Kriminalitätswarnungen per App

Wie "Citizen" US-Großstädte sicherer machen will

06:34 Minuten
Auf einem Fahrzeug der Polizei in Connecticut steht "Emergency 911".
Einen Notruf mit "Citizen" erhält nicht nur die Polizei, sondern alle Nutzerinnen und Nutzer in der Nähe. © imago images / Jacob Schröter
Von Felix Wessel · 09.11.2019
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Die Berichterstattung über Kriminalität ist ein hochsensibles Thema. Auf einem ganz anderen Level als hierzulande wird die Debatte in den USA geführt: Dort informiert die App "Citizen" über Verbrechen - in Echtzeit und mit Beteiligung der User.
New York City. Eine Frau ruft die Notrufnummer 911, meldet einen bewaffneten Mann in einem Park. Mitarbeiter der App Citizen schicken eine Warnung per Push-Mitteilung an alle Nutzerinnen und Nutzer in der Nähe. Eine Frau, die mit Kinderwagen in den Park will, bekommt die Nachricht - gerade noch rechtzeitig.
So präsentiert sich Citizen in seinem YouTube-Kanal. Die Macher geben derzeit keine Interviews. Auf Anfrage heißt es aber schriftlich: Mehr als eine Million Nutzerinnen und Nutzer habe die App mittlerweile – und es wurden mehr als eine Milliarde Push-Nachrichten verschickt. Und das nicht nur in New York, sondern mittlerweile auch in San Francisco und der Bay Area, Los Angeles oder Philadelphia.

Eine Art Google Maps für Verbrechen

Zum Start von Citizen in Baltimore erklärt CEO Andrew Frame das Prinzip der App beim Sender WBAL so: "Wenn jemand den Notruf 911 wählt und entweder ein Feuer oder ein Verbrechen meldet, geht diese Info nur an die Ersthelfer. Mit Citizen haben wir diese Information freigeschaltet und wir geben sie an jede in der Nähe des Vorfalls."
Die Community habe ein Recht auf dieses Wissen, meint Frame.
Citizen wirkt ein bisschen wie eine Art Google Maps für Verbrechen. Auf dem Stadtplan sind verschiedenfarbige Punkte für Vorfälle zu sehen: Je nachdem, wie lange sie schon her sind und für wie relevant Citizen sie einschätzt.
Bei Vorfällen wie diesem – Mann angeschossen, Verstärkung angefordert – können Nutzer kommentieren oder auch mit ihren Smartphones Livevideos vom Ort des Geschehens senden. Solche Videos könnten unter Umständen Verdächtige vor Übergriffen der Polizei schützen, sagte CEO Andrew Frame. Und sie sorgten für Transparenz.
Diese Nutzerin in New York hält davon aber wenig: "Ich denke, das ist etwas schräg, wenn es da Chaos und Durcheinander gibt und Schüsse und Feuer, da herumzustehen und das zu filmen. Ich habe da so ein Bauchgefühl, dass das nicht zu cool ist."
Und immer wieder gibt es den Vorwurf, dass sich die Citizen-Nutzer in Gefahr bringen. Wohl auch deshalb gibt es im Unternehmens-Blog eine Anleitung, wie sicher für die App gefilmt werden kann.

Erfolgsgeschichten der Macher – Kritik der Nutzerinnen

Außerdem erzählen die Macher im Blog Erfolgsgeschichten: Etwa von dem einjährigen Jungen, der von einem Citizen-Nutzer vom Rücksitz eines gestohlenen Autos gerettet wurde. Oder von dem Mann, der von dem Feuer in seinem Haus über Citizen erfuhr.
Doch nicht alle Nutzerinnen sehen die App so positiv:
"Meine Perspektive war, dass es mich ein wenig paranoid gemacht hat und dass ich zu sehr darauf geachtet habe und dann habe ich gesagt: Ich brauche das nicht mehr."
"Es war einfach zu viel los und hat mich besorgt gemacht über alles, was so passiert. Es war zu viel für mich, ich habe schon genug, worüber ich mir Sorgen machen muss."
Obwohl sie Apps wie Citizen für ein Gefühl von mehr Sicherheit aufrufen, bekommen manche Nutzerinnen und Nutzer langfristig mehr Angst. Ein Phänomen, das Medienwissenschaftler, unter anderem David Ewoldsen, schon beschrieben haben. Auch weil immer wieder Berichte über beispielsweise Schüsse gemeldet werden, sie aber erst danach geprüft werden. Oft ist also in der App mehr los, als in der Realität.

Was passiert bei falschem Alarm?

Dazu teilt Citizen auf Anfrage mit: "Sicherheit hat für uns höchste Priorität – und das bedeutet Benachrichtigungen in Echtzeit. Und in dem Sinne halten wir uns an hohe redaktionelle Standards. ... Wenn ein Vorfall nicht bestätigt ist, dann erstellen wir dazu eine Nachricht in der App."
Und falls es sich um einen falschen Alarm gehandelt habe, dann aktualisiert Citizen nach eigenen Angaben den Post.
Citizen könnte ein nützliches Tool sein, findet Desmond Patton von der Columbia School of Social Work in New York. Ihm fehlt aber unter anderem ein Korrekturmechanismus der Community für ungenaue Posts. Und das ist nicht Pattons einzige Kritik. In den USA würde etwa bei dunkelhäutigen Menschen viel eher ein Verbrechen gemeldet als beim selben Verhalten von hellhäutigen.

Warnung vor diskriminierender Wirkung

"Ich bin besorgt, dass es ein weiteres Tool zur Überwachung und Kontrolle von Communities wird - schwarzer und brauner Communities, um genau zu sein. Warum sprechen wir nicht auch über diese Tools im Kontext von mehrheitlich weißen Gegenden und Communities?"
Citizen teilt dazu mit: Die eigene Mission sei es, dass die Menschen sicher und informiert bleiben. Und man glaube, dass der Kampf gegen rassistische Vorurteile ein entscheidender Teil dieser Bemühung sei – und das versuche man umzusetzen mit der Art, wie man Informationen filtere und teile.
Und diese Informationen will Citizen an so viele Menschen wie möglich verbreiten. Erst vor rund drei Wochen ist die App in der US-Großstadt Phoenix an den Start gegangen – und, so teilt Citizen etwas vage auf Anfrage, mit – man werde weiter expandieren. Passend dazu lautet das Motto der App auch: "Beschütze die Welt". Kritiker würden aber wohl eher sagen: "Verunsichere die Welt.
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