Kunstjagd (6)

Ist die Suche am Ende?

Ist das das verschwundene Gemälde, nach dem wir so lange gesucht haben?
Ist das das verschwundene Gemälde, nach dem wir so lange gesucht haben? © Follow the money
Von Freddy Gareis · 25.06.2015
Sechs Wochen lang waren unsere Reporter einem verschollenen Gemälde und einer damit verknüpften Familiengeschichte auf der Spur. Als sie schon alle Hoffnung fahren lassen, kommt es zu einer überraschenden Entdeckung.
"Wo wohnt er denn jetzt? Hier, da vorne ist es…"
Es ist Tag 38 der Kunstjagd und diese Verabredung in München ist der letzte Termin unserer sechs Wochen dauernden Live-Recherche.
Wir parken vor einer Villa in München, und meine beiden Kollegen Carolyn und Christian gehen vor, um den Rest des Teams anzukündigen. Ich sehe die beiden klingeln und dann hinter der Eisentür verschwinden, hinter der sich auch das kriegsbeschädigte Gemälde befinden soll, unsere letzte heiße Spur.
Ich warte mit Ton- und Kameramann am Wagen, schaue auf die Uhr, die beiden aber lassen sich Zeit – Zeit, in der ich über die Familiengeschichte der Engelbergs nachdenken kann.
Edward: "It was exciting to see land. We saw the skyscrapers. There was a saying in Germany, that when you arrive in the US, people will take out your tonsils and appendix. I was very worried!"
Es ist kalt, aber sonnig, als die Engelbergs mit dem Schiff im Winter 1938 die Freiheitsstatue passieren, an deren Sockel die Inschrift steht: Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren.
Vater Jakob befindet sich noch in der Schweiz, aber er wird bald nachkommen und schickt seine Wünsche voraus.
"Meine lieben Kinder, dieser Brief zu Euch wird euch in New York erreichen, ein neues Leben in einem neuen Land. Hoffentlich lebt ihr euch recht bald ein und fühlt euch wohl. Folgt der lieben Mutti, regt sie nicht auf. Herzliche Grüße, euer Papi."
Die Engelbergs sind zwar in Sicherheit, aber - gerade erst angekommen - auf der untersten Stufe der amerikanischen Erfolgsleiter. Die Mutter Paula schuftet mal als Zimmermädchen, mal in einer Gurkenfabrik. Der Vater ist oft arbeitslos. Auch Edward, der blasse Junge aus Europa, der noch kaum ein Wort Englisch spricht, hat es nicht leicht.
"In school they had no idea what a refugee was, so they called me German spy!"
Und seinen Vater holt in Amerika die Vergangenheit ein. Die Schläge der SS im KZ Dachau zeigen jetzt ihre Wirkung: Immer öfter leidet Jakob Engelberg unter höllischen Kopfschmerzen.
"One night, when he was ill and I was alone with him, he became weaker and weaker. He took my hand: 'When I go you will be the man of the house. Take care of your mother!' That were his last words to me."
Der Vater stirbt und sein Tod bricht Paula Engelberg das Herz. Sie ist 38, in einem fremden Land mit zwei Kindern. Es ist das Jahr 1941.
Gespanntes Warten
74 Jahre später. Immer noch stehe ich vor dieser Münchner Villa und warte auf meine Kollegen. Carolyn schickt mir von drinnen eine SMS: Draußen bleiben!
Was geht in diesem Haus bloß vor sich? Ich dachte, das sei einfach ein alter Mann mit einem Stein-Gemälde…
Vor ein paar Tagen noch waren wir, wieder einmal, in Leipzig. Wieder beim Stein-Experten Olaf Thormann. Das Gemälde Nummer 3, das Edward Engelberg als seinen Favoriten ausgemacht hatte, es befindet sich doch tatsächlich in Thormanns Besitz.
"Ich kann es ihnen mal zeigen."
"Aber das haben Sie doch beim letzten Mal schon gewusst, dass Sie es haben…?"
"Ja, aber da haben Sie ja nicht danach gefragt. Und sich auf ein anderes Bild eingeschossen."
Und dieses hier vor uns wurde wahrscheinlich zu spät gemalt, um den Engelbergs gehört zu haben.
Thormann: "Man kann es nicht definitiv datieren, aber ich glaube dass es in die mittleren bis späteren 30er Jahre fällt. Ich glaube eher an eine Entstehung in Prag."
Dazu ist es auf dicker Pappe gemalt, konnte also nicht gerollt werden, und wo Edward Engelberg seine Mutter zu erkennen glaubte, sieht Thormann Erna Böhme, die Geliebte von Otto Stein.
In München ist inzwischen fast eine Stunde vergangen und ich habe nichts weiter von meinen Kollegen gehört. Ich muss wieder an Edward denken, unseren Besuch bei ihm in Portland, das Schwestergemälde, das bei ihm an der Wand hängt.
"I left my last wishes, in a box so to speak. Everything is divided up in thirds, but some things cannot be divided up, like the painting. They have to rotate it."
Auch wenn der Anfang in den USA schwer ist , die Familie wächst wieder, es wird geliebt und geheiratet, Kinder und Enkel werden groß und erzählen einander die Geschichte des verschwundenen Gemäldes.
"Verdammt dicht dran"
Gerade als ich beginne mir Sorgen zu machen, geht endlich die Tür in München auf und reißt mich aus meinen Gedanken.
"Wo wart ihr denn die ganze Zeit. Ihr wart jetzt eine Stunde weg!"
"Ihr dürft da nicht rein."
"Warum dürfen wir da nicht rein?"
"Weil die Leute anonym bleiben wollen."
Ich platze fast vor Neugier, was ist denn jetzt mit diesem Bild?
"Also es ist auf jeden Fall… Wir haben das Bild gesehen… Es ist verdammt dicht dran, es sieht gut aus. Wir durften es fotografieren vor neutralem Hintergrund. Ich glaube das ist es."
"Quatsch!"
"Doch! Schau’s dir mal an, Alter!"
Das Bild datiert von 1917, würde zeitlich also passen, es ist fast dasselbe Motiv, es ist fast genau so groß, es ist vom Vater des heutigen Besitzers in München erworben worden, es war kriegsbeschädigt und es ist restauriert worden.
"Also ich habe bis eben gedacht, nee, aber dann hast du es einmal in der Hand und ich glaube dichter wird es nicht mehr werden."
Der Besitzer würde uns das Bild sogar anvertrauen, sagt er, und wir dürfen es ins Zentralinstitut für Kunstgeschichte zu unserem Experten bringen, um es genauer zu untersuchen.
"Ich habe gerade dieses Gefühl gehabt, von dem ich schon dachte, ich werde es nie haben, aber das ist das Bild. Vielleicht absurd, vielleicht ist das nur die Situation. Es ist halt wie im Film. Ich meine, das glaubt uns doch wieder kein Schwein. Er hat das Ding da stehen. Wie mit den GPS-Fernsehern, die wir auf den letzten Drücker finden."
Ist das wirklich der Stein, den wir die ganze Zeit gesucht haben? Im Moment können wir diese Frage nicht seriös beantworten, denn wir können noch nicht sicher sagen, wie und wo der Vater des heutigen Besitzers das Bild erworben hat.
Verblüffende Ähnlichkeit
Natürlich haben wir Edward Engelberg die Fotos geschickt, diesmal in Farbe. Er hält es für durchaus möglich, ohne absolut sicher sein zu können. Sein Sohn Stephen indes schreibt: Faszinierend, die Ähnlichkeit zwischen dem Bild in München und dem in Portland sei wirklich verblüffend.
Wir sind überwältigt von den Ereignissen der letzten Tage und Stunden. Am Anfang, als wir losfuhren, hatten wir bloß eine Familienlegende und ein paar erste Spuren. Jetzt wissen wir: Fast alles an dieser Überlieferung ist plausibel.
Unser Roadtrip, diese Live-Recherche, geht jetzt, nach 6 Wochen, mehr als 7000 Kilometern und Dutzenden von Interviews zu Ende, aber die Suche ist damit noch lange nicht vorbei.
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