Kunsthistorikerin über umstrittene Monumente

Gegendenkmäler statt Zerstörung

09:38 Minuten
Fragmente des des Lenin-Denkmals inden Müggelbergen bei Berlin-Köpenick.
Good Bye, Lenin!, hieß es nach der Wende - und war durchaus wörtlich gemeint. Der Kopf des Berliner Lenindenkmals wurde vergraben, dann wieder ausgegraben und wird heute ausgestellt. © picture alliance/dpa/akg-images
Ulrike Wendland im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 15.06.2020
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Weltweit fallen Denkmäler umstrittener historischer Personen. Die Kunsthistorikerin Ulrike Wendland hält es für den falschen Weg, sie zu zerstören. Besser sei, sich durch Gegendenkmäler kritisch mit Geschichte auseinanderzusetzen.
Eckhard Roelcke: Die neuseeländische Stadt Hamilton hat vor dem Hintergrund der weltweiten Antirassismus-Proteste die Statue ihres Namensgebers aus der Kolonialzeit entfernt. Ein Kran hob die Bronzeskulptur des britischen Militärkommandanten John Charles Hamilton vom Stadtplatz, nachdem Maori-Vertreter darum gebeten hatten. Der Stadtrat von Hamilton hatte die Statue als ein Symbol für kulturelle Zwietracht und Unterdrückung bezeichnet.
Dieses einträchtige Vorgehen ist bislang wohl eher die Ausnahme. Weltweit wurden im Zusammenhang mit Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt Statuen und Denkmäler attackiert. Für manche sind sie Mahnmal, für andere Schandfleck. In Bristol zum Beispiel haben Demonstranten das Denkmal des Sklavenhändlers Edward Colston vom Sockel gestürzt und ins Hafenbecken gekippt, in Boston wurde ein Columbus-Denkmal geköpft, in Australien sind mehrere Denkmäler des britischen Entdeckers James Cook beschmiert worden - und diese Liste ist noch viel länger.
Welche Debatte ist da in Fahrt gekommen, wie sind die Argumente und auch die Emotionen zu bewerten? Darüber möchte ich nun mit Ulrike Wendland sprechen. Sie ist Landeskonservatorin, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Sachsen-Anhalt, und sie leitet die Geschäftsstelle des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz.
Denkmalstürze weltweit, was halten Sie davon?
Ulrike Wendland: Ich bin immer wieder erstaunt, dass Bilder noch diese Wirkung haben, dass man in Vertretung der vermeintlich bösen Person deren Bild für böse hält und stürzt oder verletzt oder beschmiert, also schändet, und dass das 300 Jahre nach Beginn der Aufklärung immer wieder und immer noch so funktioniert und dass Wut offenbar ein Bild braucht und eine Handlung braucht.
Roelcke: "Bild braucht" heißt in dem Fall, eine "Statue braucht" ...

Zerschlagen löst kein Problem

Wendland: ... eine Statue braucht, an der Wut sich festmachen kann, oder wie in Neuseeland eben auch ein einvernehmliches Handeln, aber es ist ja ein hoch symbolisches Handeln, wenn ich ein Bild wegnehme. Das erstaunt mich einerseits. Als Denkmalpflegerin bin ich eher bestürzt, weil ich denke, das löst kein Problem, dass man etwas zerschlägt. Denn damit nimmt man ja auch sich und späteren Generationen diesen Anstoß im wahrsten Sinne des Wortes, um zu diskutieren, um immer wieder auch neu eine Debatte zu führen.
Roelcke: Aber das ist ja ein Bild, das nicht irgendwo im Museum hängt oder irgendwo im Album klebt, sondern das ist ein Bild, ein Denkmal, das oft mitten in der Stadt steht, das einen jeden Tag wieder erinnert an die Geschichte. Das ist dann doch ein Unterschied.
Wendland: Das ist ein großer Unterschied. Und ich sähe es gerne als Denkmalpflegerin, wenn man sich anders auseinandersetzte. Dafür gibt es ja auch Beispiele, dass eben Gegendenkmale geschaffen werden oder dass Denkmale erweitert werden, kontextualisiert werden, möglichst – das finde ich eigentlich immer das Beste – dann auch mit künstlerischem Anspruch. Das fände ich eigentlich die nachhaltigere Form der Auseinandersetzung, denn das wäre dann ja auch schon wieder das Denkmal für die Auseinandersetzung mit dem bösen kolonialen oder dem rassistischen Impetus der alten Denkmale.

Den Bildern etwas entgegensetzen

Roelcke: Ein Gegendenkmal oder zumindest eine Erklärung, da hatten Sie auch hier bei uns im Programm darüber gesprochen am Beispiel von Wittenberg.
Wendland: Genau. In Wittenberg ist ja ein Schmährelief an der Stadtkirche mit einer antijüdischen Darstellung, die natürlich nach so vielen Jahrhunderten des Antisemitismus und dem Gipfelpunkt in den 30er-, 40er-Jahren auch nicht mehr unschuldig gelesen werden kann. Schon 1988 hatten Gemeindemitglieder ein künstlerisches Gegendenkmal gesetzt, was jetzt selber wieder in der Debatte ist, ob es denn ausreicht. Insofern ist das für mich ein gutes Beispiel, dass man eigentlich durch Denkmal und Gegendenkmal immer wieder auch die Diskussion neu führen kann. Wenn man sie zerstört, ist die Diskussion, jedenfalls an der Stelle, zu Ende.
Roelcke: Also verstehe ich Sie richtig, das Denkmal an seinem Platz belassen, aber kontextualisieren, in seiner Zeit darstellen?
Wendland: Unbedingt, also dass man sich Gedanken macht, was könnte man ihm denn entgegensetzen, denn wenn man einerseits auch so denkt, dass ein Bild noch eine solche Kraft hat, dann muss man ja eine Gegenkraft entwickeln können, die vielleicht auch das Böse überwindet.

Mehr Inszenierung als wirkliche Wut

Roelcke: Also auch akzeptieren, dass Kriegstreiber, Sklavenhändler täglich zu sehen sind in der Öffentlichkeit?
Wendland: Ja, sie sollten zu sehen sein, denn nur an diesem Bild kann man ja festmachen, dass es sie überhaupt gab und dass es auch mal einen gesellschaftlichen Konsens gab, Kriege zu führen, Völker zu kolonialisieren, Sklaven zu handeln, denn es muss ein Stein des Anstoßes bleiben, sonst vergisst man diese Geschichte. Nur an dem Überwinden von heute als falsch erkannten Mustern kann sich ja auch eine Gesellschaft weiterentwickeln. Ich denke, die Gesellschaften, gerade die demokratischen, sind auch stark genug, das auszuhalten.
Roelcke: Sie haben es am Anfang gesagt: In Vertretung werden Bilder entfernt, gestürzt. So ein Denkmal zu stürzen, ist ja ein symbolischer Akt, oft ja auch im Zusammenhang mit Aufruhr, mit Aufstand, mit Revolution. Was bedeutet denn so ein symbolischer Sturz?
Wendland: Es ist natürlich das Schaffen eines neuen Bildes, also heute natürlich eines elektronischen Bildes, das dann weltweit verbreitet wird. Ich denke, mindestens der Sturz in Bristol, aber auch der in Neuseeland waren inszenierte Stürze. Das Bild, was zurzeit von der Abnahme des Colston in Bristol im Netz ist, ist insofern auch wieder interessant, als es ausschließlich Weiße sind, die darauf abgebildet sind – es steht nur ganz rechts am Rand ein Schwarzer. Insofern kommt mir das auch eher als ein Happening oder eine Inszenierung vor als jetzt wirklich eine Wut, die sich momentan entlädt. Es sind natürlich ganz starke Bilder, die für den Moment auch eine kurze Befriedigung geben, aber die, glaube ich, langfristig die Diskussion nicht unbedingt voranbringen.

Diskussion bildhaft machen statt abtöten

Roelcke: Aber die Realität zeigt ja auch oft, dass so eine Kommentierung, eine Kontextualisierung auch an Grenzen stößt, zum Beispiel hier in Berlin der neue Garnisonfriedhof in Berlin-Kreuzberg. Dort werden die Verantwortlichen für die Massaker an den Herero bis heute mit Blumen geehrt, große Statuen sind da zu sehen, und verschwindend klein dagegen die historische Einordnung. Da stimmen die Proportionen nicht.
Wendland: Da stimmen die Proportionen definitiv nicht, und ich glaube auch, dass man da sehr viel mutiger sein muss, da müssen dann sicherlich auch Denkmalpfleger mutiger sein im Umarbeiten oder im Neuanbringen von Gegendenkmalen. Andererseits glaube ich, bin ich fest davon überzeugt, dass man diejenigen, die Blumen hinlegen an die Gräber der Kolonialherren, nicht überzeugt, sondern die werden das immer weiter tun, in irgendeiner Form dieses Gedenken voranbringen. Insofern sollte man diese Diskussion bildhaft machen und nach vorne holen und nicht abtöten.
Roelcke: Jetzt gibt es ja noch ein weiteres Problem: Wenn so ein Denkmal gestürzt ist, dann ist das trotzdem ja nicht verschwunden, sondern es ist noch da. Wohin damit? Wieder zurück auf den Sockel oder ins Museum oder in irgendeine Katakombe?
Wendland: Meistens wandern die ja dann in irgendeinen Bauhof oder in eine Katakombe und werden, wenn sie Glück haben, später gefunden. Der Lenin-Kopf hier in Berlin war vergraben und wurde dann wieder ausgegraben, was ja auch alles hochsymbolisch ist. Ich denke, wenn man sie schon stürzt und im Moment glaubt, nicht mehr in situ haben zu wollen, dann muss man sich wenigstens um dieses Kulturgut, aber auch um dieses Geschichtszeugnis, das das Denkmal ja immer darstellt, kümmern und muss da auch die entsprechende Fürsorge betreiben oder neue Formen des Ausstellens bringen. Zerstörung ist meines Erachtens eine schlechte Wahl.

Nicht zum Richter machen

Roelcke: Jetzt steht ja selbst zum Beispiel ein Denkmal wie von Gandhi zur Diskussion, und auch das Denkmal von Winston Churchill in London ist gefährdet. Ist vielleicht auch die Zeit für personifizierte Denkmale vorbei?
Wendland: Das glaube ich nicht, denn wenn ich mir sozusagen das gesamtgesellschaftliche Bedürfnis nach neuen Denkmalen für Personen ansehe, also in der Fläche, dann ist das offenbar immer noch eine wichtige Form des Gedenkens. Ich glaube, wir müssen jetzt alle miteinander gut acht geben, dass wir nicht zu den Obermoralisierern werden, denn wenn ich jedwede Biografie von historischen Persönlichkeiten mit dem Wissen von heute kritisch prüfe, werde ich immer etwas finden. Wir sollten uns nicht zum Richter der Geschichte machen. Wir sollen sie natürlich erforschen und auch alles sagen, was an Kritischem zu sagen ist. Aber zum Richter, wer jetzt eine moralisch einwandfreie Person ist, dürfen wir uns nicht machen. Wer hat dieses Recht?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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