Afghanistan

Fesselnder Bericht gescheiterter Kriege

Von Sabina Matthay · 24.12.2013
William Dalrymple zieht Parallelen zwischen dem Einmarsch der Briten in Afghanistan im 19. Jahrhundert und dem Einmarsch der Nato im 21. Jahrhundert. Einige Vergleiche hinken, aber der Autor zeigt, dass ein Krieg selbst dann schmählich enden kann, wenn er aus den richtigen Gründen begonnen wurde.
"Geschichte wiederholt sich nie genau", schreibt William Dalrymple in seinem epischen Bericht des ersten anglo-afghanischen Feldzugs. Um dann unbeirrt Parallelen zwischen der britischen Kampagne von 1839 bis 1842 und dem heutigen internationalen Einsatz zu ziehen:
"Die erste verhängnisvolle Verstrickung des Westens in Afghanistan schien ein deutlich wahrnehmbares Echo der neo-kolonialen Abenteuer unserer Tage zu enthalten. Denn der Krieg von 1839 wurde auf Grundlage manipulierter Geheimdiensterkenntnisse über eine so gut wie nicht vorhandene Bedrohung geführt."
Das strategische Tauziehen mit dem Zarenreich und die damit verbundene Angst vor dem Verlust Indiens verleitete die Briten in der Tat zu einer unnötigen Invasion: Dost Mohammad Khan, der vermeintliche Verbündete der Russen auf dem afghanischen Thron, sollte von der Macht am Hindukusch vertrieben, sein Vorgänger Shah Shuja als britische Marionette in Kabul wieder eingesetzt werden.
Packend liest sich Dalrymples Schilderung dieses Überfalls, der von Fehleinschätzungen geprägt war und für die Angreifer katastrophal endete.
Der britische Historiker irrt jedoch, wenn er nahelegt, dass die Intervention von 2001 ebenso unbegründet gewesen sei. Al-Qaida hatte der Welt aus Afghanistan heraus den Krieg erklärt. Die Schaltzentralen und Ausbildungsstätten der Extremisten mussten zerstört werden, ihre Gastgeber, die Taliban, waren dazu nicht bereit. Deshalb legitimierte die UNO den internationalen Einmarsch.
50.000 Tote und nur eine Handvoll Überlebende
Zutreffend ist allerdings Dalrymples folgende Analogie:
"In beiden Fällen dachten die Invasoren, sie könnten hereinspazieren, das Regime auswechseln und nach ein paar Jahren wieder weg sein. In beiden Fällen konnten sie nicht verhindern, dass sie in einen viel größeren Konflikt hineingezogen wurden."
Doch während die Kriegsgegner von heute sich in einem Patt befinden, keine Seite der anderen eine militärische Niederlage beibringen kann, wurde das britische Expeditionsheer des frühen 19. Jahrhunderts von afghanischen Stammeskriegern schnell vernichtend geschlagen.
"Auf der Höhe des Britischen Empires, als die Briten einen größeren Teil der Weltwirtschaft kontrollierten als jemals danach und als traditionelle Krieger in aller Welt von industrialisierten Kolonialarmeen abgeschlachtet wurden, war dies ein seltener Moment vollständiger kolonialer Demütigung."
50.000 Tote verzeichneten die Invasoren am Ende und nur eine Handvoll Überlebende. Die viktorianische Schlachtenmalerin Elizabeth Butler fing das nationale Trauma in einem Gemälde ein, das noch heute jedes Kind in Großbritannien kennt: Der Militärarzt William Bryden erreicht völlig erschöpft von der Flucht die rettende Festung Jalalabad auf einem Klepper, der knapp vor dem Verenden ist.
William Dalrymple: Return of a King
William Dalrymple: Return of a King© Bloomsbury
Den meisten Hauptakteuren des "Great Game" um die Vorherrschaft in Zentralasien war noch weniger Glück beschieden. Shah Shuja, den die Briten aus dem indischen Exil holten und wieder auf den afghanischen Thron hoben, wurde von der fliehenden Schutzmacht preisgegeben und von einem Neffen ermordet.
Alexander Burnes, schottischer Sprachwissenschaftler, Entdecker und Spion, der den Krieg vergeblich zu verhindern versuchte, wurde entweder erdolcht, in Stücke gehauen oder von einer Meute zerrissen. Der Beamte Willliam Hay Magnaghten, der Planer der Invasion, wurde bei Friedensverhandlungen geköpft.
"Der einzige, der eindeutig vom ersten anglo-afghanischen Krieg profitierte, war genau der Mann, der durch den Krieg gestürzt werden sollte. Das kohärentere Afghanistan, das Dost Mohammad jetzt regierte, war allerdings ärmer und isolierter als je zuvor in seiner Geschichte. Es war nicht mehr der reiche und kultivierte Knotenpunkt der Seidenstraße."
Bei der Recherche keine Mühen gescheut
Mit zwei weiteren Kriegen verwandelten die Briten Afghanistan dann doch noch in einen Pufferstaat, der der Expansion des Zarenreichs Einhalt gebot. Der erste und einzige afghanische Sieg über die Briten aber begründete einen Mythos, von dem der afghanische Nationalstolz bis heute zehrt.
"Return of a King" ist ein einprägsam geschriebener Bericht des ersten anglo-afghanischen Krieges, der den Leser bis zu letzten Seite fesselt.
Bei der Recherche hat William Dalrymple keine Mühen gescheut und in den Nationalarchiven Indiens und Afghanistans neue Quellen aufgetan, daneben stützt er sich auf afghanische Heldenepen und die Autobiographie des Shah Shuja. Seinen Ruf als Historiker der Briten im Südasien des frühen 19. Jahrhunderts wird dieses Buch festigen.
Und obwohl er sich zu manchen falschen Parallelen mit der internationalen Intervention des 21. Jahrhunderts hinreißen lässt, gibt es Gemeinsamkeiten: Die britische Kolonialarmee scheiterte letztlich an den horrenden Kosten der Besatzung Afghanistans, die auch der Hauptgrund für den Beschluss sind, die ausländischen Kampftruppen 2014 vom Hindukusch abzuziehen. Schwindendes politisches und öffentliches Interesse taten und tun ein Übriges.
So erinnert dieses Buch daran, dass ein Krieg, selbst wenn er - wie der zur Vertreibung der Taliban - aus den richtigen Gründen und militärisch erfolgversprechend beginnt, dennoch schmählich enden kann.

William Dalrymple: "Return of a King. The Battle for Afghanistan 1839-42"
Verlag Bloomsbury London/New York/New Dehli, Februar 2013
608 Seiten, 15.00 Pfund

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