Klimaschutz in der Luftfahrt

Vielfältige Technologien als Lösung

07:30 Minuten
Ein Flugzeug beim Landen auf einem Flughafen mit Sonnenuntergang im Hintergrund.
In der Luftfahrtindustrie wird über die Zukunft des Fliegens debattiert. © picture alliance
Jens Friedrichs im Gespräch mit Stephan Karkowsky  · 21.08.2019
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Die europäische Luftfahrt will bis 2050 klimaneutral fliegen, sagt der Braunschweiger TU-Professor Jens Friedrichs. Er erwartet eine Vielzahl von Lösungen und mehr Bereitschaft zur konstruktiven Debatte als in der Autoindustrie.
Stephan Karkowsky: Die Politikprominenz trifft sich heute auf dem Flughafen Leipzig/Halle zur ersten nationalen Luftfahrtkonferenz. Erwartet werden neben der Bundeskanzlerin auch die Bundesminister für Verkehr und Wirtschaft. Gemeinsam mit Vertretern der Luftfahrt will man über den Klimaschutz diskutieren und über neue Technologien.
Ob uns nach der Energiewende nun eine Luftverkehrswende bevorsteht, das möchte ich mit Professor Jens Friedrichs besprechen. Er leitet das Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen am luftfahrtspezifischen Exzellenzcluster der Technischen Universität in Braunschweig. Herr Friedrichs, guten Morgen!
Jens Friedrichs: Schönen guten Morgen, Herr Karkowsky!
Karkowsky: Bei Autos haben sich die ersten Länder ja bereits Termine gesetzt, ab wann sie keine neuen Verbrennungsmotoren mehr zulassen wollen. Da gehört die Zukunft offenbar der E-Mobilität. Welche Zukunft erwartet denn die Luftfahrt?

Elektrisch fliegen auf der Kurzstrecke?

Friedrichs: In der Tat ist es so, dass die Luftfahrt, also die europäische Luftfahrt, sich auch Ziele gesetzt hat, wann sie klimaneutral sein will, das ist in der Luftfahrt das Jahr 2050, das ist weiter sozusagen in der Zukunft, aber dafür sind die Technologieentwicklungen auch aufwendiger.
Wir in Braunschweig sind davon überzeugt, dass uns in der Luftfahrt auch eine Art von Antriebssystem oder Energiewende sozusagen erwartet, die aber nicht zu so einer monolithischen Lösung führt, wie wir sie gerade bei den Autos erwarten, also statt Verbrenner nur noch Elektromotoren, sondern wir glauben, dass die Bandbreite sehr viel größer sein wird, was einfach mit der Physik des Fliegens zusammenhängt.
Also konkret: Wir glauben, es wird Segmente geben, wo man elektrisch fliegen kann – das sind dann eher die heutigen Kurzstreckensegmente –, wir sind 100-prozentig davon überzeugt, dass die Wasserstoffwirtschaft eine Rolle fürs Fliegen spielen werden muss als Energieträger, und ich glaube auch, dass für diese richtig langstreckigen Verbindungen, also das, was so jenseits der 8000 Kilometer liegt, wir auch in Zukunft flüssige Energiespeicher wie künstliches Kerosin benötigen werden.

Einfüllen in heutige Tanks

Karkowsky: Was ist das genau, künstliches Kerosin?
Friedrichs: Es gibt zwei Arten. Die Luftfahrtleute sprechen immer von einer sogenannten Drop-in-Fähigkeit. Das heißt, man möchte gerne etwas haben, einen Energiespeicher haben, den man in die heutigen Tanks einfüllen kann, ohne das Flugzeug, den Antrieb sehr stark modifizieren zu müssen. Diese Drop-in-Fähigkeit ist auf zwei Arten herzustellen. Da gibt es einmal die sogenannten Biokerosine, also das, was im Wesentlichen auf Basis von gezüchteten Algen erzeugt werden kann, und es gibt die sogenannten synthetischen Kerosine.
Die synthetischen Kerosine sind die, auf die man heute mehr setzt. Die Biokerosine waren mal eine Zeit sehr stark in aller Munde, ihre Machbarkeit ist auch nachgewiesen. Das Problem ist ein Mengenproblem: Würde man versuchen, den Luftverkehr großskalig auf aus Algen produziertes Kerosin umzustellen, hätte man einfach einen zu großen Bedarf an Fläche für diese Algen.
Man würde in die sogenannte Teller-Tank-Problematik, also Nahrungsmittel versus Energiespeicher für den Transport, einsteigen, sodass die synthetischen Kerosine, die aus Kohlenwasserstoff unter Zuführung von Energie produzierten Kerosine, eigentlich das sind, worauf wir langfristig setzen müssen.
Peter Altmaier (CDU, l-r), Bundesumweltminister, Andreas Scheuer (CSU), Bundesverkehrsminister, und Angela Merkel, Bundeskanzlerin (CDU), stehen vor einer Dornier 328 vor der ersten Nationalen Luftfahrtkonferenz auf dem Flughafen Leipzig-Halle. 
Bei der ersten Nationalen Luftfahrtkonferenz in Leipzig ging es um die Zukunft des klimaverträglichen Fliegens. © Jan Woitas/dpa/Picture-alliance
Karkowsky: Nun hat man ja gerade bei der deutschen Automobilindustrie gesehen, wie sehr die mit ihrem Widerstand gegen neue Technologien diese auch verzögern können, weil sie irgendwie gehofft haben, wir werden wohl doch beim Verbrennungsmotor bleiben. Sehen Sie ähnliche Widerstände auch in der Luftfahrtwirtschaft?
Friedrichs: Na ja, ich habe zumindest beobachtet, dass diese Diskussion seitens der Luftfahrtindustrie und Luftfahrtwirtschaft sehr intensiv verfolgt wurde und dass man auch gesehen hat, wie stark gesellschaftliche Tendenzen da einen Beitrag leisten können.
Insofern bin ich relativ sicher, dass dieses Beharrungsvermögen, was man da vielleicht erlebt hat, in der Luftfahrt zumindest im Moment nicht da ist, sondern es wird sich ganz aktuell nach Alternativtechnologien umgeschaut und es wird auch sehr viel Geld in die Grundlagenforschung und die Entwicklung solcher Technologien investiert.
Aber man muss natürlich das Ganze vor dem Hintergrund der deutlich längeren Entwicklungszeiten sehen. Also neue Flugzeuge brauchen, wenn man sie komplett neu entwickelt, 15 Jahre Vorlauf, neue Autos kommen mit einem Drittel bis der Hälfte aus.

Neue Flugzeuge nötig

Karkowsky: Sie haben gesagt, auch die Luftfahrtindustrie möchte irgendwann klimaneutral fliegen – das Datum, was war das, 2050?
Friedrichs: Ja genau, 2050.
Karkowsky: Ist das denn allein mit neuen Antrieben, die bis dahin ja erst entwickelt werden müssen, zu erreichen?
Friedrichs: Nein, das ist es nicht. Also es ist nicht allein mit neuen Antrieben zu erreichen. Die sind eine wesentliche Basis, aber diese neuen Antriebe brauchen auch neue Flugzeuge. Also diese Physik des Fliegens, also wie sind Massen, aerodynamische Widerstände, Auftriebe miteinander gekoppelt, erlaubt oder erzwingt eine viel höhere sozusagen Kopplung von Antrieb an Flugzeug.
Das heißt, in dem Moment, wo sich der Antrieb ändert, muss sich das Flugzeug ändern. Ich erwarte, dass die Flugzeuge in 30 Jahren völlig anders aussehen als heute.
Und natürlich muss sich auch die bodenbasierte Energiewirtschaft ändern. Also wir können diesen ganzen Wandel nur schaffen, wenn wir neben der Elektromobilität auch eine auf Basis von Kohlenwasserstoff, das heißt also im Wesentlichen auf Basis einer Wasserstoffwirtschaft funktionierende Kreislaufwirtschaft haben, die dann die Basis für synthetische Kraftstoffe ist. Das ganze System wird sich meiner Ansicht nach ziemlich deutlich ändern müssen.

Konstruktive Debatte

Karkowsky: Was halten Sie denn vom Begriff der Flugscham? Hilft das dem Fortschritt?
Friedrichs: Die Flugschamdiskussion als solches entwickelt natürlich keine neuen Flugzeuge. Was sie tut, sie ist in der Lage, Sensitivitäten zu entwickeln oder aufzuzeigen, und sie ist in der Lage, sinnvolle Diskussionen gerade um die Frage dieser Kurzstreckenverbindungen ins Leben zu rufen und konstruktiv zu führen.
Denn wir wissen alle: Verbindungen, die unterhalb von 1000 Kilometer liegen, sind eigentlich sowohl ökologisch wie auch ökonomisch mit Flugzeugen normalerweise nicht sinnvoll, da müssen andere Verkehrsträger ran, und die müssen natürlich in der Lage sein, das Volumen dann auch aufzunehmen. Also ich glaube, die Diskussion ist gut, wenn sie konstruktiv geführt wird.
Man muss im Hinterkopf behalten: Die Luftfahrt produziert weltweit gesehen 2,5 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes, und um die Diskussion fair zu machen, der Ausstoß wird in einer großen Höhe freigesetzt, das heißt, die Klimawissenschaftler multiplizieren das typischerweise mit einem Faktor zwei bis drei. Da sind wir bei ungefähr fünf bis 7,5 Prozent. Das ist signifikant, aber das ist sozusagen nicht der größte Beitrag per se.
Karkowsky: Haben Sie Angst um die Arbeitsplätze in der Luftfahrtindustrie?
Friedrichs: Nein, habe ich nicht, weil diese Technologievielfalt, die ich sehe, die wir in Zukunft brauchen, die ist eigentlich eher ein arbeitsplatzschaffendes Instrument als eins, was Arbeitsplätze reduziert. Da mache ich mir keine Sorgen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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