Aus den Feuilletons

"Dein kalter trostloser Ton"

Die Soziologin und Publizistin Necla Kelek 2013 in der ARD-Sendung "Anne Will"
Die Soziologin und Publizistin Necla Kelek 2013 in der ARD-Sendung "Anne Will" © dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler
Von Adelheid Wedel · 13.11.2015
Das Flüchtlingsthema scheint auch Duzbekannte zu entzweien. Jedenfalls druckt die "taz" einen offenen Brief an die Soziologin Necla Kelek, der Paranoia vorgeworfen wird sowie: "Du willst nicht anpacken".
Ein Brief, ein Artikel, eine Buchrezension – drei Mal taucht das Flüchtlingsthema auf sehr unterschiedliche Weise in den Wochenendfeuilletons auf. Den Brief richtet Jan Feddersen in der Tageszeitung TAZ an die deutsch-türkische Soziologin Necla Kelek und teilt darin sein Erstaunen über Keleks geringe Anteilnahme an der Flüchtlingsfrage mit. Er erinnert daran, dass sie selbst in Istanbul geboren wurde und mit neun Jahren nach Deutschland kam:
"Viele Hunderttausend Menschen kommen in diesen Wochen nach Deutschland, und es werden noch mehr. Wir als schon lange hier Lebende, als in der Bundesrepublik Geborene, sind mehrheitlich willens, die neuen Bürger und Bürgerinnen aufzunehmen, ihnen Asyl zu geben."
Der Autor wundert sich, was für "einen kalten, ja apokalyptisch trostlosen Ton" Necla Kelek anschlägt. Sie nehme, so schreibt er, "an den Flüchtlingen aus Syrien nicht wahr, dass sie in Not sind, dass sie, wie du, in Deutschland ein freies Leben führen wollen". Feddersen kritisiert, dass die Adressatin dieses öffentlichen Briefes davor warnt, dass wieder Parallelgesellschaften entstehen. Diese und andere Äußerungen hält Feddersen für "Sprachbildnerei, die Paranoia atmet und Ängste stimuliert". Wörtlich heißt es:
"Liebe Necla, deine Einschätzungen lassen mich frieren." Er wirft ihr vor: "Du willst nicht anpacken, du willst mahnen und drohen. Trau dich," sagt er dann, "die Zukunft des Zusammenlebens in diesem Land, in Europa, friedlich und dem Leben zugewandt zu denken."
Um Schritte in Richtung einer so ersehnten friedlichen Zukunft zu erleichtern, hat jetzt der Herder Verlag im Eiltempo das Taschenbuch "Deutschland. Erste Informationen für Flüchtlinge" in Deutsch und Arabisch herausgegeben. Hannes Hintermeier stellt das Buch in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG vor. Geschrieben wurde es "von der Lektorin Susanne Van Volsen und dem Publizisten Rocco Thiede. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat das Buch angeregt, ein wissenschaftlicher Beirat hat es begleitet."
Nun hofft man, dass die Behörden oder Hilfsorganisationen das Buch kaufen – von welchem Geld eigentlich? – und es über die Flüchtlingshelfer an die Betroffenen verteilen. Der Rezensent hält sich bei der Beurteilung des Werkes zwar zurück, meint aber:
"Es ist bei aller erwartbarer Betulichkeit, bei allem Verständnis für Didaktik und einfache Sprache ein seltsames Buch geworden. In kurzen Kapiteln wird von der Verankerung des Landes in der christlichen Kultur berichtet", das Grundgesetz wird ebenso erläutert wie das Rechts- und das Wirtschaftssystem. "Neun knappe Zeilen" widme das Buch der brennenden Frage, wie man wohl an eine der 400 deutschen Hochschulen gelangen kann.
Die in Berlin lebende dänische Journalistin Henriette Harris vergleicht in der TAZ-Serie "Blick von außen" die Notlage von heute mit der Situation nach 1945 und den Flüchtlingen von Ost nach West. Sie stellt noch einen anderen Vergleich an:
"In den Tagen, als Angela Merkel sagte: "Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte kennt keine Obergrenze", erklärte der dänische Ministerpräsident Rasmussen, dass Dänemark sich nicht an den Flüchtlingsquoten der EU beteiligen würde."
Das brachte ihrem Heimatland die Einschätzung ein, "politisch das Ungarn des Nordens" zu sein. Henriette Harris lobt Merkels Flüchtlingspolitik und ihren Mut, die Leute zu mehr Hilfsbereitschaft zu ermuntern. Die dänischen Politiker hingegen würden sinngemäß sagen:
"Kommt bloß nicht her mit euren Traumata, Kindern, Bedürfnissen und muslimischen Glauben, wir brauchen das alles nicht." Sie warnt: "Wozu sie die Menschen ermuntern wollen, möchte man besser nicht wissen."
Am 20. November erscheint Gunter Hofmanns Biografie "Helmut Schmidt – Soldat, Kanzler, Ikone" im Beck Verlag München. Wer sich vorab etwas informieren will, findet auf zwei Seiten in der TAZ einen auszugsweisen Vorabdruck. Gunter Hofmann merkt an:
"Auch wenn Helmut Schmidt die Nazis ablehnte, wie er unzählige Male wiederholte, viele ihrer Lügen leuchteten ihm dennoch zunächst ein. Nein, blind war er wie andere auch. Wenige wagten, das einzugestehen."
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