Literatur aus Nigeria

Zwischen extremer Korruption, Bürgerkrieg und Ölpest

08:55 Minuten
Der Inhaber von The Jazz Hole, Kunle Tejuoso, ordnet die deckenhohen Bücherregale in seinem Laden, während ein großer Ventilator für Abkühlung sorgt. The Jazz Hole ist ein unabhängiger Platten- und Buchladen in Lagos.
Unabhängiger Platten- und Buchladen in Lagos: the Jazz Hole. © AFP/ Stefan Heunis
Von Sigrid Löffler · 23.07.2019
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Das bedeutendste afrikanische Produktionszentrum für Weltliteratur ist Nigeria. Derzeit werden Geschichten aus dem wirtschaftlich stärksten und bevölkerungsreichsten Land Afrikas stärker beachtet. Welche Romane unbedingt lesenswert sind, erläutert Sigrid Löffler.
Afrika ist unser Nachbarkontinent, wir müssen ihm mehr Aufmerksamkeit widmen. So lautet neuerdings das Mantra europäischer Politiker.
Was die Politik predigt, praktiziert die Literaturwelt seit längerem: Sie hat längst entdeckt, dass in Afrika eine aufregende, welthaltige und wahrhaft zeitgenössische Literatur entsteht, geschrieben von Afrikanern in der Sprache ihrer ehemaligen Kolonialherren. Jeder deutsche Publikumsverlag, der auf sich hält, hat heute mindestens einen Autor oder eine Autorin aus Schwarzafrika im Programm.
Und das bedeutendste afrikanische Produktionszentrum für Weltliteratur ist Nigeria, das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land Afrikas. In Nigeria leben mehr als 500 Ethnien und Volksgruppen, die mehr als 500 Sprachen sprechen, doch die Amtssprache des Landes – und damit auch die Literatursprache – ist Englisch.
In den 60 Jahren seit der Unabhängigkeit hat die englischsprachige Literatur aus dieser ehemaligen britischen Kolonie den Weltmarkt erobert. Mit ihrer Energie und Dynamik, ihrer Originalität und ihrem lebhaften Zugriff auf ihre ungewöhnlichen Erzählstoffe fasziniert die Literatur aus Nigeria bereits seit längerem das internationale Lese-Publikum.
Kann es sein, dass wir deutschsprachige Leser da etwas übersehen haben? Beginnen wir erst jetzt mit Verspätung wahrzunehmen, was anderswo längst die Bestsellerlisten erobert hat? Beginnen wir jetzt erst zu bemerken, dass Nigeria die produktivste Talentschmiede mit der reichhaltigsten Literatur des afrikanischen Kontinents ist?

Preisgekrönte Literaten

Schon die Pioniere hätten uns aufmerksam machen können. Immerhin war der erste afrikanische Literaturnobelpreisträger ein Nigerianer: Wole Soyinka (1986). Und sein Landsmann Chinua Achebe erhielt 2002 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.
Doch erst in den letzten Jahren hat sich die Leser-Wahrnehmung dafür geschärft, dass sich inzwischen eine neue Generation jüngerer nigerianischer Autoren durchgesetzt hat, die auf den Literatur-Festivals in Europa und Amerika gefeiert wird und große Literaturpreise gewinnt.
Was Chimamanda Adichie oder Teju Cole, Taiye Selasi, Elnathan John oder Helon Habila zu erzählen haben, öffnet uns die Augen für die Erfahrungsräume und Erzählwelten von Autoren, die zwischen Afrika, Europa und Amerika hin- und herpendeln und in rasanten Entwicklungssprüngen eine mobile, nachkoloniale Existenzweise praktizieren.
Der nigerianische Nobelpreisträger Wole Soyinka
Der nigerianische Nobelpreisträger Wole Soyinka© www.imago-images.de
Alle diese Autoren entstammen der westlich gebildeten und privilegierten neuen nigerianischen Mittelschicht, die ihre Kinder zum Studieren an Universitäten in England oder den USA schickte. Oft unterrichten diese Autoren inzwischen selbst kreatives Schreiben an amerikanischen Colleges, sind viel auf Reisen und leben nur noch zeitweise in ihrem Herkunftsland Nigeria.
Sie verfügen daher über eine doppelte Perspektive auf die Welt, einen Blick von außen und von innen. Sie verfügen kraft Herkunft über die Innenperspektive und kraft biografischer Mobilität auch über den Blick von außen. Sie blicken als kritische Migranten auf den Westen und als aufgeklärte Weltbürger auf ihr Herkunftsland Nigeria. Das prägt naturgemäß auch ihre Themen und Erzählstoffe.
Sie reflektieren die schwierige postkoloniale Geschichte Nigerias mit allen Fehlentwicklungen, allen Stammeskriegen und Gewaltregimes, aller Misswirtschaft und allen Modernisierungskrisen. Das Land leidet unter den ethnischen und religiösen Spannungen zwischen den muslimischen Haussa im Norden und den christlichen Yoruba und Igbo im Süden.
Das Trauma des Bürgerkriegs in Biafra, als die Igbo einen eigenen Staat im Süden zu errichten versuchten, wirkt immer noch nach und schwelt weiter in den Köpfen und in der Literatur. Nigeria ist zerrissen zwischen einen rückständigen, armen islamischen Norden, in dem die Terror-Milizen der Boko Haram wüten, und einem wirtschaftlich boomenden christlichen Süden, in dem Korruption alle Lebensbereiche verseucht und Umweltkatastrophen die Lebensgrundlagen der Menschen zerstören.

Umweltzerstörung durch Öl

In seinem Roman "An einem Dienstag geboren" erzählt der Rechtsanwalt und Autor Elnathan John exemplarisch die Geschichte der religiösen Radikalisierung im Norden Nigerias und das Aufkommen des islamistischen Fundamentalismus der Boko Haram, die seit zehn Jahren das Land destabilisieren.
Der Journalist und Autor Helon Habila hat die verheerende Öl-Pest im Niger-Delta, eine der schlimmsten Umweltkatastrophen weltweit, verursacht durch undichte Pipelines ausländischer Mineralöl-Konzerne, zu seinem Thema gemacht. In seinem Roman "Öl auf Wasser" erzählt er von der Zerstörung der Fischgründe und der Felder ganzer Dörfer im Niger-Delta und von rebellierenden Umwelt-Aktivisten, die sich durch Geiselnahmen und Sabotageakte dagegen wehren.
Man sollte sich auch an den Autor und Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa erinnern, der wegen seines friedlichen Protests gegen die Öl-Pest in Delta 1995 unter der Militär-Diktatur des Generals Abacha hingerichtet wurde.

Der Fotograf und Autor Teju Cole wiederum erzählt in seiner Stadtreportage "Jeder Tag gehört dem Dieb" von einem fehlgeschlagenen Rückkehrversuch nach Nigeria. Er wollte ausprobieren, ob ihm auf Dauer ein Leben in der boomenden Wirtschaftsmetropole Lagos möglich wäre.
Der Schriftsteller, Essayist und Fotograf Teju Cole vor einer urbanen Kulisse
Der Schriftsteller, Essayist und Fotograf Teju Cole© imago/Leemage
Doch die Mega-City entpuppt sich als niederschmetternde Enttäuschung. Überall herrschen Gewalt, Chaos, Korruption und Bestechung, die täglichen Stromausfälle und Verkehrsstaus, die nicht funktionierenden öffentlichen Dienste zermürben ihn. Wie gierige einheimische Eliten den natürlichen Reichtum und die Ressourcen des Landes veruntreuen und die oft analphabetischen Massen in Armut halten, empört ihn.

Exil in den USA

Doch nicht nur, was in ihrem geschundenen Land alles schiefläuft, treibt diese nigerianische Autoren-Generation um. Mindestens ebenso interessant ist, was diese Autoren über ihre Erfahrung transnationaler Existenz im Pendeln zwischen den Kulturen Afrikas und der USA mitzuteilen haben.
Als Angehörige einer westlich erzogenen afrikanischen Bildungselite, die ihr Kosmopolitentum scheinbar souverän ausleben kann, erzählen Teju Cole, Chimamanda Adichie und Taiye Selasi von den vielfältigen subtilen Zurückweisungen, die ihnen wegen ihrer Hautfarbe in der Diaspora in den USA widerfahren.


Chimamanda Adichie thematisiert den verschwiegenen US-Rassismus in ihrem Roman "Americanah", Teju Cole in seinem New Yorker Stadtroman "Open City" und Taiye Selasi in ihrer Familiengeschichte "Diese Dinge geschehen nicht einfach so": Immer geht es bei diesen Autoren um die Mühsal, im Konflikt zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung die eigene Identität zu bestimmen.
Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie am 09.10.2018 auf der Frankfurter Buchmesse.
Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie am 09.10.2018 auf der Frankfurter Buchmesse. © imago/STAR-MEDIA
Je liberaler die Milieus weißer Ostküsten-Amerikaner, in denen sich die nigerianischen Romanhelden und -heldinnen bewegen, desto heuchlerischer: Gerade im krampfhaften Bemühen der Weißen, die Hautfarbe des Anderen zu ignorieren, verrät sich immer wieder das verdruckste Ressentiment, das die nigerianischen Romanfiguren keinen Augenblick ihr Schwarz-Sein vergessen lässt.
Und das ist es, was die Literatur aus Nigeria so spannend macht und warum es sich lohnt, sie zu lesen: Diese Autoren sind legitimiert wie niemand sonst, über ihr unglückliches, misshandeltes Herkunftsland zu reflektieren und seine Gebrechen historisch anschaulich zu machen; und sie sind mit ihrem gesamten kulturellen Gepäck, ihrer Geschichte und Religion, ihren Mythen und Traditionen und ihrer Spiritualität in die westliche Literatur eingewandert und berichten über Freuden und Leiden des Kulturwechsels und Glück und Unglück von Mehrfach-Identitäten.
Damit eröffnen sie unserer Weltwahrnehmung ungeahnte neue Räume.

Chinua Achebe: Alles zerfällt
Aus dem Englischen von Uda Strätling
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2012
238 Seiten, 19,99 Euro

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah
Aus dem Englischen von Anette Grube
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2014
605 Seiten, 24,99 Euro

Lesley Nneka Arimah: Was es bedeutet, wenn ein Mann aus dem Himmel fällt
Aus dem Amerikanischen von Zoë Beck
CulturBooks Verlag, Hamburg 2019
197 Seiten, 20,00 Euro

Teju Cole: Open City
Aus dem Amerikanischen von Christine Richter-Nilsson
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
335 Seiten, 22,95 Euro

Teju Cole: Jeder Tag gehört dem Dieb
Aus dem Amerikanischen von Christine Richter-Nilsson
Verlag Hanser Berlin, Berlin 2015
175 Seiten, 18,90 Euro

Helon Habila: Öl auf Wasser
Aus dem Englischen von Thomas Brückner
Verlag Wunderhorn, Heidelberg 2012
232 Seiten, 24,80 Euro

Elnathan John: An einem Dienstag geboren
Aus den Englischen von Susann Urban
Verlag AfrikaWunderhorn, Heidelberg 2017
254 Seiten, 24,80 Euro

Chigozie Obioma: Der dunkle Fluss
Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner
Aufbau Verlag, Berlin 2015
313 Seiten, 19,95 Euro

Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Aus dem Amerikanischen von Adelheid Zöfel
Verlag S. Fischer, Frankfurt/Main 2013
398 Seiten, 21,99 Euro


Das Interview im Wortlaut:

Joachim Scholl: Regelmäßig fragen wir die Literaturkritikerin Sigrid Löffler hier in der "Lesart", was wir in der literarischen Welt so alles übersehen. Heute blicken wir aber auf einen Trend mit Ihnen, den niemand in der Branche mehr übersehen kann: den Boom afrikanischer Literatur nämlich, auch auf dem deutschen Buchmarkt. Kaum ein Verlag, der nicht einen Autor oder Autorin im Programm hat, und herausragend dabei sind Bücher aus Nigeria, und in dieses Segment hat sich Sigrid Löffler für uns versenkt. Nigeria gilt als das bedeutendste afrikanische Produktionszentrum, wenn man das so nennen kann, für Weltliteratur heute. Woran liegt das, Frau Löffler?
Sigrid Löffler: Nigeria ist das bevölkerungsreichste und auch wirtschaftlich stärkste Land Afrikas, und in den 60 Jahren seit der Unabhängigkeit hat dieses Land alle schlimmen postkolonialen Fehlentwicklungen und Modernisierungskrisen durchgemacht: Bürgerkrieg in Biafra, Militärdiktaturen, Misswirtschaft, Megakorruption – das sind natürlich alles spannende Erzählthemen. Andererseits besitzt Nigeria auch eine zwar kleine, aber doch sehr gut gebildete und wohlhabende Mittelschicht, die kann es sich leisten, ihre Kinder zum Studieren an Universitäten in England oder in die USA zu schicken, und diese Mittelschicht ist es, die Bücher liest, und aus dieser Mittelschicht stammen auch die Autoren und Autorinnen, denen wir diesen Boom der nigerianischen Literatur verdanken. Der erste afrikanische Literaturnobelpreisträger, sollte man noch mal dran erinnern, war ein Nigerianer, nämlich Wole Soyinka.
Scholl: Diese modernen nigerianischen Autoren und Autorinnen, die schreiben fast sämtlich auf Englisch, was natürlich wahrscheinlich dadurch zustande kommt, dass sie immer woanders studieren, woanders leben, ist das der Grund?
Löffler: Nicht nur. In Nigeria leben ja mehr als 500 Ethnien und Volksgruppen, die sprechen mehr als 500 Sprachen, aber die Amtssprache des Landes, und damit natürlich auch die Literatursprache, ist Englisch. Das sind sozusagen die positiven Nachwirkungen der Kolonialzeit, die Erziehung der Nigerianer an britischen Missionsschulen.

Das Trauma Biafra wirkt nach

Scholl: Diese ältere Autorengeneration, die Sie gerade schon angesprochen haben, Frau Löffler, Wole Soyinka oder man kann auch Chinua Achebe nennen, hat ja vor allem die Schäden thematisiert, die der Kolonialismus in Nigeria angerichtet hat. Diese jüngere, jetzt inzwischen zu Weltruhm gelangte Generation hat diesen Kolonialismus ja biografisch allein schon hinter sich gelassen. Mit welchen Themen beschäftigen sich diese denn?
Löffler: Diese jüngeren Autoren, die pendeln zwischen Nigeria und dem Westen hin und her. Sie praktizieren sozusagen eine mobile transnationale Existenzweise, und das bedeutet natürlich, dass sie über eine doppelte Perspektive auf die Welt verfügen, Blick von außen und Blick von innen, kraft Herkunft verfügen sie über die Innenperspektive und kraft biografischer Mobilität auch über den Blick von außen. Da blicken sie als kritische Migranten auf den Westen und als aufgeklärte Weltbürger auf ihr Herkunftsland, und das prägt natürlich auch ihre Themen und ihre Erzählstoffe.
Das Zentrum von Ikeja, einem Stadtteil von Lagos, Nigeria. 
Das Zentrum von Ikeja, einem Stadtteil von Lagos, Nigeria. © picture alliance / dpa / Ahmed Jallanzo
Scholl: Nun haben Sie die 500 Ethnien schon genannt in Nigeria. Man hört ja immer auch von diesen massiven ethnischen und religiösen Konflikten zwischen dem armen islamischen Norden und dem boomenden christlichen Süden des Landes. Ist das auch ein Thema dieser Literatur?
Löffler: Ja, das ist sogar ein zentral wichtiges Thema, denn das ist ja der eigentliche Geburtsfehler Nigerias. Das Land ist seit jeher zerrissen zwischen diesen verfeindeten Volksgruppen, dem rückständigen islamischen Norden und dort, wo heute die Terrormilizen der Boko Haram wüten, und diesem wirtschaftlich boomenden christlichen Süden, der sich vor 50 Jahren sogar mal abspalten wollte, einen eigenen Staat gründen wollte, die Republik Biafra. Dieses Trauma Biafra, das wirkt immer noch nach, das schwelt weiter in den Köpfen, und das wird auch in der Literatur immer wieder thematisiert.

Mühsal der eigenen Identitätsbestimmung

Scholl: All diese hochgebildeten nigerianischen Autoren, die jetzt zumindest teilweise im Westen leben, die thematisieren natürlich auch immer wieder die Erfahrung dieser transnationalen Existenz, im Pendeln zwischen Ost und West. Wie beschreiben sie denn jetzt umgekehrt diesen Westen?
Löffler: Autoren, nennen wir mal Teju Cole oder Taiye Selasi oder Chimamanda Adichie, die thematisieren die heutigen Erscheinungsformen des Rassismus im Westen. Sie erzählen von diesen vielfältigen, sehr subtilen Zurückweisungen, die ihnen wegen ihrer Hautfarbe in den USA widerfahren, gerade in aufgeklärten liberalen Milieus, die sich immer so viel zugutehalten auf ihre Toleranz und Vorurteilslosigkeit. Immer wieder geht es bei diesen Autoren um den Konflikt zwischen der Selbstwahrnehmung und der Fremdwahrnehmung von außen, wo sie immer noch als Fremde, als Andere wahrgenommen werden. Es geht also um die Mühsal, die eigene Identität zu bestimmen.
Scholl: Sie haben uns auch eine Liste gemacht, die wir später auf unserer Onlineseite veröffentlichen. Da fallen Namen, die habe ich noch nie gelesen: Elnathan John oder Helon Habila. Was schreiben die?
Ein Pipeline-Brand in Lagos, Nigeria, Mai 2008.
Pipeline-Brände sind keine Seltenheit in Nigeria, dem größten Erdölproduzenten Afrikas. © picture alliance / dpa / epa George Esiri
Löffler: Helon Habila hat einen unglaublich interessanten Roman geschrieben über eine der größten Umweltkatastrophen der Erde, die im Nigerdelta, dort, wo die großen Erdölvorkommen sind und wo durch schadhafte Pipelines die Lebensgrundlage der Menschen dort seit Jahrzehnten zerstört wird. Die Fischgründe sind verpestet, die Felder der Bauern sind nicht mehr brauchbar, alles das beschreibt er. Helon Habila, und er macht auch namhaft, wie es dazu gekommen ist, dass es westliche große Erdölkonzerne sind, die das Erdöl dort ausbeuten, wovon aber die Menschen im Lande kaum etwas haben.
Scholl: In dem Zusammenhang kann man auch an den Autoren und Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa erinnern, der wegen seines friedlichen Protestes gegen die Ölpest im Delta 1995 unter dieser Militärdiktatur hingerichtet wurde.
Löffler: Ja, ganz richtig. Ken Saro-Wiwa gehört auch zu den großen Pionieren und Vorläufern, die eigentlich jetzt bereits der nächsten Generation Platz macht, die sich aber immer wieder in ihren eigenen Büchern auch auf die großen Vorgänger beruft.

Die Stadt, in der nichts funktioniert

Scholl: Ein Autor, der bei uns inzwischen auch sehr bekannt wurde, ist der Fotograf und Autor Teju Cole. Was zeichnet ihn so besonders aus?
Löffler: Teju Cole ist natürlich einer dieser hochgebildeten Nigerianer im Westen, er ist Kunsthistoriker, er ist Fotograf, und sein geradezu Standardwerk ist der Roman "Open City". Das ist ein Stadtroman über New York. New York ist ja eigentliche der Prototyp der weltoffenen Stadt, wo Diversität der Ethnien gefeiert wird, und er zeigt aber auch, wie ein Nigerianer durch diese Stadt geht, diese kulturellen Milieus alle zu seiner Verfügung hat, andererseits aber auf vielfältige Art auch erleben muss, dass er wegen seiner Hautfarbe dann doch immer wieder hervorsticht. Es ist offensichtlich den Weißen auch New Yorkern unmöglich, zu ignorieren, dass der andere eine andere Hautfarbe hat. Davon handelt dieser Roman, aber Teju Cole ist auch einer, der sich mit seinem Heimatland, seinem Herkunftsland auseinandersetzt, namentlich mit der Urbanisierung, mit diesen explodierenden Megacitys, namentlich der großen Wirtschaftsmetropole Lagos. Er hat einen großen Stadtroman über Lagos gerade in Arbeit, hat aber auch bereits darüber geschrieben, dass es ihm eigentlich unmöglich ist, dort zu leben wegen der Korruption, weil dort nichts funktioniert – die Verkehrsstaus, die ständigen Stromsperren – dass man sich dort eigentlich nicht mehr wohlfühlt. Das, glaube ich, wird auch das Thema seines großen Stadtromans über Lagos werden.
Verkehrsstau in der nigerianischen Hauptstadt Lagos.
Verkehrsstau in der nigerianischen Hauptstadt Lagos.© Getty Images Europe
Scholl: Was wäre für Sie der wichtigste Grund, dass wir diese Literatur, diese Vielfalt aus Nigeria lesen sollen, vielleicht auch sogar lesen müssen?
Löffler: Ich glaube, die Literatur aus Nigeria schärft und bereichert unsere Weltwahrnehmung. Sie öffnet uns die Augen für neue Erfahrungsräume und überhaupt für die Erzählwelten dieser Autoren, von denen wir bisher gar nichts wussten, und das macht die Literatur aus Nigeria so ungeheuer vielfältig, so welthaltig und auch so aufregend.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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