"Das ist keine nationale Krise"
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Bei Verbrechen werde mit zweierlei Maß gemessen, rügt der Philosoph Moctar Kamara. Während beim getöteten Jungen im Frankfurter Hauptbahnhof die Politik sofort reagiert habe, gebe es keine vergleichbaren Reaktionen, wenn Migranten zum Opfer würden.
Einen Tag nachdem ein Mann im Frankfurter Hauptbahnhof einen achtjährigen Jungen und dessen Mutter vor einen einfahrenden ICE gestoßen hat, ist das Entsetzen über die Tat groß. Das Kind war sofort tot, die Mutter konnte sich auf den Fußweg zwischen zwei Gleisen retten. Der Tatverdächtige soll seit 2006 in der Schweiz im Kanton Zürich leben und aus Eritrea stammen.
Seit Bekanntwerden des Falls wimmelt es im Netz von Hassbotschaften. Am Frankfurter Hauptbahnhof gab es eine Mahnwache und der Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) unterbrach am Dienstag seinen Sommerurlaub für eine Pressekonferenz.
Zweierlei Maß
Es werde offenbar bei Verbrechen mit zweierlei Maß gemessen, kritisierte der in Berlin lebende Philosoph und Vorsitzende der Afrikanischen Gemeinschaft in Deutschland, Moctar Kamara, im Deutschlandfunk Kultur die Reaktionen auf diese schreckliche Tat.
"Wenn ein Verbrechen gegen Migranten begangen wird, sind die Reaktionen nicht so heftig", sagte Kamara. Erst kürzlich habe es den Versuch gegeben, einen Eritreer im hessischen Wächtersbach zu ermorden. "Da gab es keine große Reaktion von der Politik."
Kamara sagte, er verstehe die Empörung über den Tod eines Kindes. Aber es gebe "keine nationale Krise", bei der es angemessen sei, den Urlaub eines Ministers zu unterbrechen und eine Pressekonferenz einzuberufen. Das sei übertrieben.
Es seien schon mehrfach Migranten ermordet worden, aber der Innenminister habe nie sofort darauf reagiert. Seehofer habe die Pressekonferenz vielmehr genutzt, um sein "Lieblingsthema Migration" erneut zu behandeln.
Verbreiteter Rassismus
Es herrsche in Deutschland zwar eine sehr schlechte Stimmung, aber er erlebe es nicht so, dass er als Schwarzer nach einem Vorfall wie in Frankfurt am Main anders behandelt werde, sagte Kamara.
Es gebe aber in Deutschland ein Problem mit Rassismus. Ein Drittel der Deutschen hätten eine rechte Gesinnung. "Es gibt auch Parteien, die Stimmung machen gegen Migranten", sagte Kamara.
Im Frankfurter Fall habe der Mann dieses schwere Verbrechen nicht begangen, weil er aus Eritrea sei. Vielmehr sollte man nach der Motivation des Täters fragen, der offenbar psychisch krank zu sein scheine.
(gem)