Lakonisch Elegant

#22 Man in the mirror - Was tun mit dem Erbe von Michael Jackson?

36:02 Minuten
Michael Jackson streckt die Handlfäche der linken Hand Richtung Kamera. Er trägt eine Sonnenbrille. Der Hintergrund ist schwarz.
Ist der "King of Pop" unantastbar? Berühren die Vorwürfe gegen den Künstler Michael Jackson auch sein Werk? © Getty Images / Justin Sullivan
Von Christine Watty und Julius Stucke · 07.03.2019
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Die HBO-Dokumentation „Leaving Neverland“ lässt mutmaßliche Missbrauchsopfer von Michael Jackson zu Wort kommen. Es ist eine Doku – und kein Urteil. Die Frage steht dennoch im Raum: Was tun mit dem musikalischen Erbe des "King of Pop"? Weiterhören oder vergessen?
Die HBO-Doku "Leaving Neverland" erweckt den 2009 verstorbenen "King of Pop" wieder zum Leben – mitsamt seiner möglichen Abgründe: Im Film erzählen die zwei mutmaßliche Missbrauchsopfer James Safechuck und Wade Robson ihre Geschichte mit MJ. Vier Stunden lang, detailliert, explizit; begleitet von Archivmaterial und Aussagen ihrer Familien. "Leaving Neverland" ist ein Paradebeispiel des US-amerikanischen Storytelling, musikalisch inszeniert wie ein neuer Serien-Pilot. Einige Kritiker sagen aber auch, die Doku sei viel zu einseitig.
"Leaving Neverland": Erbe ist nicht ungeschehen zu machen
Christine Watty berichtet in dieser Ausgaben von "Lakonisch Elegant. Der Kulturpodcast" von ihren persönlichen Eindrücken der Doku und spricht darüber mit dem kanadischen Musikjournalisten Carl Wilson von slate.com. Ändert die Doku nachträglich etwas in der Wahrnehmung von Jacksons musikalischem Erbe?
Wilson hat ein sehr ausgewogenes Essay geschrieben: "It’s Too Late to Cancel Michael Jackson. Nor would that be going far enough". Es sei einerseits zu spät, Michael Jackson und seine Karriere für ungültig zu erklären, sie nachträglich aus der Geschichte zu streichen. Andererseits dürfe der Stempel "Künstlergenie" keineswegs eine Entschuldigung dafür sein, andere Lebensbereiche einer berühmten Person vollkommen auszuklammern.
Vorübergehender Verzicht auf Musik?
Carl Wilson ist dabei von "Leaving Neverland" überzeugt: "Für mich und auch für viele andere, mit denen ich geredet habe, ist es wirklich bahnbrechend, diese Geschichten mit so vielen Details und auf so ruhige und fokussierte Art und Weise zu hören."
Für den Musik-Kritiker Wilson ist es übrigens ein Unterschied, ob solche Debatten um eine noch lebende Person geführt werden oder wie im Fall Jackson um einen verstorbenen Künstler: "Wenn die Person bereits gestorben ist, ist das meines Erachtens etwas anderes, weil die Gerechtigkeit nun nicht mehr zur Geltung kommen kann. Also müssen wir jeweils persönlich entscheiden, wie unsere Beziehung zu diesem Künstler ist, ob wir uns dessen Kunst noch weiter ansehen wollen, oder nach wie viel Zeit wir wieder dazu zurückkehren wollen."
Die Musik von Michael Jackson beispielsweise eine Weile nicht in der Öffentlichkeit zu spielen, ein vorübergehendes Moratorium, um Menschen mit traumatischen Erfahrungen nicht zu verletzen, hält er für eine mögliche Umgangsweise.
Die Trennung zwischen Person und Werk
Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle Bonn, eröffnet am 22. März eine Ausstellung rund um Michael Jackson. Ändert die Aufregung um die Doku nun etwas? Wolfs deutet an, dass die Ausstellung um Talkrunden zum Thema ergänzt werden könnte – aber im Grunde stattfinden wird wie bisher geplant.
Er sagt im Podcast-Interview: "Eine gewisse Trennung zwischen Person und Werk muss man immer schaffen (…) Das musikalische Werk von Michael Jackson ist meines Erachtens weniger 'anrüchig', als es zum Beispiel die Kunst von einem Balthus oder einem Ernst Ludwig Kirchner ist. Das sind Künstler, die sehr direkt auch mit Pädophilie in Verbindung gebracht worden sind (…), die letztendlich aber auch in ihren Werken eine Rechenschaft davon abgelegt haben."
Außerdem betonte Wolfs, dass es sich bei "Leaving Neverland" um eine Dokumentation – und nicht um ein juristisches Urteil handelt.
Keine definitiven Antworten: Wer glaubt wem mehr?
Der ehemalige "Bravo"-Chef Alex Gernandt hat Michael Jackson oft persönlich getroffen und ihm dabei die Artikel aus der "Bravo" übersetzt. Gernandt glaubt im Gegensatz zum US-Journalisten Carl Wilson an Jacksons Unschuld: "Diese Vorwürfe gibt es immer wieder (…). Ich denke, da geht es um Geltungsdrang, es geht wahrscheinlich um Geldmacherei, die behaupten zwar, sie haben kein Geld vom Produzenten bekommen, das glaube ich persönlich nicht. Ich glaube nach wie vor, dass Michael Jackson so etwas nicht gemacht hat."
Auch bei der Machart der Doku ist er nicht überzeugt wie US-Kollege Wilson, im Gegenteil: "Die ganze Dokumentation ist doch sehr einseitig. (…) Es gibt sehr viele, die 'pro-Michael' sprechen – und hier hat man jetzt die Zwei, die diese große Dokumentation machen. (…) Und es ist ja überhaupt nichts bewiesen, es gibt eigentlich gar keine Anhaltspunkte, außer die Aussage dieser beiden – deshalb muss man da sehr vorsichtig sein."
Am Ende der Diskussion um Michael Jackson wird es keine definitive Antwort auf die ethischen Fragen geben, auch die Frage nach der Wahrheit wird zehn Jahre nach Jacksons Tod immer schwieriger zu beantworten. Aber vielleicht hilft diese Ausgabe von "Lakonisch Elegant. Der Kulturpodcast" bei der Orientierung im posthumen Diskussion um Michael Jackson und beim Finden eines persönlichen Umgangs mit dem Erbe des "King of Pop".

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