Politiker, Patrioten, Profiteure. Wer führt uns Europäer an den Abgrund?
Wolfgang Hetzer im Westend Verlag Frankfurt, 272 Seiten, 17,99 Euro.
Europa hat eine Herausforderung zu bestehen
Nationaler Egoismus habe zur Euro-Krise geführt, meint Wolfgang Hetzer, der die Währungsunion inklusive Griechenland sinnvoll findet. Der Dalai Lama kritisiert, dass der Individualismus seit 30 Jahren zu stark betont worden sei – er verlangt mehr Altruismus.
Zufrieden ist er nicht mit dem Krisenmanagement. Und im Detail kritisiert er recht scharf die politischen Bande, die über Brüssel gespielt werden. Nur stellt Wolfgang Hetzer klar, dass er die europäische Einigung für eine Revolution hält, entsprechend seien die neuzeitlichen Europafeinde Gegenrevolutionäre.
Nichts hält der ehemalige Leiter des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung davon, dass Griechenland die Eurozone verlässt oder sich die Währungsunion am Ende auflöst. Vielmehr gelte es eine Bewährungsprobe zu bestehen, die es seit 200 Jahren so nicht mehr gegeben habe, nämlich eine schwere Systemkrise in Friedenszeiten durch Kooperation zu überwinden.
Es sind nicht die Vereinigten Staaten von Europa, die er anstrebt, sondern eher einen bewusst gelebten Föderalismus, der engstirniges Nationaldenken überwindet. Darum warnt er zuallererst vor dem Demokratiedefizit, dass Bürger zwar auf nationaler, aber eben nicht auf europäischer Ebene entscheiden dürften, genauer gesagt, dass der EU-Bürger kein echter supranationaler Souverän sei.
Entsprechend wirft er den Ordoliberalen vor zu verkennen, dass der europäische Binnenmarkt den gleichen gesetzlichen und politischen Rahmen brauche wie ein nationaler. Den Hauptstädten kreidet er an, dass sie darin versagt hätten, eine seriöse Fiskalpolitik mit Antworten auf die Unterschiede in wirtschaftlicher Leistung und Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden.
Und er meint abgestimmte Antworten, die das Lohn-, das Investitionsgefälle ebenso einbeziehen wie die Sozial- und Industriepolitik oder die Forschungsförderung. Stattdessen macht er allüberall nationalen Egoismus aus, wenn nicht gar Schaumschlägerei, die sich vor dem politischen Ärger drückt, ernsthaft Probleme anzugehen.
Er will nicht mit Religion hausieren gehen, wohl aber buddhistisches Denken anbieten, um das Wirtschaftssystem gerechter zu machen. Dem Egoismus, in der klassischen Ökonomie als einzig verlässliches Motiv menschlichen Handelns angesehen, stellt der Dalai Lama ein weiteres zur Seite: das Mitgefühl, den Altruismus.
Dazu lud er bereits im April 2010 Neurologen, Psychologen, Philosophen und Meditationspraktiker gemeinsam mit Wirtschaftsforschern in sein Zürcher "Mind and Life"-Institut ein. Jetzt haben die deutsche Neurowissenschaftlerin Tania Singer und der französische Molekularbiologe und Mönch Matthieu Ricard den Tagungsbericht herausgegeben.
Natürlich argumentiert der Dalai Lama theologisch, wenn er darauf hinweist, dass Religionen gemeinsam sei, die Selbstbezogenheit des Menschen dämpfen zu wollen, egal ob sie nun der Autorität eines Schöpfergottes oder einem Gesetz der Kausalitäten folgen.
Also versuchte die Wissenschaftlerrunde herauszufinden, wie die Fähigkeit des Menschen zu Kooperation, Fairness und Mitgefühl aus einem rein privaten Umfeld auf die Wirtschaft übertragen werden könne.
Dass nicht nur das Familienleben, sondern auch Politik, Organisationen und Märkte von guten sozialen Beziehungen beeinflusst werden, sei viel zu wenig beachtet worden. Stattdessen habe man in den letzten 30 Jahren den Individualismus überbetont.
Der englische Klassiker Adam Smith wird häufig damit zitiert, dass der Eigennutz jedes einzelnen in der Summe aller Marktteilnehmer das Gemeinwohl hervorbringe. Dem hält die neuere Forschung entgegen, dass sich der Mensch nicht konsequent und schon gar nicht rational im Sinne einer reinen Lehre verhalte. Es könne für ihn allerdings durchaus rational sein, Kosten zum Wohle anderer zu übernehmen – gleichermaßen aus ichbezogenen oder ethischen Gründen.
Nun können soziale Gruppen kooperatives und wertorientiertes Verhalten trainieren, der Wettbewerb auf freien Märkten allerdings reagiert in erste Linie auf Preise, weshalb es zwingend wäre, einem Wirtschafts- und Finanzsystem auch die gesundheitlichen, sozialen und ökologischen Folgekosten anzurechnen, die es verursacht hat.
Ein solches Konzept führt direkt hinein in einen harten Kampf der Interessen, wie die internationale Klimapolitik bewiesen hat. Die Gelehrten des Dalai Lama halten sich demgegenüber noch mit einer vergleichsweise soften Glücksforschung auf.
Mitgefühl in der Wirtschaft, ein bahnbrechender Forschungsbericht von Tania Singer und Matthieu Ricard, aus dem Englischen übersetzt von Michael Wallossek
Knaus Verlag, München, 256 Seiten, 16,99 Euro