Freiwillige auf dem Balkan

Die Internationale der Flüchtlingshelfer

Helferin Dafina zeigt einer Flüchtlingsfamilie den Weg.
Dafina, Helferin im serbischen Grenzort Miratovac, ist eine von zahllosen Freiwilligen auf der Balkanroute. © Schaban Barjami
Von Ralf Borchard und Stephan Ozsváth · 18.11.2015
Nicht nur in Deutschland, auch entlang der Balkanroute geht ohne Freiwillige momentan nichts. An den Grenzen und in den Dörfern kochen sie für die Flüchtlinge und bauen winterfeste Zelte auf. Ganz nach dem Motto "Wir schaffen das". Leicht ist es aber nicht.
Sie kommen in kleinen Gruppen von jeweils rund 50 Männern, Frauen und Kindern über die Grenze, zu Fuß, eingeteilt von der griechischen Polizei. Die Grenze von Griechenland nach Mazedonien - das ist hier bei Gevgelija ein steiniger Feldweg, links und rechts einige Rollen Stacheldraht, dazwischen ein rund fünf Meter breiter Durchgang.
Gerade kommt wieder eine Gruppe von Flüchtlingen aus Syrien. Vorne schiebt ein Mann eine junge, behinderte Frau im Rollstuhl. Am Ende der Gruppe kommt Mohammed, 24, aus Aleppo:
"Ich will nach Deutschland, zu Mama Merkel", sagt er. "Sie versteht, was Menschlichkeit wirklich bedeutet."
Nach einer Viertelstunde Fußweg kommt die Gruppe im Auffanglager Gevgelija an. Die mazedonischen Polizisten am Eingang schauen eher unbeteiligt zu. Den ersten Kontakt haben die Flüchtlinge zu einer mazedonischen Helferin, die Wasserflaschen verteilt. Warum steht sie hier fast jeden Tag?
"Weil ich helfen will - ganz einfach", sagt Violetta, die nicht weit vom Lager entfernt in Gevgelija wohnt. UNHCR-Mitarbeiter in blauen Westen erklären den ankommenden Flüchtlingen, wo sie sich waschen, wo sie ihre Handys aufladen können, wo sie warme Kleidung bekommen. Die Deutsche Alexandra Krause koordiniert die Arbeit des UN-Flüchtlingshilfswerks in Gevgelija.
"Die bekommen Wasser und Nahrung. Wir haben für die Kinder hier so eine Art Kindergarten, da können die ein bisschen spielen, werden ein bisschen abgelenkt. Wir werden hier auch in Zukunft freies Internet haben. Das ist ganz wichtig für die Flüchtlinge, damit sie auch Kontakt aufnehmen können zu ihren Familienmitgliedern und sich auch austauschen können."
Das Lager wird mit Geldern der Europäischen Union und der Vereinten Nationen gerade winterfest gemacht.
"Besonders die großen Zelte, die werden zugemacht, dann kommt ein Boden rein, ein isolierter Boden, und natürlich auch Heizstrahler."
Zwischen 5.000 und 10.000 Flüchtlinge pro Tag kommen derzeit nach UNHCR-Angaben hier an.
Syrische Flüchtlinge gehen hintereinander auf einen Stacheldrahtzaun zu. Ein Mann schiebt eine Frau im Rollstuhl.
Syrische Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze bei Gevgelija© Schaban Barjami
Mohammed aus Aleppo will wie all die anderen nur wenige Stunden im Lager Gevgelija bleiben, möglichst bald mit dem Zug weiter Richtung serbische Grenze. Eines ist ihm noch wichtig zu sagen. Am Ende will er zurück nach Syrien, sobald wie möglich.
"Wenn die Probleme in Syrien heute gelöst werden könnten, würde ich noch heute zurückgehen. Wir sind ja nicht die Dritte Welt, wie manche in Europa meinen. Wir sind gebildet. Ich habe studiert. Ich respektiere Europa sehr, weil Europa uns hilft. Jetzt würde ich gerne mein Informatikstudium in Deutschland abschließen. Aber, um später zurückzugehen, um mein Land wieder aufzubauen. Syrien ist unsere Heimat, unser Land."
Im Zug, der wenig später Richtung serbische Grenze abfährt, sitzen auch hunderte Männer, Frauen und Kinder aus Afghanistan, dem Irak und anderen Ländern. Am Grenzbahnhof Tabanovce werden sie von Driton Malichi in Empfang genommen.
Auf Arabisch erklärt er per Megafon, welche Hilfe es hier gibt und wie es zu Fuß weiter zum Grenzübergang nach Serbien geht.
"Ich bin seit vier Monaten hier. Am Anfang gab es nicht einmal Zelte oder Toiletten. Jetzt ist es besser organisiert, es gibt Wasser, Nahrung, Decken. Das meiste wird von privaten Spenden bezahlt, und das Rote Kreuz ist hier."
Driton Malichi arbeitet für die islamische Hilfsorganisation Legis.
"Unsere Regierung tut nichts für die Flüchtlinge, sie kümmert sich bestenfalls um den möglichst schnellen Weitertransport", sagt Driton Malichi. "Was die Versorgung und Betreuung der Flüchtlinge betrifft - wir, die freiwilligen Helfer sind es, die das schaffen. Wir schaffen das. Wir machen hier den Job der Regierung."
Ein Weltreisender hilft spontan an Serbiens Grenze
Dauerregen hat in Mazedonien bereits zu Überschwemmungen geführt. Auch jetzt beginnt es gerade wieder zu regnen.
Auf der serbischen Seite der Grenze prasselt der Regen auf mehr als 1000 Flüchtlinge, die in einer schier endlosen Reihe entlang der Dorfstraße von Miratovac stehen. Manche kauern auch erschöpft am Boden. Die Menschen warten auf Busse, die sie ins Durchgangslager Presevo bringen, dort registriert sie die serbische Polizei per Fingerabdruck.
"Heute sind es noch mehr als normalerweise, es kommen sehr viele", sagt Dafina, die zusammen mit anderen jungen Helfern aus Miratovac Regenumhänge verteilt. "Wir vom Jugendzentrum sind hier zu zwölft. Wir helfen eben, so gut wir können."
Später, vor dem Registrierungszentrum in Presevo, stehen die Flüchtlinge wieder im strömenden Regen. Zwei, drei, manchmal vier Stunden lang. Die serbische Polizei lässt immer nur kleine Gruppen die Metallabsperrung passieren.
Rucksacktourist Skip Daniels aus Los Angeles hilft in Presevo.
Rucksacktourist Skip Daniels aus Los Angeles hilft in Presevo.© Schaban Barjami
Ein junger Mann im Regenumhang überredet die Polizisten, eine schwangere Frau aus Syrien durchzulassen. Er wirkt wie ein professioneller Helfer, doch Skip Daniels ist eigentlich Rucksack-Tourist:
"Ich reise seit rund einem Jahr quer durch Europa", sagt Skip. "Bei einem Festival in Belgrad war ich plötzlich mit dem Flüchtlingsthema konfrontiert. Es traf mich wie ein Schlag. Also bin ich spontan an die serbisch-mazedonische Grenze, weil die Lage hier am schlimmsten ist."
Skip kommt aus Los Angeles, er ist gerade 19 geworden, schläft 500 Meter vom Durchgangslager entfernt auf dem Campingplatz:
"Ich habe einfach das Gefühl, dass ich etwas sinnvolles tue", sagt Skip.
Die Busse, die in der Nähe warten, bringen die Flüchtlinge nach der Registrierung quer durch Serbien an die Grenze zu Kroatien.
Müde Flüchtlinge hoffen auf Deutschland
Eine Autobahn-Raststätte kurz vor der serbisch-kroatischen Grenze. Die serbischen Behörden haben hier ein jahrelang geschlossenes Hotel wieder eröffnet. In der Hotellobby sind neben Mitarbeitern des staatlichen Flüchtlingskommissariats wiederum zahlreiche Freiwillige im Einsatz. Jovana Vincic arbeitet für die serbische Hilfsorganisation 'Asylum Protection Center'.
"Die Flüchtlinge sind erschöpft, viele von ihnen haben Hunger", sagt sie. "Immer mehr haben Fieber, viele haben Magenprobleme, darunter viele Kinder. Es fehlt noch immer an warmer Kleidung. An ganz einfachen Dingen wie Socken. Die Hilfe muss wirklich weiter verbessert werden."

Jovana Vincic von der Hilfsorganisation „Asylum Protection Center“ an der serbischen Autobahnraststätte bei Sid
Jovana Vincic von der Hilfsorganisation „Asylum Protection Center“ an der serbischen Autobahnraststätte bei Sid© Dejan Stefanovic
Jovana Vincic bezweifelt, ob Serbien und die anderen Länder entlang der Balkanroute auf den Winter vorbereitet sind und die Wartezeit, bevor es zum Bahnhof weitergeht, beträgt schon jetzt zehn Stunden.
"Ja, wir haben im Bus übernachtet... Wir sind fünf Tage und Nächte zu Fuß durch Bulgarien. Vor allem nachts durch die Wälder, aus Angst festgenommen zu werden. Die meisten von uns wollen nach Deutschland. Wir wollen doch arbeiten, Geld verdienen, wir hoffen auf Deutschland. Es gibt keinen Frieden in Afghanistan - überall Tod und Blutvergießen. Es gibt keine Jobs, keine Bildung, keinen Respekt gegenüber den Menschen."
"Sobald Deutschland die Grenzen schließt, müssen wir hier mit Chaos rechnen. Wenn dann Österreich, Slowenien und Kroatien das Gleiche tun, entsteht hier ein großer Rückstau, eine Grauzone. Die Leute werden wieder draußen im Freien schlafen müssen. Ich fürchte, dass sie dann, vor allem wenn jetzt der Winter kommt, ohne jeden angemessenen Schutz sind."
Im kroatischen Grenzort Kljuc Brdovecki geht die Schranke zu. Diesmal steigen die Flüchtlinge nicht aus dem Zug und laufen zu Fuß durch das 700-Einwohner-Dorf in Richtung slowenische Grenze. Diesmal fährt der Zug mit etwa 1000 Flüchtlingen an Bord direkt durch bis Dobova in Slowenien. Es ist eine Premiere. Die Kroatin Maria wartet umsonst.
"Ich komme aus Zagreb und habe im Auto Spenden, die ich gesammelt habe" sagt sie. "Warme Kleider für Kinder und Erwachsene, Brot, Wasser. Die Leute sind ausgehungert, frieren. Und ich denke, wir müssen ihnen helfen."
Dass die Züge die Flüchtinge direkt nach Slowenien bringen - das ist das Ergebnis des EU-Gipfels Ende Oktober. Vorher hatte es Gezänk zwischen den Regierenden in Ljubljana und Zagreb gegeben. Gegenseitige Schuldzuweisungen. Der slowenische Bauer Zvone Pavlin erinnert sich.
"Es war sehr spannungsgeladen", sagt er. "Denn die Kroaten haben die Flüchtlinge an die grüne Grenze gebracht, und sie dort rausgelassen, wo unsere Polizei nicht stand. Ich erinnere mich: damals sind mehr als 13.000 Flüchtlinge an meinem Hof in Rigonce vorbei gegangen."
Das war im Oktober. Weggeworfene Decken am Wegesrand erinnern an den Treck, der noch vor Wochen hier vorbeigezogen ist. Zvone Pavlin wohnt in Rigonce, einem kleinen Weiler, direkt an der kroatischen Grenze.
"Refugees welcome" steht in weißen Buchstaben auf dem Rasen.
"Refugees welcome" steht in weißen Buchstaben auf dem Rasen vor der mobilen Flüchtlingsküche.© Stephan Ozsvath
Maria aus Berlin ist damals mit anderen Helfern hierher gekommen. Um zu helfen.
"Hier war das die letzten Wochen eine unerträgliche Situation, dass sie an der Grenze auf der kroatischen Seite aus dem Zug aussteigen mussten. Und dann auf dieses Feld kamen. Das war mit Metallgittern umsperrt. Und es war letztlich keinerlei humanitäre Unterstützung da. Es gab keinerlei Informationen. Die Leute sind einfach angekommen. Und waren konfrontiert mit Panzern, Armee, Riot Cops und diesen Gittern. Es war kalt. Und dann sind Leute erst mit Pferden eskortiert worden, in das nächste Camp."
In einem riesigen Topf vor dem Haus der Slowenin Ana Petric köchelt Kürbissuppe. Die Putzfrau aus Rigonce ist Witwe, sie hat selbst nicht viel. In ihrem Garten haben die Helfer aus aller Welt eine mobile Küche für Flüchtlinge aufgebaut. Im Gras liegen weiße Buchstaben: "Refugees welcome" - Flüchtlinge willkommen. Die freundliche Greta ist eine Mittelstandstochter aus Berlin, sie schnippelt und wäscht Gemüse.
"Hier vom Bauern gegenüber bekommen wir Gemüse, können wir uns abholen. Er kommt dann mit der Sackkarre und bringt es uns rüber. Heute haben wir bestimmt schon 80 Kilo Kürbis verkocht. Und 100 Kilo Kartoffeln, 30 Kilo Kohl. Ich bin jetzt hier bei der vierten Stiege Petersilienwurzeln."
Kürbis schnippeln gegen Zäune. Die Helfer wollen auch ein politisches Statement setzen: Gegen den rüden Umgang mit Flüchtlingen an den Grenzen. Die mobile Flüchtlingsküche, die von Grenze zu Grenze fährt, sie ist auch ein Symbol: Für offene Grenzen. Grenzzäune à la Orbán lehnt Maria mit dem Nasenpiercing kategorisch ab.
"Ich glaube, es gibt sehr viele Ängste, die beruhen aber oft auf einem Sich-Nicht-Kennen. Und dieses Kennenlernen, das braucht es. Wenn wir das gut hinbekommen, dann schaffen wir es."
Slowenische Behörden haben Probleme mit deutscher Spontanhilfe
Rigonce, Mitte November. Die Stimmung hat sich mittlerweile gedreht - immer lauter wird der Ruf nach Zäunen, auch in Slowenien. Soldaten verlegen Nato-Stacheldraht. Dreieinhalb Kilometer lang ist er hier, zieht sich entlang des Ufers der Sotla, die messerscharfen Klingen blitzen in der Herbstsonne. Seitdem Ungarn Mitte Oktober die Grenze zu Kroatien geschlossen hat, ist Slowenien zum Transitland geworden - gut eine Viertelmillion Flüchtlinge sind seitdem durch das kleine EU-Land gezogen. Man bereitet sich auf weitere vor. Und auf den Winter.
Am Stadtrand von Dobova wird das Erstaufnahmezentrum winterfertig gemacht: In einem Zelt verlegen freiwillige Helfer Plastikfliesen. "Jetzt gerade hier hinter uns gibt es ein Behandlungszelt, und dafür musste der Wartebereich jetzt versetzt werden", erzählt Bálint Vadász aus Budapest.
Der 34-Jährige ist mit einer Caritas-Delegation gekommen, die die Slowenen ins Land gerufen haben. Draußen im Lager bauen slowenische Soldaten bei Flutlicht neue Zelte auf. Freiwillige packen mit an, auch der Berliner Student Michael.
"Eine Gruppe von Menschen, die sich zusammen gefunden hat, in Berlin, und wir sind dann einfach runter gefahren und wollten den Menschen helfen."
Michael aus Berlin trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Refugees Welcome". Der Student ist beseelt von der "Eine-Welt-Idee".
"Wir sind eine Welt, wir sind alle gleich. Und sie haben einfach eine schwierige Lage. Und ich heiße sie einfach herzlich willkommen. Helfe dem Nächsten."
Stacheldrahtzaun bei Rigonce, Slowenien
Stacheldrahtzaun bei Rigonce, Slowenien© Stephan Ozsvath
Aus Dresden ist noch ein anderer Michael gekommen. Mit christlicher Nächstenliebe habe er nichts am Hut, sagt er. Der Architekturstudent wirkt skeptischer, er bemängelt, dass das Helfen in Slowenien gar nicht so einfach ist. Die Behörden haben hier gerne Kontrolle. Das verträgt sich nicht mit der Sponti-Hilfe der Deutschen.
"Prinzipiell ist es so, dass es sehr viele Freiwillige gibt, aber man kann ohne eine Registrierung nicht helfen. Hauptsächlich brauchen sie Informationen. Sie wollen wissen, wo sie sind, wie weit es noch bis zur nächsten Grenze ist. Wann sie das nächste Mal Wifi-Zugang finden."
In den Zelten hört man es Hämmern. Holzdielen werden eingezogen, Stromkabel verlegt. Computer für die Registrierung der Flüchtlinge angeschlossen.
Der Platz zwischen den Zelten wird asphaltiert. Beständig fahren Walzen im Flutlicht hin und her: Vorbereitung auf den Winter, wenn es kalt und schmutzig wird. Flüchtlinge sollen nicht im Schlamm stehen, bevor sie sich registrieren lassen können. Der ungarische Caritas-Helfer Bálint Vadász will keine politischen Fragen beantworten, schon gar nicht zum Umgang mit Flüchtlingen in seiner Heimat Ungarn.
"Hierhin kommen Menschen. Unser Job hier ist, Menschen zu helfen, die uns brauchen. Politische Fragen sollen die Politiker klären. Das ist ihr Job."
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