Medikamentenmangel

Kein Blutdrucksenker, kein Fiebersaft

07:41 Minuten
Eine leere Medikamentenpackung auf einem rosa Hintergrund.
"Auch dass Verpackung und Blistermaterial fehlt, führt zum Ausfall bestimmter Produkte", sagt Apothekerin Anke Rüdinger. © Getty Images / Javier Zayas
Von Anja Nehls · 13.01.2023
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Deutschland war einmal die Apotheke der Welt. Heute ist die Liste an nicht lieferbaren Medikamenten lang. Die Berliner Apothekerin Anke Rüdinger sieht als Hauptursache der Lieferengpässe, dass die Produktion ins Ausland verlagert wurde.
Anke Rüdinger, Chefin der Castello-Apotheke in Berlin-Lichtenberg, guckt auf eine lange Liste roter Punkte in ihrer Datenbank. Seit Monaten gibt es bereits Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten. Das betrifft Blutdrucksenker und Krebsmedikamente, genauso wie Antibiotika oder freiverkäufliche Arzneimittel. „Zum Beispiel steht da oben Aspirin plus C", sagt sie und zeigt auf ein Fach im Regal des Verkaufsraums, "da haben wir gestern mal drei Packungen bekommen, aber davor war halt ne Lücke".
Sie versuche, die Apotheke so zu gestalten, dass der Mangel nicht auffällt. Wer nach bestimmten Präparaten sucht, wird unter Umständen dennoch enttäuscht, meint Anke Rüdinger. Ein Hauptgrund dafür sei die aktuelle Infektionswelle in Deutschland, speziell auch in Berlin. In dieser Dimension hätte es sie jetzt zwei Jahre lang nicht gegeben. "Und dadurch ist die Nachfrage speziell nach diesen Erkältungspräparaten besonders groß. Die kann eben mit der normalen Produktion nicht befriedigt werden.“

Apotheken stellen Medikamente her

Fiebersaft für Kinder ist beispielsweise kaum oder gar nicht mehr zu bekommen. Viele Apotheken sind deshalb inzwischen dazu übergegangen, dieses Medikament selbst herzustellen. Auch Anke Rüdingers Apotheke: „Wir stellen Paracetamolsaft dann aus Tabletten her, weil die Paracetamol-Substanz schon auch nicht mehr lieferbar ist. Das heißt, die Tabletten werden gemörsert und werden dann mit kleinen Mengen von dieser Grundlösung angerieben und dann gibt man immer mehr dazu bis dann eben diese 100 ml Saft entstanden sind.“
Das hilft dann Müttern und Vätern mit fiebernden Kleinkindern, bedeutet aber mehr Arbeit und Zeitaufwand für die Apotheken. Man bemühe sich um jeden einzelnen Kunden, sagt Mitarbeiterin Ulrike Würtz. Das gelte vor allem dann, wenn es um Medikamente gegen schwere Erkrankungen geht, die man nicht mit Hausmittelchen behandeln kann: „Wir finden eigentlich immer entweder mit dem Patienten oder mit dem Arzt zusammen eine Lösung, wie der Patient trotzdem versorgt werden kann."
Meist könne Anke Rüdinger ein Medikament mit dem verschriebenen Wirkstoff noch irgendwo beschaffen. Kompromisse müssten die Patienten mitunter dennoch machen: zum Beispiel eine andere Firma akzeptieren. „Da haben wir schon auch etliche Diskussionen", sagt Rüdinger, "und müssen viel beruhigen, erklären und dafür sorgen, dass die Patienten eben trotzdem Vertrauen zu ihren Arzneimitteln haben.“

Wirkstoffproduktion in Asien

Nie sei der Aufwand für die Apotheken so enorm gewesen wie derzeit, kritisiert Anke Rüdinger, die gleichzeitig Vorsitzende des Berliner Apothekervereins ist. Ware zu beschaffen dauere länger und funktioniere kaum noch ohne Telefonate mit Herstellern und Großhandel. Und Schuld am Mangel von Cholesterinsenkern, Bluthochdruckmitteln oder Krebsmedikamenten seien keineswegs besonders viele Kranke.

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Viel größer sei das Problem, "dass die Wirkstoffproduktion in Drittländer ausgelagert wurde, hauptsächlich nach Asien", sagt Rüdinger, "wo dann eben Lieferketten abbrechen." Ursachen dafür seien vielfältig. So könne ein Qualitätsmangel festgestellt worden sein oder der Wirkstoff werde lieber in ein anderes Land verkauft, weil dort mehr gezahlt wird.
In Deutschland wird laut Rüdinger für Arzneimittel, besonders für generische Arzneimittel, inzwischen von den Krankenkassen sehr wenig gezahlt. "Und wir haben auch die Problematik, dass Verpackung fehlt, dass Blistermaterial fehlt, dass Pappe für die Kartons fehlt, dass der Dosierspender fürs Nasenspray fehlt." Auch das führe letztendlich zum Ausfall bestimmter Produkte.

Unabhängiger bei Antibiotika

Zumindest künftig soll nun auch in Deutschland für bestimmte Medikamente mehr bezahlt werden, das sieht ein geplantes Gesetz vor. Damit wäre die Produktion für Anbieter in Europa wieder attraktiver, da dort die Herstellungskosten höher sind, als beispielsweise in Indien. Höchste Zeit, findet Anke Rüdinger, schließlich sei Deutschland früher die Apotheke der Welt gewesen und nun von anderen abhängig.
Rüdinger zufolge fordern Apotheker deshalb schon länger, "dass wir die Produktion von wichtigen Arzneistoffen wieder nach Europa holen." "Gerade was Antibiotika anbelangt", betont sie, "sollten wir uns ein Stück weit unabhängiger machen“. Bis es so weit ist, könnten allerdings Jahre vergehen.
Ob die höheren Preise, die nun von den Kassen zum Beispiel für Kindermedikamente gezahlt werden sollen, wirklich die Lieferprobleme bekämpfen oder nur die Pharmakonzerne reich machen, sei ebenfalls unklar, warnen Kritiker.
Sich bei nicht lieferbaren Medikamenten an den Schubladen der Nachbarn zu bedienen, sei aber auch keine gute Idee, warnt Anke Rüdinger und: „Man sollte auf keinen Fall Arzneimittel einnehmen, deren Verfallsdatum erreicht ist. Es kann sein, dass der Wirkstoff sich zersetzt und dann Stoffe entstehen, die dem Körper schaden. Nach dem Verfallsdatum ist es angezeigt, das Präparat zu entsorgen.“
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