Kunstausstellung "Rohkunstbau"

Apokalypsen auf Schloss Lieberose

05:47 Minuten
Luzia Simons' Stillleben an der Hausfassade von Schloss Lieberose.
Nicht nur in den Innenräumen wird Kunst ausgestellt, auch an den Fassaden. © Luzia Simons, VG Bildkunst Bonn, 2021 / Foto: Jan Brockhaus / Freunde des Rohkunstbau e.V. / Courtesy: Sammlung Archives Nationales Paris
Von Simone Reber · 19.06.2021
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Unter dem Motto "Ich bin Natur. Von der Verletzlichkeit. Überleben in der Risikogesellschaft" lädt die internationale Kunstausstellung "Rohkunstbau" aufs Schloss Lieberose. Natürlich ist die Pandemie auch hier Thema, aber nicht nur.
Die Frösche im Teich des Schlossparks von Lieberose scheren sich wenig um die Menschen. Wenn sie Schritte im Gras hören, platschen sie ins Wasser und setzen ihre Unterhaltung auf einem Seerosenblatt fort."Ich bin Natur" – im Inneren des Brandenburger Schlosses handeln viele Arbeiten der diesjährigen Ausstellung von der Anpassungsfähigkeit der Natur. In einer Klanginstallation von Nadia Lichtig erzählt ein Ziziphus zizyphus – eine chinesische Dattel – wie sie sich auf der Welt ausbreiten wird. Der dornige Strauch gilt als frosthart und pflegeleicht und plant in diesem Monolog von Anfang an den Aufstieg in der Botanik: "Ich werde dort in der Nachbarschaft eines Judasbaums, eines Phyllioreabaums und eines Ginkgobaums wachsen."

Überlebenskünstler mit knautschigem Rüssel

Darüber hinaus aber geht es um die Apokalypse. Die deutsch-australische Malerin Claudia Chaseling sprengt in ihren Wandbildern die Welt in Stücke. Die Künstlerin beschäftigt sich seit 2013 mit Waffen von abgereichertem Uran, einem Abfallprodukt der Kernkraft. In ihren fragmentierten Gemälden überstehen nur noch die Bärtierchen den Untergang. Einer dieser winzigen, nackten Überlebenskünstler mit knautschigem Rüssel schaut aus dem Bild:
"Wenn die Umwelt nicht gut ist für sie zum Leben, dann schrumpfen die Bärtierchen zusammen und können in diesem zusammengeschrumpften Zustand wirklich die schrecklichsten Zeiten überleben. Und wenn das Leben wieder besser wird, dann pludern sie sich wieder auf und leben weiter. Ich denke mir: Egal, was auf der Erde passiert, die Bärtierchen werden es schaffen", sagt Claudia Chaseling.
In drei Projektionen nebeneinander sprechen Anwohnerinnen von Fukushima über ihre unterschiedliche Wahrnehmung der Radioaktivität.
In drei Projektionen nebeneinander sprechen Anwohnerinnen von Fukushima über ihre unterschiedliche Wahrnehmung der Radioaktivität.© Nina Fischer & Maroan el Sani, VG Bildkunst Bonn, 2021 / Foto: Jan Brockhaus / Freunde des Rohkunstbau e.V.
Mit der diesjährigen Ausstellung "Ich bin Natur. Von der Verletzlichkeit. Überleben in der Risikogesellschaft" spannt die Kuratorin Heike Fuhlbrügge den ganz großen Bogen von den Reaktorunfällen in Tschernobyl und Fukushima vor 35 und vor zehn Jahren bis hin zu der Pandemie: "Und das ist etwas, was man gar nicht zusammenbringen kann, außer, wenn man sich über den Nenner Gedanken macht: dass diese Naturkräfte eigentlich etwas sind, was wir überhaupt nicht fassen können."

Unterschiedliche Wahrnehmungen

In einer dreiteiligen Videoinstallation von Nina Fischer und Maroan el Sani sprechen Anwohnerinnen von Fukushima über die unterschiedliche Wahrnehmung der Radioaktivität. Die einen schätzten sie als Gefahr ein und zogen fort, die anderen blieben und räumten auf. Jetzt sind die Gemeinden gespalten. Die einstigen Nachbarinnen empfinden sich als Verräterinnen.
Eine Umweltkatastrophe aus diesem Jahr ist Thema der israelischen Künstlerin Noa Gur. Im Februar verseuchte eine Ölpest die Küste von Israel, Südlibanon und dem Gazastreifen. Über die Ursachen wurden viele Gerüchte in die Welt gesetzt. Einen arabischen Terroranschlag unterstellten die einen, einen israelischen Militärangriff auf ein iranisches Tankschiff die anderen.
Installationsansicht: Noa Gurs Videoarbeit "Silent Killer" beim "Rohkunstbau 26".
Noa Gurs nimmt in ihrem Werk unterschiedliche Perspektiven ein.© Noa Gur, 2021 / Foto: Jan Brockhaus / Freunde des Rohkunstbau e.V..
In dem Film von Noa Gur wechseln die Perspektiven. Mal betrachtet die Kamera auf Augenhöhe die Menschen am Strand, dann fliegt sie als Drohne über die Köpfe der Badenden. Noa Gur erklärt:
"Die Arbeit handelt von den fehlenden Informationen, die der Mensch erhält, wenn er auf seinen zwei Beinen herumläuft und die Welt auf Höhe seiner Augen wahrnimmt, verglichen mit dem Blick von oben, von der Regierung, den Unternehmen, von allen, die berechtigt sind, das Geschehen aus einer Position zu betrachten, aus der sie die Ursache in Echtzeit erkennen können."

Verwelkte Üppigkeit

Das verfallene Barockschloss Lieberose spielt fantastisch mit bei dieser beklemmenden Ausstellung. Überfluss und Vergänglichkeit gehören zur Grundstimmung dieser Epoche. In der schönsten Arbeit reagiert die brasilianische Künstlerin Luzia Simons auf die schwere Stuckdecke eines Saales mit einer nature morte, einem dunklen Blumenstillleben. Blattornamente aus dem Stuck sind auf den Boden gefallen, die Üppigkeit ist verwelkt.
Installationsansicht: Luzia Simons' Stillleben.
Luzia Simons' nature morte passt perfekt in das barocke Schlosszimmer.© Luzia Simons, VG Bildkunst Bonn, 2021 / Foto: Jan Brockhaus / Freunde des Rohkunstbau e.V. Courtesy: Sammlung Archives Nationales Paris
In diesem Raum wirkt die Kunst, weil sie zum Innehalten einlädt. Der gesamte Rundgang aber erzeugt durch die dichte Folge von Katastrophen ein Gefühl der Hilflosigkeit. Atomkraft, Uranmunition und ein Virus, das offenbar Folge von Tierquälerei ist. Am Ende zeigt die Ausstellung "Ich bin Natur" den Menschen weniger als verletzlichen Teil seiner Umwelt, sondern vielmehr als absolutistischen Herrscher: "Die Natur bin ich." Gut, dass die Frösche draußen im Park das ganz anders sehen.

Die 26. Ausgabe der internationalen Kunstausstellung "Rohkunstbau" ist bis zum 3. Oktober im Schloss Lieberose zu sehen – immer samstags und sonntags zwischen 12 und 18 Uhr. Tickets können online gebucht werden unter rohkunstbau.net.

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