Kulturgeschichte

"Vom Schwert zur Drohne"

Von Dietmar Süß |
Krieg ist mehr als die Verschiebung von Panzern und Armeen, argumentiert der Kulturwissenschaftler Bernd Hüppauf. Bedeutend seien vor allem die konkreten Erfahrungen von Gewalt und Tod.
Die Kriege der Gegenwart haben ihre Gestalt verändert. Es fehlen die marschierenden Soldaten, die klaren Schlachtordnungen und Feldherrnhügel. Stattdessen versuchen geräuschlose Drohnen, Menschen gezielt zu töten, Computerexperten kämpfen den Cyber War und bezahlte Privatarmeen großer Sicherheitskonzerne erledigen im Namen von Nationalstaaten die besonders schmutzigen und gefährlichen Jobs. Viele gute Gründe sind das, um über die Frage nachzudenken, die Bernd Hüppauf, deutscher Kultur- und Literaturwissenschaftler aus New York, stellt: Was eigentlich ist Krieg?
Seine Diagnose: "Krieg hat sich über Jahrtausende gewandelt und ist in der Gegenwart erneut dabei, sich fundamental zu ändern – vom Schwert zur Drohne. Gibt es überhaupt eine Einheit des Kriegs? Ist ein kohärenter Krieg gerechtfertigt? Mit dem Blick auf die neuen Kriege der Gegenwart tritt die Grundsatzfrage, ob es eine Einheit des Kriegs über allen Wandel der Waffen und der Technologie hinweg gibt, aus der Sphäre der verstehenden Interpretation hinaus und gewinnt Bedeutung für das Bild vom Krieg als einer Voraussetzung für das Handeln."
Drei Ebenen: militärischer Kampf, Kriegsdiskurs und Kulturgeschichte
Eine Kulturgeschichte des Krieges: Das ist es, was Hüppauf schreiben möchte. Krieg ist nicht nur der Zweikampf der Armeen. Krieg ist auch "Diskurs". Oder etwas weniger gespreizt gesagt: Kriege finden in den Köpfen der Menschen und Mächte statt. Kriege werden gedeutet, sie werden erfahren, erlebt, erinnert. In der Auseinandersetzung um die Legitimität des Krieges, über dessen ethische Wurzeln, spiegeln sich grundsätzliche Konflikte moderner Gesellschaften. Die klassische Militärgeschichte hatte dafür viele Jahrzehnte keinen Sinn. Deshalb hat Hüppauf mit seiner Kritik unzweifelhaft Recht. Krieg bedeutete immer mehr als nur die Verschiebung von Panzern und Armeen, wie das Generationen im Gesellschaftsspiel "Risiko" selbst ausprobiert haben.
Deshalb unterscheidet Hüppauf drei Ebenen:
"Militärischer Kampf, Kriegsdiskurs und Kulturgeschichte des Kriegs. Das Wissen über die Trennung ist für den Erkenntniswert einer Kulturgeschichte des Kriegs essentiell. Die Trennungen sind komplex und folgen keiner temporalen Abfolge. Die Ebenen entwerfen eine je eigene Zeitlichkeit und setzen unterschiedliche Definitionen des Gegenstands. In jedem Feldpostbrief, der vom Kampfgeschehen an der Front berichtet, lassen sich Spuren von strategischem Wissen wie auch kulturgeschichtliche Einordnungen aus einem mentalen Abstand von der Front machen. Das Verhältnis von Krieg und Kriegsdiskurs kann nicht im Sinne zeitlicher Linearität verstanden werden. Der Kriegsdiskurs folgt dem Krieg auf dem Schlachtfeld und geht ihm ebenso voran."
Die alte Militärgeschichte wollte selbst das scheinbar objektive Wissen produzieren, mit dessen Hilfe künftige Kriege geführt werden. Hüppaufs Kulturgeschichte des Kriegs jedoch will sich davon lösen und nicht mehr nur nach militärischen Operationen fragen, sondern auch nach der Erfahrung und den Verarbeitungsmustern von Tod und Sterben. Eine gute Idee. Dafür spannt der Autor einen weiten Bogen, der ihn von Kain und Abel als der biblischen Urszene der Gewalt bis hin zu den asymmetrischen Guerillakämpfen des 21. Jahrhunderts führt. Kaum ein Thema bleibt ausgespart: um Krieg, Bilder und Medien geht es, um Kriegserinnerungen, um Angst und Grausamkeiten oder die Veränderungen des Raumes durch neue Waffentechnologien.
"Im Hinblick auf den Raum unterscheiden wir in der Gegenwart zwei unterschiedliche Typen von Krieg: einen extrem lokalisierten und einen globalisierten, der keine Beziehung zu konkreten Orten mehr kennt. Politisch sind beide. Man kann von einem Gegensatz der Räume der Grausamkeit zur globalisierten Welt sprechen: In ihr tendieren räumliche Differenzierungen gegen Null. Das implizite Ziel von Cyberwar und Netwar ist die totale Überwindung des Raums".
Entscheidende Themen nicht behandelt
Die Geschwindigkeit, mit der Hüppauf die Kriege der Vergangenheit durchschreitet, ist atemberaubend, assoziativ, oft allzu hektisch. Bisweilen gibt es, gerade in den Kapiteln, die den Krieg der Gegenwart beleuchten, anregende Passagen. Doch insgesamt ist das Buch vor allem eines: eine vertane Chance. Über allem liegt der Mehltau einer wabernden Diskursgeschichte, die genau das nicht tut, was sie selbst vorgibt: nämlich die konkreten Erfahrungen von Gewalt, das Verhältnis von Krieg und Emotionen, von Subjektivität und Dissonanzen ernst zu nehmen und genau zu untersuchen.
Enttäuscht wird nicht nur, wer etwas über die politische Bedeutung militärischer Konflikte oder Experten des Krieges erfahren möchte. Enttäuscht wird auch, wer sich gerade für die "Kulturgeschichte des Krieges" interessiert. Denn Hüppauf lässt sich auf kaum ein Thema präzise ein, insbesondere nicht auf die Frage, wie man beispielsweise körperliche Gewalt und ihre Verarbeitung tatsächlich darstellen kann. Gerade aber damit hat sich die Kulturgeschichte der Gewalt in den letzten Jahren intensiv beschäftigt. Seine Urteile sind apodiktisch und die Forderung nach einer neuen "Gefühlsmoral", um der Herausforderung der neuen Kriege zu begegnen, mehr als vage.
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Cover: "Was ist Krieg?"© transcript Verlag
"Eine Gefühlsmoral muss ausgearbeitet werden, um der Herausforderung durch die neuen Kriege zu begegnen. Solange Regierungen und Organisationen sich das Recht nehmen, internationale Konflikte mit Gewalt zu lösen, befinden sich Vernunftargumente gegen Drohnen in einer hoffnungslosen Position. Gehen wir davon aus, dass Emotionen ein bestimmtes Wissen über Waffen produzieren, das über das Generelle, wie ein vages Gefühl der Gefahr, hinausgeht. Sie können als Ratgeber unsere Entscheidungen lenken."
Was das aber konkret bedeutet, bleibt offen. Schade, denn auch diese Frage hätte mehr Platz verdient: Wie weit unsere Gewöhnung an Krieg und Gewalt im 21. Jahrhundert schon wieder vorangeschritten ist, insbesondere dann, wenn das Töten so scheinbar klinisch rein funktioniert wie bei Drohnen-Einsätzen. Die Realität des Krieges indes sieht gerade auch bei diesen so "sauberen Waffen" oft ganz anders aus als es uns Politik, Militär und Rüstungsindustrie versprechen.
Für eine neue Debatte über die Rückkehr des Krieges in den Alltag der Berliner Republik wäre es also höchste Zeit. Hüppaufs Buch hat dafür einige erste Überlegungen formuliert. Mehr aber nicht.

Bernd Hüppauf: Was ist Krieg? Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Kriegs
transcript Verlag
562 Seiten, 29,90 Euro

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