Literaturinstitut "Johannes R. Becher" in Leipzig

Mehr als eine rote Schriftsteller-Schmiede

Der Leipziger Lyriker Heinz Czechowski zusammen mit der Schriftstellerin Katja Lange-Müller. Die beiden lösten sich am 31. August 1990 als Stadtschreiber des Frankfurter Stadtteils Bergen-Enkheim ab.
Sie studierten einst am Leipziger Literaturinstitut: Heinz Czechowski und Katja Lange-Müller. Hier als Stadtschreiber in Frankfurt/Main 1990. © picture alliance / dpa / DB Kühn
Von Michael Opitz · 16.08.2018
Heinz Czechowski oder Katja Lange-Müller: Sie absolvierten das Literaturinstitut in Leipzig zu DDR-Zeiten und wurden erfolgreiche Autoren. Was man neben Talent mitbringen sollte, um dort studieren zu können, zeigt das Buch "Schreiben lernen im Sozialismus".
Mit Skepsis wurde in der DDR zunächst der Vorschlag aufgenommen, ein Institut für Literatur (IfL) gründen zu wollen, an dem Begabte "aus der Arbeiterklasse und der werktätigen Bauernschaft" im Direkt- sowie im Fernstudium und auf Sonderlehrgängen zu Schriftstellern ausgebildet werden sollten. Bei einer solchen Einrichtung würde es sich, so der Einwand, wohl eher um ein "Nachhilfeinstitut" handeln. Denn wer tatsächlich zum Schriftsteller berufen sei, müsse das Schreiben nicht erst an einer Hochschule lernen. Da die junge DDR allerdings ganz konkrete Vorstellungen hatte, wodurch sich ein sozialistischer Schriftsteller auszuzeichnen habe, wurde das Institut schließlich doch am 30. September 1955 in Leipzig gegründet. Künstlerisches Talent galt, um am IfL studieren zu können, nur als eine Voraussetzung. Entscheidend war vielmehr der richtige Klassenstandpunkt, und der ließ sich in der Lehre an einem Literaturinstitut durchaus vermitteln.
Lesung zu DDR-Zeiten mit Sarah und Rainer Kirsch an der Universität Jena
Lesung zu DDR-Zeiten mit Sarah und Rainer Kirsch an der Universität Jena© picture alliance / ZB / dpa / FSU-Fotozentrum / Universität Jena

Kritische Autoren mussten gehen

Ob das Institut für Literatur mehr war als eine "rote Kaderschmiede" – dieser Frage ist ein Forscherkollektiv nachgegangen, das nun seine Ergebnisse in einem umfangreichen Buch vorgelegt hat. Insgesamt 990 Absolventen sind bis 1993 am IfL ausgebildet worden. Nur einige seien genannt: Werner Bräunig, Heinz Czechowski, Kurt Drawert, Adolf Endler, Ralph Giordano, Kerstin Hensel, Karl Heinz Jakobs, Sarah Kirsch, Barbara Köhler, Angela Krauß, Erich Loest, Katja Lange-Müller, Thomas Rosenlöcher und Fred Wander. Es handelt sich mithin durchaus nicht um Autoren, die im Verdacht stehen, in der DDR linientreue Texte verfasst zu haben, wenngleich solche Autoren auch unter den Absolventen zu finden sind: Günter Görlich und Walter Flegel seien stellvertretend genannt. In Verruf geriet das Institut mehrfach, weil kritische Autoren wie Helga M. Novak, Gert Neumann oder Andreas Reimann aus politischen Gründen vom Institut relegiert wurden. Es war keine "Insel der Seligen". Das konnte das Institut auch nicht sein, denn politische Entscheidungen wie der Einmarsch der Warschauer Paktstaaten in Prag oder die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR prallten an den Mauern des Gebäudes in der Tauchnitzstraße nicht einfach ab. Freiräume aber gab es durchaus.
Universität Leipzig, Deutsches Literaturinstitut Leipzig (DLL)
Das frühere Institut für Literatur (IfL), heute Deutsches Literaturinstitut Leipzig© Sylvia Dorn / Universität Leipzig

Das "Leitgestirn" des Instituts

Wie sich das Institut entwickelt und schließlich gewandelt hat, wie die Spielräume zwar größer wurden, sich bestimmte Grenzen aber dennoch nicht überschreiten ließen, das vermag diese Studie durchaus zu vermitteln. Sie konzentriert sich zum Glück nicht nur – wie der Titel zunächst vermuten lässt – auf die Lernenden (die angehenden Schriftsteller), sondern auch auf die Lehrenden (die am Institut arbeitenden Dozenten). So ist etwa ein Kapitel dem "Leitgestirn" des IfL, dem bis 1970 am Institut lehrenden Lyriker Georg Maurer gewidmet.

Schriftsteller aus der Nationalen Volksarmee

Erfreulich ist, wie behutsam die Verfasser in ihren Urteilen sind – nichts wollen sie vorschnell verurteilen – und wie genau sie die Entwicklung des IfL nachzeichnen. Als problematisch erweist sich allerdings die Anlage des Buches, das zunächst keiner strengen Chronologie folgt. Durch immer wieder eingeschobene Exkurse – manche hätte es, wie den zum Sozialistischen Realismus, nicht unbedingt gebraucht – kommt es zu häufigen Wiederholungen. Und schließlich sei die Frage erlaubt, ob angesichts des umfangreichen Materials das Kapitel zu den von der Nationalen Volksarme (NVA) ans IfL delegierten Autoren nicht hätte kürzer ausfallen können. Eine Frage, die sich auch angesichts von längst vergessenen Absolventen stellt, die keine bekannten Schriftsteller wurden, deren Abschlussarbeiten aber mit großer Ausführlichkeit kommentiert werden. Ein insgesamt wichtiges Buch, das spannende Einblicke zu vermitteln vermag, das aber bei der Lektüre ein wenig Geduld erfordert.

Isabelle Lehn, Sascha Macht, Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus. Das Institut für Literatur "Johannes R. Becher"
Wallstein Verlag, Göttingen 2018,
592 Seiten, 34,90 EUR

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