Kenianische Literatur

Schreiben in Zeiten postkolonialen Selbstbewusstseins

08:35 Minuten
Der kenianische Schriftsteller Ngugi wa Thiong'o.
Kenianischer Star-Autor Ngugi wa Thiong'o, hier 2017 in Spanien. © imago/Agencia EFE/ALEJANDRO GARCIA
Von Andreas Baum · 07.03.2019
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Lange haben die kenianischen Autoren versucht, britisches Englisch zu schreiben und wurden nicht gelesen. Das änderte sich, seit der "Sound" in Büchern klingt wie die Sprache auf der Straße.
Kenia ist ein Land, in dem soziale, kulturelle und ökonomische Gegensätze aufeinandertreffen, nebeneinander leben, sich gegenseitig beeinflussen. Es gibt in Kenia, besonders in seiner Hauptstadt Nairobi, moderne und westliche Lebensweisen, aber auch traditionelle und sehr ursprüngliche Vorstellungen, die in einer Familie, nicht selten in einer Person – nicht immer friedlich – koexistieren. Diese Widersprüche prägen auch die aktuelle kenianische Literatur auf inhaltliche wie formale Weise.
Es ist eine Gesellschaft zwischen Emanzipation und Brautpreis – so zeigt sie sich in den Erzählungen feministischer Autorinnen Joan Thatia oder Muthoni Wa Gichuru. Vergangenheit und Gegenwart existieren nebeneinander: Die Kolonialzeit scheint nicht wirklich vorbei, sie ist nicht einmal vergangen, wie es Peter Kimani sagt. Er ist seit seinem in London publizierten "Dance of the Jakaranda" international als Schriftsteller erfolgreich. Kimani veröffentlicht in den USA und Großbritannien. Er gilt als wichtiger Schüler des wohl bekanntesten kenianischen Autors Ngugi wa Thiong'o, der heute im US-amerikanischen Exil lebt, nachdem er in Kenia verfolgt wurde. Obwohl das Ende der Kolonialzeit 55 Jahre her ist, sieht Kimani ihre Kräfte in der kenianischen Gesellschaft fortwirken.
"Ich denke, wir bleiben ein koloniales Konstrukt", sagt Peter Kimani. Ich rede mit Ihnen gerade nicht auf Kiswahili – das ist meine Sprache – oder auf Kikuyu, sondern auf Englisch. Das Erbe der Kolonialzeit ist sehr präsent im Alltag der Kenianer. Auf eine Art sind wir immer noch Untertanen des Empire."
Die Großstadt Nairobi, sagt Kimani, ist bis heute nach Ethnien geordnet – ein Überbleibsel der britischen Kolonialzeit.

Anteile von zehn Sprachen in einem Roman

In Kimanis auf Englisch geschriebenem "Dance of the Jakaranda" finden sich Anteile von zehn Sprachen. Die Vielsprachigkeit ist mittlerweile ein Kennzeichen der Literatur Kenias. Typisch für den hier entstehenden Nairobi Style ist eine Mischung aus Englisch – der dominierenden kenianischen Literatursprache – mit alltagssprachlichen Anteilen aus Kiswahili, Kikuyu, dem Arabischen, Hindi, Luo, Kisi und vielen anderen lokalen Sprachen. Der typische Kenianer spricht mindestens drei Sprachen, seine lokale, die lingua franca Kisuaheli und Englisch. So ergibt sich in der kenianischen Literatur ein Sound aus vielen Klängen.
Lange haben die kenianischen Autoren versucht, britisches Englisch zu schreiben und wurden nicht gelesen, sagt die Jugendbuchautorin Muthoni Wa Gichuru. Erst seit sie den Mut haben, so zu schreiben, wie ihre Wirklichkeit klingt – früher hätte man gesagt: dem Volk aufs Maul zu schauen – hat der Nairobi Style Erfolg.
"Dadurch, dass wir Wörter auf Kikuyu oder Luo einstreuen, wird der Text zu etwas unverwechselbar Kenianischem", sagt Gichuru. "Das ist etwas ganz anderes als das britische Queen’s English – das ist einfach nur kalt und trocken."


Lokale Sprachen zu benutzen, sogar ganz in ihnen zu schreiben, wie es Kenias Literatur-Star Ngugi wa Thiong'o auf Kikuyu getan hat, gilt als politisch, als Zeichen wachsenden kulturellen und postkolonialen Selbstbewusstseins.
Die Themen der Nairobi-Literatur sind modern und gleichzeitig traditionell. In vielen, im Großstadtsmog entstehenden Geschichten hallt eine Erinnerung an das Leben im Dorf wieder. Alte Mythen treffen auf den Alltag in der Metropole, afrikanische Götter auf Großstadtbewohner. Viele Menschen, die im rasant wachsenden Nairobi leben, sind aus der Provinz zugewandert. Geschichten entstehen im täglichen Verkehrschaos Nairobis, in den Slums wie in den bürgerlichen, gut bewachten Vororten. Den Massai begegnet man heute am Zeitungskiosk und jeder Sammeltaxi-Fahrer kann sich als orientalischer Erzähler entpuppen, während viele junge Kenianer sich von den Ketten der traditionellen afrikanischen Familienvorstellungen lösen wollen.
Fahrgäste steigen in einen Bus. Strassenszene in Nairobi, Hauptstadt von Kenia.
Nairobi: Jeder Sammeltaxi-Fahrer kann sich als orientalischer Erzähler entpuppen.© imago/photothekThomas Imo

Kenianische Verleger drucken nur Preisträger

Die allermeisten kenianischen Autoren sind self publisher. Gedruckt von kenianischen Verlagen oder gar von internationalen werden nur solche, die Aufmerksamkeit erregen, indem sie Preise gewinnen – nationale, besser internationale. Bei Muthoni Wa Gichuru ist das der Fall gewesen – sie gewann den Jomo Kenyatta Prize –, auch bei Peter Kimani und Makena Onjerika. Sie wurde bekannt, weil sie mit einer Story den in London vergebenen Caine-Prize for African Writing gewann und es dadurch bis ins deutsche Fernsehen zu Dennis Scheck geschafft hat. Der Weg in die Buchhandlungen Nairobis führt leider immer noch durch die Jurys und Verlage in London und New York.
Aber es gibt Ausnahmen wie Tony Mochama, der in Kenia zehn Bücher veröffentlicht hat, Romane und Sachbücher, und so in seiner Heimat ein Star-Autor geworden ist. Sein neuestes Buch ist ein im Jahr 2061 spielender Science-Fiction-Roman – in einem zugleich utopischen und dystopischen Nairobi. Auch Tony Mochama glaubt an einen Nairobi-Style, der sich hier täglich neu erfindet:
"Es gibt ein Nairobi-Feeling, das die Leute in ihren Texten einfangen wollen. Es hat etwas von den Matatus, den typischen Sammeltaxis, in denen Nairobis Bewohner einen großen Teil ihrer Lebenszeit verbringen. Der Verkehr spielt eine große Rolle, aber auch die urbane Landschaft und die Korruption. Die ist hier typisch und sie kommt von ganz oben."
Von einer lupenreinen Demokratie ist Kenia weit entfernt, aber heute landen Schriftsteller für ihre kritischen Texte nicht mehr hinter Gittern. Unter Daniel Arap Moi wurde Ngugi wa Thiong'o noch wegen eines Romans verhaftet, gefoltert und musste schließlich das Land verlassen. Jetzt wird über Feminismus, Gewalt, Korruption, Rassismus, Emanzipation und Gleichberechtigung geschrieben. Aber immer noch brauchen die meisten Autoren einen Zweitjob, um über die Runden zu kommen. Tony Mochama arbeitet zum Beispiel als Journalist für die Zeitung "The Nation".

Die besprochenen Bücher:

Peter Kimani: "Dance of the Jakaranda"
Telegram, London, 2018

Tony Mochama: "Last Mile Bet, Afro-futuristic long novel"
Oxford University Press, 2018

Muthoni wa Gichuru: "Breaking The Silence"
Ebook, Nairobi 2011

Ngugi wa Thiong'o: "Herr der Krähen"
Aus dem Englischen von Thomas Brückner
A1 Verlag, München 2011


Offenlegung: Andreas Baum war Ende Februar als Autor zu Gast beim Goethe-Institut in Nairobi. Dort las er aus seinem Roman und nahm als Gast an mehreren Workshops teil.
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