Kulturkritik

Wider Randale und Triebe

Zwei Hände dirigieren ein Orchester.
Wie wichtig ist Kultur für eine Demokratie? © picture-alliance/ dpa / Hermann Wöstmann
Von Martin Lätzel · 26.08.2014
Fernsehprogramme machen mit Misswahlen und Schlagersternchen Quote. Musicals sind erfolgreicher als Theaterstücke. Der direkte Zusammenhang zwischen Kultur und Demokratie ist verloren gegangen, meint der Publizist Martin Lätzel – und sieht unsere Demokratie dadurch gefährdet.
Ein Drama ist eine literarische Gattung. Es kann als Komödie daherkommen oder als Tragödie. Unser gesellschaftliches Leben inszenieren wir gern als Komödie. Doch schaut man genau hin, handelt es sich um eine Tragödie.
Die Demokratie ist eine komplexe Angelegenheit. Sie verlangt, aktiv teilzunehmen, sich an Regeln zu halten, ständig Checks and Balances auszutarieren. Eine Gewähr, dass sie funktioniert, besteht indes nicht. Teilzuhaben bedeutet, Verantwortung für das Gelingen des demokratischen Staates zu übernehmen. Ohne, dass es einer besonderen Aufforderung bedarf. Das ist nichts für Bequeme.
Wir sind aber bequem geworden, weil die demokratische Gesellschaft und ihr Staat irgendwie funktionieren, auch ohne uns. Die Steigerung der Politikverdrossenheit ist die Gleichgültigkeit gegenüber unserer Demokratie. Der Missbrauch persönlicher Daten erregt weitaus weniger als die geplante Pkw-Maut, denn dabei geht es ans Portemonnaie.
Womit wir bei der Kultur wären, zu der seit Kant alles gehört, was eine Zivilisation ausmacht. Reflektiert und erarbeitet wird diese Gesellschaft in den Künsten, die fragen und darstellen. Sie gelten in den öffentlichen Haushalten als freiwillige Leistungen. Und wer will schon freiwillig etwas zahlen? Was bringt es denn mir, wenn andere ins Theater gehen? Meine Steuergelder sollten zu meinem Vorteil verwendet werden.
So wird Kunst gerne reduziert auf alles, was ohne Anspruch bleibt. Fernsehprogramme feiern mit Misswahlen, Schlagersternchen und der hundertsten "Unsere-Besten"-Sendung fröhlich Urstände. Musicals sind erfolgreicher als Theaterstücke. "Randale und Triebe" gefallen mehr als "Kabale und Liebe". Das Publikum will unterhalten sein.
Kultur ist nicht nur schön, sondern notwendig
Aber die Welt ist nicht heil. Und sie ist auch nicht schwarz-weiß, wie seichte Formate gerne versprechen. Unsere Gesellschaft ist eine ständige Herausforderung. Die Wahrheit ist meistens grau. Wer sie wirklich ergründen will, muss sich mit ihr auseinandersetzen. Das ist kein bequemer Weg. Wie auch die Demokratie keine bequeme Staatsform ist.
Der direkte Zusammenhang zwischen Kultur und Demokratie ist verloren gegangen. Die kulturelle Anspruchslosigkeit gefährdet unsere Demokratie. Kultur ist nicht nur schön, sondern notwendig. Vor allem ist sie unbequem. Unabhängige Medien fordern und hinterfragen.
Eine lebendige Kulturszene inspiriert und regt das Nachdenken an. Kunst und Kultur helfen, mit einem komplexen Alltag umzugehen. Die Kunst darf, ja sie muss kritisch sein und politisieren.
Es gilt zu begreifen, dass Kultur zur Daseinsvorsorge gehört, zu jener Menge gesellschaftlicher Werte, die wir bereit sein müssen zu finanzieren. Doch geht es nicht allein ums Geld. Gefragt ist eine Einstellung, die Zumutungen aushält und Verantwortung übernimmt, gefragt ist der Mut zum Anspruch und zur Unbequemlichkeit. Der Erfolg wird sich nicht in Zahlen bemessen lassen, sondern in Verbindlichkeit.
Die Komödie der Anspruchslosigkeit wird im zweiten Akt zur Tragödie einer passiven Gesellschaft führen. In der mag es bequem sein. Aber wir verabschieden uns - und das ist die eigentliche Pointe dieses Dramas – von dem, was wir gerade auf Kosten der Gesellschaft so gerne zelebrieren: Wir verabschieden uns vom Individuum. Immerhin haben wir uns köstlich amüsiert.

Martin Lätzel ist Theologe und Publizist. Für das Land Schleswig-Holstein arbeitet er derzeit in der Kulturverwaltung. Als Autor beschäftigt er sich mit Fragen von Kultur und Bildung, Religion und Gesellschaft. Zu kulturpolitischen Fragen bloggt er unter www.zwo43.wordpress.com

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