Kurzvideoplattform TikTok

Hinter dem Videoschnipsel steckt die Diskursverkürzung

17:16 Minuten
Illustration mit einem roten und einem blauen Megafon, die sich gegenseitig anschreien
Der aktuelle Politikdiskurs passt sehr gut dazu, wie in sozialen Netzen kommuniziert wird, meint Simon Hegelich © imago images / ikon images / roy scott
Simon Hegelich im Gespräch mit Katja Bigalke und Martin Böttcher · 12.06.2021
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Der Wahlkampf steht vor der Tür. In den vergangenen vier Jahren ist die Bedeutung von sozialen Medien stark gestiegen. Vor allem TikTok erreicht viele junge Menschen. Welchen Einfluss hat das auf die Wahl?
Im September wird ein neuer Bundestag gewählt. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der Wahlkampf hart wird. Social Media hat deswegen eine besondere Bedeutung. Wer gezielt junge Leute erreichen will, hat vor allem auf der Kurzvideoplattform TikTok gute Chancen.
Simon Hegelich ist Professor für Political Data Science an der Hochschule für Politik der Technischen Universität München und Co-Autor einer der ersten Studien über politische Kommunikation auf TikTok. Er sagt, dass Politikerinnen und Politiker soziale Netzwerke mittlerweile anders nutzen als noch vor einigen Jahren. So geht er zum Beispiel davon aus, dass politische Statements von vornherein so formuliert werden, dass sie auch auf den Plattformen gut funktionieren.

Rauer, härter, unsachlicher

Die Studie habe gezeigt, dass die überwiegend jungen TikTok-Nutzer im US-Wahlkampf viel politisch kommuniziert haben und einen wichtigen Beitrag zum Gesamtdiskurs leisteten. Eine besondere Rolle habe dabei die "Duet"-Funktion gespielt, bei der man ein bestehendes Video nimmt und daneben sein eigenes zeigt, in dem man auf das vorige reagiert oder es kommentiert.
"Das ist etwas, was viele junge Leute in den USA genutzt haben, um sich zum Beispiel aus der demokratischen Perspektive über Trump lustig zu machen", so Hegelich. In der Studie, die sich den US-Wahlkampf angesehen hat, habe sich eine Tendenz gezeigt, dass die Kommunikation rauer, härter und unsachlicher werde. Dieses Phänomen werde dadurch getrieben, dass möglichst zugespitzte Formulierungen auf Social Media besonders gut funktionieren würden.
Das Problem läge dabei im Design der Plattformen, findet Hegelich: "Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass man auch einen ernsthaften politischen Diskurs auf TikTok führt. Generell ist es nur bei allen Plattformen so, dass sie nicht für diesen politischen Diskurs gemacht worden sind. Wenn wir uns Facebook anschauen, dann ist das eigentlich gemacht worden, um Kommilitonen an der Uni zu stalken, oder YouTube, um Katzenvideos zu teilen. Wenn plötzlich auf solchen Plattformen politische Kommunikation stattfindet, dann verändert das politische Kommunikation und nicht unbedingt zum Besseren."

Wahlkämpfe werden nicht auf sozialen Plattformen entschieden

Bei TikTok sieht Hegelich das Problem in der Kürze der Videos, die das Abbilden eines politischen Spektrums erschweren würde. Viele Politikerinnen, Politiker und politisch interessierte Menschen hätten allerdings die Tendenz, den Diskurs auf die Plattformen zu tragen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob diese überhaupt der richtige Ort dafür seien. Er stellt jedoch klar:
"Wahlkämpfe werden generell nicht auf den sozialen Plattformen entschieden. Es ist umgekehrt: Die sozialen Plattformen werden ein immer größerer Teil unseres Lebens und deswegen schwappt die Politik da auch rein. Es ist nicht so, dass man mit einer guten Facebook-Kampagne oder schon gar nicht mit einer TikTok-Kampagne eine Wahl gewinnen könne. Aber es verändert etwas am politischen Diskurs. Da wird Politik dann auch auf dieser Lifestyle-Plattform vermarktet."
Speziell für TikTok sieht Hegelich "die zwei Eigenschaften der extremen Verkürzung und das sich direkt Aufeinanderbeziehen in spielerischer oder hämischer Absicht. Das sind zwei Sachen, die wir im Wahlkampf auch sehen werden, weswegen TikTok auch relativ gut dazu passt."
(hte)
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