Zahlen der Luftfahrt sieht, die mit fünf Prozen wachsen und dann nicht reduzieren, dann ist das natürlich die entgegengesetzte Richtung, die der Luftverkehr im Moment geht. Und das wird mit CORSIA jetzt auch nicht aufgehalten, da das ja im Endeffekt ein Nullsummenspiel ist."
Die Entstehung von klimaerwärmenden Kondensstreifen ließe sich schon jetzt deutlich reduzieren. Dazu müssten die Flugrouten und Flughöhen je nach Witterung flexibel angepasst werden. Das hat eine umfangreiche Simulation am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ergeben. Doch auch hier bedarf es komplizierter internationaler Verhandlungen. Besorgte Klimaschützer wollen darauf nicht warten.

Berlin-Kreuzberg. Der 37-jährige Sozialwissenschaftler Mathias kommt von einem Aktivistentreffen von "Am Boden bleiben". So heißt die deutsche Sektion des noch jungen internationalen Luftfahrt-Kritiker-Netzwerks "Stay Grounded". Erst kürzlich organisierte "Am Boden bleiben" eine Protestaktion am Flughafen Tegel:
"Wir sind in den Flughafen rein gegangen und haben dort eine Blockade gemacht. Es gab ein Banner dort über die Anzeigetafel mit den Flügen. Auf dem Banner stand ´Cancelt due to Climate Change` Also: ´Die Flüge sind abgesagt wegen Klimawandel`. Und das war so ein bisschen unsere Botschaft."
Rund 100, teilweise als Pinguine verkleidete Aktivisten veranstalteten ein Sit-in in der Flughafenempfangshalle. Den Flugverkehr oder die Fluggäste zu behindern, war nicht geplant. Doch dann riegelte die Berliner Polizei die Zufahrt zum Airport großräumig ab und sorgte so für erhebliches Aufsehen. Den Klimaschützern von "Stay Grounded" gehe es aber gar nicht darum, das Fliegen generell zu verdammen. Das sei auch wirklichkeitsfremd, betont Aktivist Mathias
"Weil manche Flüge lassen sich nicht vermeiden, wir leben in einer globalisierten Welt. Menschen haben Familien in anderen Kontinenten, müssen fliegen. Andere Menschen sind körperlich eingeschränkt, brauchen deswegen ein Flugzeug in bestimmten Situationen. Unser Hauptfokus liegt auf dem immensen Wachstum des Flugverkehrs, auf den Vielfliegerinnen und Vielfliegern – es muss nicht sein, jedes Jahr in den Urlaub zu fliegen."
Klimaaktivist in Berlin
Klimaaktivist in Berlin: "Es muss nicht sein, jedes Jahr in den Urlaub zu fliegen." © Deutschlandradio / Jan-Uwe Stahr

Ist das nicht Symbolik?

Man wolle das Bewusstsein schärfen für eine größere Klimagerechtigkeit:
"Dass eben ein kleiner Teil der Menschheit für den Großteil der Flüge verantwortlich ist, während 80 Prozent oder vielleicht noch mehr, die Zahlen sind schwierig zu bekommen, noch nie überhaupt ein Flugzeug betreten haben. Und das sind die Menschen, die am stärksten unter den Folgen des Klimawandels jetzt schon leiden und auch in Zukunft noch leiden werden."
Aber was bringt es dem Klima, wenn in Europa einige Menschen ihr Verhalten ändern? Ist das nicht reine Symbolik?
"Dieses Argument kommt ja sehr oft In der Klimadebatte. Und wir denken, irgendjemand muss anfangen. Und wer, wenn nicht wir? Diejenigen, die in den Ländern leben, die sich früh industrialisiert haben und, historisch gesehen, vor allen Dingen verantwortlich sind für den Großteil der Klimaemissionen und es bringt nichts, die Verantwortung immer woanders hinzuschieben, dann passiert gar nichts."
In Zukunft weniger häufig abzuheben, das empfiehlt auch das Umweltbundesamt für den Luftverkehr der Zukunft. Möglichst auf dem Boden bleiben bei Inlandsreisen, Gütertransport und auch im Urlaub.
Auf dem Rollfeld des Flughafen Tegel ist jetzt eine Propellermaschine startbereit. Ein modernes Verkehrsflugzeug für Kurz- und Mittelstrecken. Jonas und Jonathan stehen auf der Besucherterrasse – mit ihren Kameras..
Jonas: "Das war jetzt eine Dash 8 Q400 von Luxair. Ich finde den Sound echt schön, jetzt von Turboprop allgemein. Man mag jetzt meinen, dass die umweltschädlicher sind wegen der Propeller. Aber gerade auf kürzeren Strecken sind die viel effizienter als jetzt die normalen Maschinen mit Jet-Air-Triebwerken."
Die Flugzeugbegeisterung der beiden Schüler ist nicht gefährdet durch Klimakrise und Flugscham. Ihr Berufswunsch: Pilot. Bis dahin sind es noch ein paar Jahre – Zeit in der das Fliegen grüner werden muss.
Mehr zum Thema