Lettische Politikerin über Griechenland

"Jemand muss ja etwas tun"

Die frühere lettische Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga
Die frühere lettische Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga © dpa / picture alliance / Pawel Supernak
14.07.2015
Die frühere lettische Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga hat das Engagement Deutschlands bei der Bewältigung der Griechenland-Krise begrüßt. Die starke deutsche Rolle mache ihr keine Sorgen, sagte Vike-Freiberga.
Die frühere lettische Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga hat das Engagement Deutschlands bei der Bewältigung der EU-Finanz- und Griechenlandkrise begrüßt.
Die starke deutsche Rolle mache ihr keine Sorgen, so die frühere stellvertretende Vorsitzende der "Reflexionsgruppe" der Europäischen Union am Dienstag im Deutschlandradio Kultur. "Im Gegenteil. Ich glaube, wir freuen uns darüber. Jemand muss ja etwas tun, und wenn die Kanzlerin etwas schaffen kann, dann sind wir also dankbar."
Dem von manchen Experten und Politikern geäußerte Vorschlag einer Rückbesinnung der EU auf ein sogenanntes Kerneuropa erteilte Vike-Freiberga hingegen eine Absage. "Es klingt in meinen Ohren so, als hätte man ein starkes Deutschland im Kern Europas - punktum", sagte sie. "Es ist ein bisschen mindestens egozentrisch als eine Weltanschauung."
Kritisch äußerte sich Vike-Freiberga zur Rolle der griechischen Regierung in der Krise. Was man von Griechenland gesehen habe, sei "ein bisschen enttäuschend". Nach Auffassung vieler seien Griechenlands derzeitige politische Repräsentanten nicht ernsthaft an einer Lösung interessiert. Es sehe im Gegenteil für manche so aus, als wollten sie aus ideologischen Gründen die Krise haben. "Wenn es so ist, dann ist es wirklich gefährlich."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Sie hören "Studio 9" am Tag eins nach der Lösung im Streit zwischen Griechenland und den Europartnern - eine Lösung, bei der man ahnt, sie mag praktisch und sie mag gut sein, und sie mag das Beste sein, was in dieser Situation möglich war, und doch haben ja wahrscheinlich alle seit Monaten ein Gefühl: So kann es mit Europa nicht weitergehen. Wir haben gestern an dieser Stelle mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler gesprochen, der die Situation recht nüchtern analysierte.
Herfried Münkler: Man kann sagen, Europa hat schon mal sehr viel besser dagestanden, und einige Integrationsschritte, die entweder überhastet oder nachlässig, um nicht zu sagen schlampig durchgeführt worden sind wie etwa die Aufnahme Griechenlands in den Euro-Raum, haben die inneren Sprengkräfte erhöht. Also der Euro hat nationale Ressentiments hervorgekitzelt, von denen man vermutlich vor 10, 15 Jahren sich gar nicht hätte vorstellen können, dass die wieder da sind.
Frenzel: Herfried Münkler im Deutschlandradio Kultur. Wir wollen diese Debatte fortsetzen, und ich freue mich, die frühere lettische Präsidentin Vaira Vike-Freiberga begrüßen zu können. Sie war 2007 im sogenannten Rat der Weisen, ein Kreis, der Vorschläge für ein Europa entwickeln sollte nach der gescheiterten europäischen Verfassung. Frau Vike-Freiberga, guten Morgen!
Vaira Vike-Freiberga: Guten Morgen!
Frenzel: Hat der Euro Europa, der gemeinsamen Idee von Europa eher geschadet als genutzt, so wie es Herfried Münkler gerade gesagt hat?
Vike-Freiberga: Das wollen wir ja schon sehen. Ich hoffe nicht. Die Hoffnung war ja, dass es uns alles erleichtern würde, und wir in Lettland haben es so auch gefunden, dass für unsere Geschäftsleute es doch einfacher ist, mit anderen Ländern zu tun zu haben, ohne dass man immer das Geld auch wechseln muss - also so einfache Dinge. Das war ja das Ziel. Aber leider, da haben diese Regeln und Regulationen über, wie jedes Land seine Finanzen führt ... Also das war nicht angesprochen. Man hat gehofft, dass jedes Land natürlich alles tut, wie es sein sollte, und wenn es das nicht tut – da war kein Mechanismus, um was darüber zu schaffen.
Frenzel: Wie besorgt sind Sie denn, wenn Sie auf den heutigen Zustand der EU schauen?
Vike-Freiberga: Na ja, wir haben ja immer gehofft, dass Europa besser für uns alle wird, als eine vereinigte Union von freiwilligen Staaten. Und was wir da von Griechenland aus gesehen haben, ist ja ein bisschen enttäuschend, weil viele haben mir gesagt von verschiedenen Ländern in Europa, dass sie gemerkt haben, dass die Leute, die Griechenland jetzt politisch repräsentieren, scheinen gar nicht ernst zu sein über so eine Lösung der Situation. Ganz anders: Es sieht für manche so aus, als wollten sie eine Krise haben, und das aus ideologischen Gründen. Also wenn es so ist, dann ist es wirklich gefährlich.
Frenzel: Die Krise ist ja nicht allein eine griechische, auch wenn wir im Moment vor allem auf Griechenland schauen. Wir haben viele andere Krisensituationen innerhalb der Europäischen Union. Wir haben die Situation in Ungarn, wo eine Regierung ja einen sehr eigenen Weg geht, wir haben die Flüchtlingssituation.
Insgesamt könnte man den Eindruck haben, diese Europäische Union ist in einem Zustand, in dem sie dringend renovierungsbedürftig ist. Sie waren ja 2007 im Rat der Weisen, im sogenannten Rat der Weisen, der gegründet wurde als Reaktion auf das doppelte Nein auf die europäische Verfassung in Frankreich und den Niederlanden. Bräuchten wir denn heute wieder so einen Rat oder so eine Reflektion, zu überlegen: Was müssen wir eigentlich mit diesem Europa machen, dass es wieder besser dasteht?
"Wenn die Kanzlerin etwas schaffen kann, dann sind wir dankbar"
Vike-Freiberga: Ich glaube, wir würden nicht unsere Meinung ändern, über was Europa tun sollte, was inzwischen passiert ist, also manches, das wir nicht erwartet hatten, dass eine wirklich tiefe ökonomische Krise uns (...) würde, und ich glaube, wenn Europa ... Wenn es allen gut geht, dann sind sie zufrieden mit der Situation. Wenn die Krise kommt, dann, ich glaube, dann suchen die Leute andere Lösungen, und da bekommen sie also Vorräte von den extrem Linken oder den extrem Rechten, die sagen, also alles geht schief auf der ökonomischen Ebene, wir werden es anders tun, und dann wird es besser.
Ich glaube, ein jeder Bürger will ja erstens ein besseres Leben haben, und wenn jemand ihm das als Ziel vorstellt, dann natürlich glauben sie, dass es besser wird. Also wenn man dann also wie in Spanien oder Griechenland so viele Arbeitslose hat - natürlich muss das Folgen haben, auch auf der politischen Ebene.
Frenzel: Herfried Münkler, den wir anfangs ja schon gehört haben, sieht das Hauptproblem in der Überdehnung der EU, die Europäische Union ist schlicht zu groß geworden, und seine Antwort auf dieses Problem, die lautet so:
Münkler: Nun, ich denke, aus meiner Sicht wird es darauf ankommen, die Europäische Union dahingehend umzubauen, dass es einen inneren Kern gibt, also das Kerneuropa, der stark genug ist, die zentrifugalen Kräfte, die wir jetzt in den letzten Wochen und Monaten beobachtet haben, zu bändigen.
Frenzel: Frau Vike-Freiberga, brauchen wir ein Kerneuropa?
Vike-Freiberga: Na ja, es klingt in meinen Ohren so, als ob man so ein starkes Deutschland hätte am Kern Europas, Punktum, ja, weil: Was geschieht denn mit Spanien, mit Italien, Griechenland, ...
Frenzel: ... oder dem Baltikum.
Vike-Freiberga: ... und natürlich die Neuen, zehn Jahre später, man nennt die immer die neuen Länder, also das Baltikum vielleicht? Es ist ein bisschen mindestens egozentrisch als eine Weltanschauung.
Frenzel: Macht Ihnen denn - Sie haben es gerade so in einem Nebensatz angesprochen - diese starke deutsche Rolle, die wir in den letzten Monaten, ja, eigentlich in den Jahren seit Ausbruch der Eurokrise erlebt haben, macht Ihnen diese starke deutsche Rolle Sorgen?
Vike-Freiberga: Im Gegenteil, ich glaube, wir freuen uns darüber. Jemand muss ja etwas tun, und wenn die Kanzlerin etwas schaffen kann, dann sind wir also dankbar.
Frenzel: Vaira Vike-Freiberga, ehemals Präsidentin Lettlands. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch!
Vike-Freiberga: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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