Lisa Taddeo: "Animal"

Sex, Gewalt und grelle Farben

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Buchcover zu Lisa Taddeo: "Animal"
Gehobener Trash im Geiste Tarantinos: "Animal" von Lisa Taddeo. © Deutschlandradio/Piper
Von Ursula März · 02.10.2021
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Heiß begehrt oder achtlos benutzt: Joans Gefühlsleben kennt nur Extreme. Bestsellerautorin Lisa Taddeo macht aus dem Trauma der Mittdreißigerin einen schrillen Trash-Roman. Provokation und Übertreibung sind Programm.
"Ich musste weg aus New York, wo sich ein Mann vor meinen Augen erschoss. Er war ein gefräßiger Mann, und das Blut, das herausströmte, sah aus wie das Blut eines Schweins." So hart im Ton, so schonungslos in der Beschreibung beginnt "Animal", der Debütroman von Lisa Taddeo.
Vor zwei Jahren löste die amerikanische Autorin mit ihrem internationalen Bestseller "Drei Frauen", der in drei dokumentarischen Geschichten das weibliche Sexualleben erforscht, heftige Diskussionen aus. Vor allem von der deutschen Kritik wurde ihr vorgehalten, ein geradezu reaktionäres Frauenbild zu kultivieren.
Tatsächlich sind die drei Protagonistinnen alles andere denn Heldinnen der autonomen Selbstbehauptung. Dem Wunsch, geliebt, anerkannt und begehrt zu werden, ordnen sie ihr eigenes Begehren allzu gern unter. Eben darin, so lautete das Gegenargument, läge die Sprengkraft des Buches. Es beleuchte Aspekte der weiblichen Psyche, die der zeitgenössische Feminismus nicht wahrhaben wolle.

Beschädigtes Liebesleben

Nun ist "Animal" kein Sachbuch, sondern literarische Fiktion. Aber die Widersprüche und Konflikte, die der Roman behandelt, sind die gleichen. Die Ich-Erzählerin heißt Joan, eine Mittdreißigerin, hinter der ein ebenso bewegtes wie beschädigtes Liebesleben liegt.
Geprägt von Männern, die Joan grausam benutzten. Oder von Männern, die sie nicht weniger achtlos benutzte. Wie ihren Chef einer Werbeagentur, der sie protegierte und sich vor ihren Augen in einem Restaurant erschießt, wo Joan mit einem anderen Mann am Tisch sitzt. Einem, nach dem sie sich wiederum verzehrt und für den sie nichts anderes ist als das Objekt schneller Befriedigung.
Joans Gefühlshaushalt kennt nur Extreme. Er schwankt zwischen unterwerfungsbereiter Sehnsucht und stumpfer Gefühlskälte. Beides aber sind die Folgen eines Traumas. Als Joan zehn Jahre alt war, erstach ihre Mutter ihren Vater, nachdem sie erfahren hatte, dass seine Geliebte ein Kind von ihm erwartet. Danach brachte sie sich selbst um. Joan selbst wurde nur einen Tag zuvor Opfer von sexuellem Missbrauch, zwei Tage vorher ihre siebzigjährige Großmutter vergewaltigt. Mehr Gewalttaten und familiäre Schreckensereignisse kann ein Roman im Zeitraum von etwa 70 Stunden kaum bündeln.

Wie ein Tarantino-Film

Zu Beginn der Erzählung verlässt Joan New York und geht nach Los Angeles, um nach ihrer Halbschwester Alice zu suchen. Ihre letzte lebende Verwandte, von der sie sich Hilfe und Verständnis erhofft. Und tatsächlich kommt es am Ende des Romans zu einer Art Happy End. Bis dahin aber geizt er nicht mit drastischen Szenen, grellen Motiven und thrillerhaften Elementen, inklusive einem weiteren Mord.
"Animal" ist ein Roman aus dem Geist der Provokation und der plakativen Übertreibung. Mit den Maßstäben des literarischen Realismus lässt er sich kaum bewerten, eher mit denen des gehobenen Trashs eines Quentin-Tarantino-Films. So betrachtet ist Lisa Taddeo ein Stück rasante Literatur gelungen, von dem anzunehmen ist, dass es wieder Diskussionen hervorruft.

Lisa Taddeo: "Animal"
Aus dem Amerikanischen von Anne-Christin Mittag
Piper Verlag, München 2021
416 Seiten, 22 Euro

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