Lakonisch Elegant trifft 54books

Wer braucht heute noch Genies?

28:55 Minuten
Eine Person mit nacktem Oberkörper und gesenktem Kopf steht vor einer Wand, auf die eine Projektion geworfen wird.
Wahnsinnig oder genial? © imago images/Shotshop
Von Simon Sahner, Nicole Seifert und Johannes Nichelmann · 27.01.2022
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Wie crazy, brutal oder narzisstisch muss man sein, um als Genie in der Kunst zu gelten? Die Antwort einiger Schriftsteller oder Schauspieler: ja. Wir sprechen über den Geniekult in der Kunst, seine Geschichte und sein mögliches Ende.
Schauspielgenie Klaus Kinski soll seine Tochter missbraucht haben. Schriftstellergenie Norman Mailer hat seine Frau im Streit mit einem Messer schwer verletzt. Dem französischen Über-Schriftsteller Michel Houellebecq wird nachgesagt, wahlweise Frauenhasser, Rassist und islamophob zu sein – oder alles zusammen.
Die Welt der Kunst ist voller problematischer Genies. Ihrer Popularität tut das auch heute kaum einen Abbruch. Bei Mailer musste erst die Debatte um einen Essay kommen, in dem er das N-Wort verwendet, damit der ursprüngliche Verlag einen Essayband zurückzieht. Eine Situation, die Mailers Sohn Michael folgendermaßen krass kommentierte: "If the brutish forces of fascism couldn’t cancel writers like my father Norman Mailer, why can the woke warriors?"

Aufregend, wild, genial

Klingt nach „Cancel-Culture-Debatte“, aber bei uns geht es vor allem um diese unheilige Verbindung von Genie und Wahnsinn. Immer wieder wurden Schriftstellern wie Mailer so schöne Adjektive wie „aufregend“ oder „wild“ als Typenbeschreibung zugeordnet, trotz brutaler Attacken auf Frauen, trotz ihrer Übergriffe. Hat man dabei das Brutale einfach übersehen – oder gehörte es eben schlicht zum Genie dazu, alle (moralischen und menschlichen) Grenzen zu überschreiten?

Das altertümliche “Genie”

Woher kommt diese Sehnsucht nach einer Genie-Darstellung von Kulturmenschen, egal ob sie Literatur oder andere Arten von Kunst hervorbringen? Was ist überhaupt ein Genie? Wie wird denn dann eigentlich das weibliche Genie beschrieben – oder braucht es hier genau diesen Superlativ hier nicht?
Mit der Autorin Nicole Seifert schauen wir auf die Wahrnehmung von Schriftstellerinnen und deren Schreiben im Vergleich zu den gängigen Einordnungen und Beschreibungen, wenn es Männer betrifft. Brauchen wir Geniekult überhaupt noch oder ist er am Ende gar nicht mehr zeitgemäß?
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