Der Mensch als Problem

Zu intelligent, um die Welt zu retten?

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Illustration eines Studenten, aus dessen Kopf Symbole für die MINT-Fächer purzeln.
Ist ein Problem überhaupt denkbar, wird der Mensch dafür sorgen, dass es existiert, meint Timo Rieg. © imago / IKON images / Patrick George
Überlegungen von Timo Rieg · 31.12.2019
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Wir debattieren über den Klimanotstand und empfinden Flugscham. Doch praktisch folgt daraus erschreckend wenig. Warum handeln wir nicht nach unseren Erkenntnissen? Sind wir zu dumm? Im Gegenteil, findet Timo Rieg. Es sei die Intelligenz, die die Probleme schafft.
Wir sind bei der Weltrettung auf gutem Kurs. Die Ernsthaftigkeit der Lage ist inzwischen den meisten Menschen bewusst, das Europäische Parlament hat den Klimanotstand ausgerufen und bei Burger King gibt es einen vegetarischen Hamburger, der tatsächlich schmeckt.
Andererseits sprechen die nackten Tatsachen in Summe noch nicht ganz für die Zukunftsfähigkeit unserer Spezies. Trotz "Flugscham" wächst der Flugverkehr, trotz "Fridays for Future" werden jeden Tag etwa 50 Hektar Landschaft als Siedlungs- und Verkehrsflächen zugebaut, trotz permanenter Effizienzsteigerung sinkt der Verbrauch an Strom, Papier oder Plastik nicht.
Diese Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und umweltverträglichem Handeln ist eklatant und wird allenthalben beklagt: der aufgeklärte Mensch als Elefant im Porzellanladen.

Das Problem ist… die Intelligenz!

Die Diskrepanz gründet in etwas, das leider viel zu selten als Quell unserer Probleme gesehen wird: der Intelligenz. Sie wird gerne für eine Fähigkeit gehalten, Probleme zu lösen und damit die Welt immer besser zu machen. Das ist allerdings nicht ihre evolutionäre Bestimmung. Intelligenz ist - biologisch gesehen - ein Potenzial, den eigenen Reproduktionserfolg zu optimieren durch bessere Beherrschung dafür notwendiger Ressourcen. Intelligenz dient der Ernährung, der Feindabwehr, der Aufzucht und Hege von Kindern. Intelligenz ist nicht entstanden, um Schach zu spielen oder eine Datenschutzgrundverordnung zu ersinnen.
Dieser Intelligenz verdanken wir ganz beiläufig, dass jedes Kind die menschengemachten Umweltprobleme erkennen kann. Wenn jedes Jahr etwa 5 Milliarden Tonnen Erdöl aus dem Boden geholt und durch Verbrennung in die Luft gepustet werden, wird das die Luft verändern, irgendwie. Und wenn sich die Luft verändert, könnte das Auswirkungen auf das Leben haben. Wo ein Parkplatz für Aldi oder McFit gebaut wird, kann kein Getreide mehr wachsen für Brot und Hackfleisch. Dank Intelligenz muss man nicht erst studiert haben, um solche Tun-Ergehen-Zusammenhänge zu sehen.

Der Homo Sapiens tanzt auf dem Vulkan

Etwas rätselhafter ist unser Handeln - aber nur auf den ersten Blick.
Unsere Hirnkapazität führt dazu, dass die meisten Menschen eine blühende Fantasie haben. Sie lassen sich zum Beispiel sexuell stimulieren, auch wenn weit und breit kein Sexualpartner ist. Selbst in komisch gewachsenen Pflanzen oder in Sternbildern vermögen Menschen zu sehen, was sie lüstern macht. Darüber lacht sich jedes andere, halt etwas dümmere Tier natürlich kaputt. Und es versteht auch nicht, wie seine intelligentere Verwandtschaft die Welt sonst so deutet: Der Homo sapiens ersetzt Sozialverbände durch Nationen und Social-Media-Communitys, unterwirft sich Königen, Bundeskanzlern und Abteilungsleitern, hält Aktien und SUV für reproduktionssteigernde Ressourcen.
Der ganze Kapitalismus baut auf diese intelligenz-induzierte Fantasie, die niemand so schön auf den Punkt gebracht hat wie der aufgehörte Kabarettist Volker Pispers: Der Löwe hat ja nicht deshalb keinen Kühlschrank, in dem er all die Antilopen lagern könnte, die er an einem guten Jagdtag zu erbeuten vermöchte, weil ihm das Amazon-Konto für die Bestellung fehlt. Der Löwe hat keinen Kühlschrank, weil ihm die Intelligenz abgeht, darin eine erstrebenswerte Ressource zu sehen. Der Mensch ist da halt gescheiter: Wir können in jedem Haben eine attraktive Ressource für unser Sein finden. Mehr PS unterm Hintern, weitere Reisen, pflanzenfreie Vorgärten, die absurdeste Vorschrift... Nur mit sehr viel Sapiens lassen sich die Rangstreitigkeiten des modernen Menschen führen.
So tanzt der Mensch auf dem Vulkan, wo jedes Vieh das Weite suchen würde. Und spuckt dieser Vulkan dann plötzlich, aber naturgemäß kräftig weiße Asche, diskutiert der Mensch intelligentere Vulkantanzschutzkonzepte.
Wir sind einfach zu schlau, um ein denkbares Problem nicht zu schaffen. Prosit Neujahr.

Timo Rieg, Jahrgang 1970, hat in Bochum Biologie und in Dortmund Journalistik studiert. Seit über 25 Jahren beschäftigt er sich mit politischer Partizipation. So hat er ein auf Auslosung beruhendes Verfahren für die Mitbestimmung Jugendlicher entwickelt und erprobt (Youth Citizens Jury). Sein erstes Buch von 1993 trägt den Titel "Artgerechte Jugendhaltung", sein aktuelles heißt "Demokratie für Deutschland". Dazwischen hat er u.a. Kurt Tucholskys "Deutschland, Deutschland über alles" neu herausgegeben, in dem es auch schon um Absurditäten des städtischen Autoverkehrs geht.

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