Kultur-Nekrolog

Verstorbene Kulturschaffende 2014

Grabsteine auf dem Alten Friedhof von Schwerin, aufgenommen am Donnerstag (16.11.2006). Am Sonntag (19.11.2006) wird in Deutschland der Volkstrauertag begangen. Traditionell wird an diesem Tag zwei Wochen vor dem ersten Advent der Toten beider Weltkriege und der Nazi-Opfer gedacht.
Sehr bekannte und auch eher unbekannte Künstler starben 2014. © picture-alliance/ dpa-ZB / Jens Büttner
Von Stefan Keim |
Das zu Ende gehende Jahr brachte auch zahlreiche Verluste für die Kulturwelt. So starben beispielsweise viele bedeutende Schauspieler – aber auch Schriftsteller und Musiker. Eine Erinnerung an prominente und weniger bekannte Verstorbene.
Gert Voss: „Schau, wie er göttlich dir den Kopf besorgt. Aber Tusschen, Tusschen, wie wirst du aussehen, Liebste, wenn du mit einem kahlen Kopf wirst gehen?“
Das war Theatergeschichte: Gert Voss und Kirsten Dene entdeckten in Heinrich von Kleists zuvor als unspielbar geltenden „Hermannsschlacht“ eine abgründige Ehekomödie. Als Gert Voss in diesem Sommer mit 72 Jahren starb, war das ein Schock. Ein großes Alterswerk lag noch vor diesem genialen Schauspieler, der mit Claus Peymann, Peter Zadek und George Tabori unvergessliche Charaktere schuf. Wenige Monate später starb auch seine Frau, die Dramaturgin Ursula Voss. Thomas Bernhard nannte nach dem humorvollen Bühnentitanen eine seiner tragikomisch mit den Zumutungen des Lebens kämpfenden Figuren, in „Ritter Dene Voss“.
Gert Voss: „Brandteigkrapfen, die ich liebe. Ludwig, der die Brandteigkrapfen liebt. Der die Brandteigkrapfen liebt, wie nichts sonst. Ha, die ganze Zeit hab‘ ich in Steinhof an nichts anderes als an die Brandteigkrapfen gedacht.“
2014 starben viele bedeutende Schauspieler. Rolf Boysen, der große Sprachzauberer, Karlheinz Hackl, der die Hauptrolle in einem der größten Theaterskandale Österreichs spielte, in Thomas Bernhards „Heldenplatz“ am Wiener Burgtheater. Annemarie Düringer war in dieser Aufführung ebenfalls dabei, 65 Jahre lang blieb sie Ensemblemitglied an der Burg.
Ebenso überraschend wie der Tod von Gert Voss kam der Nachruf auf Philip Seymour Hoffman, einen der wandlungsfähigsten Schauspieler Hollywoods. Auch Robin Williams ist gestorben, dieser hinreißende Komiker mit schwermütigem Herzen, der in den vergangenen Jahren oft ernste Rollen spielte. Seine deutsche Synchronstimme war Peer Augustinski, einer der wenigen Slapstick-Könner aus Deutschland.
Science-Fiction-Serien sind bei uns ebenfalls eine Seltenheit. Die große Ausnahme „Raumpatrouille Orion“ ist bis heute Kult. Als Commander MacLaine wurde Dietmar Schönherr berühmt. Später moderierte er stilprägende Quizsendungen wie „Wünsch dir was“ und die erste Talkshow des deutschen Fernsehens „Je später der Abend“. Einen ähnlichen Karriereweg nahm Joachim Fuchsberger, der Dauerdetektiv aus den Edgar-Wallace-Filmen und spätere Entertainer. Zwei eigenwillige, manchmal auch querköpfige Charaktere.
Apartheid und Rassismus gehörten zu wichtigsten Themen von Nadine Gordimer
Ein unbequemer Zeitgenosse blieb auch der Publizist und Schriftsteller Ralph Giordano. Er zeigte, wie lange der Nationalsozialismus noch die Bundesrepublik mitgeprägt hat:
„Ich habe versucht, eigentlich aufzuklären, mein ganzes Leben lang. Aufzuklären, um anderen das eigene Leid zu ersparen.“
Auch Frank Schirrmacher stieß viele Debatten an, als Bestsellerautor und als Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen. Stiller und zurückhaltender erzählte Siegfried Lenz von seinen Lebenserfahrungen, der Jugend in Masuren, den Erlebnissen als Soldat:
„Ich wollte heraus finden, ob das, was ich erlebt habe ausreicht, um dargestellt zu werden, und einem Leser als Vergleich angeboten wird, seine eigenen Erfahrungen einzubeziehen und sie noch einmal zu spiegeln.“
Eine ebenso bedeutende Erzählerin war Nadine Gordimer aus Südafrika, die Apartheid und der Rassismus gehörten zu den wichtigsten Themen ihrer Bücher. Auch der Kolumbianer Gabriel Garcia Marquez erzählte von den politischen und sozialen Entwicklungen seiner Heimat, schuf aber auch den oft kopierten Stil des magischen Realismus.
Ikone der Protestkultur
Wenn der greise, 1919 geborene Pete Seeger auf die Bühne kam und sein berühmtes Lied „This land is your land“ anstimmte, waren das auch magische Momente. Die Stimme war zuletzt brüchig, die Hände zitterten, fanden aber immer noch die richtigen Griffe auf der Gitarre. Seeger war eine Ikone der Protestkultur, ein Singer-Songwriter, der „We shall overcome“ geschrieben hat und „Where have all the flowers gone“, Lieder, die längst Allgemeingut geworden sind.
Großes Engagement prägte auch das Werk des britischen Filmregisseurs und Schauspielers Richard Attenborough. 20 Jahre kämpfte er um die Finanzierung seines Films „Gandhi“. Der erste Film des Franzosen Alain Resnais war „Hiroshima mon amour“. Resnais hatte zuvor Dokumentationen gedreht, er war ein Mitgründer der Nouvelle Vague. Einer der Anstoßgeber der Bewegung des New Hollywood war der Regisseur Mike Nichols. Er hetzte Elizabeth Taylor und Richard Burton in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ aufeinander und spiegelte das Lebensgefühl der 68er-Generation mit der Komödie „Die Reifeprüfung“. Zwischen Kino und Kunst bewegte sich Harun Farocki. Seine Filminstallationen erzählten vom Alltag und vom Arbeitsleben
Auch wenn Claudio Abbado große spätromantische Orchesterstücke dirigierte, blieb sein Ideal die Kammermusik. Er war ein Philosoph am Taktstock, die Förderung der Jugend war eins seiner wichtigsten Anliegen. Mehr dem Glamour zugewandt war Lorin Maazel, ein Lustmusiker mit unglaublicher Verführungskraft. Während sich der Niederländer Frans Brüggen vor allem der Barockmusik widmete. Die Blockflöte erlebte durch ihn eine Renaissance im Konzertsaal. Viele neue Opern und Musiktheaterkreationen ermöglichte Gérard Mortier, der Gründungsintendant der Ruhrtriennale, der auch die Salzburger Festspiele prägte.
Zum Schluss sei an einen Mann erinnert, der nicht so bekannt ist. Riz Ortolani schrieb die Soundtracks für unzählige italienische Genrefilme der 60er- und 70er-Jahre. Spaghetti-Western unterlegte er mit melodischem Pathos, Horrorfilme mit subversiv fröhlichen Klängen und Liebesszenen mit schamloser Sinnlichkeit. Ein Filmmusikkomponist zum Wiederentdecken.
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