Konstantin Sakkas, geboren 1982, studierte Philosophie und Geschichte. Er arbeitet als Publizist und Literaturkritiker in Berlin.
Schuldenunion statt Reparationen
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Vor 80 Jahren überfiel Deutschland Griechenland. Der Riss zwischen den Ländern ist nie verheilt, aktuell gibt es wieder Reparationsforderungen aus Athen. Sie sind berechtigt, meint der Journalist Konstantin Sakkas, aber es brauche andere Lösungen.
Mit der Luftlandeschlacht zum Kreta endete am 1. Juni 1941 die deutsche Kampagne in Griechenland. Es begann die Katochí, die besonders brutale dreijährige Besatzungszeit. Allein im Winter 1941/42 forderte eine durch die deutschen Requisitionen herbeigeführte Hungersnot mindestens hunderttausend Todesopfer.
An die 120 später sogenannte Märtyrerdörfer wurden von Wehrmacht und SS dem Erdboden gleichgemacht und ihre Einwohner ermordet. Ein Großteil der griechischen Juden wurde in der Shoah umgebracht.
Als sich die Wehrmacht im Oktober 1944 vom griechischen Festland zurückzog, hatte das Land etwa 10 Prozent seiner Bevölkerung und große Teile seiner Industrie verloren.
Forderungen an Deutschland ein Politikum ersten Ranges
Seither sind Forderungen nach Reparationen durch Deutschland in Griechenland nicht verstummt, auch wenn die deutsche Öffentlichkeit sie nicht immer wahrnimmt, oder nicht wahrnehmen will.
Die in den 50er-Jahren von der Bundesrepublik geleisteten Entschädigungen waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Londoner Schuldenabkommen von 1953 sah ein Zahlungsmoratorium bis zum Abschluss eines formellen Friedensvertrages vor. Doch zu einem solchen Friedensvertrag kam es bekanntlich nicht. Seit der Wiedervereinigung und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 aber betrachtet Deutschland die Reparationsfrage als erledigt.
Griechenland, aber auch Polen sehen das anders. Die griechischen Forderungen gegenüber der Bundesrepublik wurden jüngst offiziell auf mindestens 289 Milliarden Euro beziffert. Die Reparationsforderungen sind in Griechenland ein Politikum ersten Ranges, kämpft das Land doch seit seiner Gründung vor 200 Jahren mit chronischer, oftmals fremdverschuldeter Finanzknappheit.
Zuerst musste das Land seine Unabhängigkeit beim Osmanischen Reich ablösen. Dann war es bis zum Zweiten Weltkrieg mit der Rückzahlung von Krediten aus dem 19. Jahrhundert beschäftigt. Dann kamen die Deutschen. Und kaum, dass das Land unter die schützende Hand der Eurozone geschlüpft war, kam 2008 die Finanzkrise und brachte Rezession und Verarmung.
Kolonialistischer Umgang innerhalb der EU
Deutschland hingegen steht gestern wie heute glänzend da – nun soll es bitteschön wenigstens die Schulden aus der Besatzungsherrschaft zahlen. Die griechischen Reparationsforderungen sind berechtigt. Dennoch senden sie ein falsches Signal, denn sie treiben einen Keil in die Europäische Union und öffnen damit China und Putin ein Einfallstor.
Nicht nur ist China bereits mit gewaltigen Summen in Griechenland investiert, auch dient die Reparationsdebatte den Feinden Europas als Beweis, wie moralisch verlogen und kolonialistisch der Westen auch im Umgang mit seinen eigenen, ärmeren, Mitgliedern sei.
Und von diesen antiwestlichen Parolen droht die größere Gefahr. Griechen und Deutsche dürfen die Europäische Union nicht kaputtreden. Eine vertiefte Fiskal- und Schuldenunion, wie sie unter Pandemiebedingungen bereits erprobt wird, sind die geeigneten Instrumente, um die europäische Solidarität zu vertiefen, dazu ein verstärkter erinnerungspolitischer Austausch zwischen den Mitgliedsstaaten, etwa durch einen integrierten europäischen Geschichtsunterricht.
Bewusstsein für das deutsche Verantwortungserbe
Am 10. Juni 1944 ermordete die SS-Division "Das Reich" im französischen Oradour-sur-Glane 642 Menschen. Exakt am selben Tag tötete ein anderer Verband der Waffen-SS im mittelgriechischen Distomo 218 Zivilisten. Beide Massaker, das im Westen und das im Südosten, bilden ein gemeinsames europäisches Erinnerungsfeld.
Und um dieses europäische Erinnerungsfeld sollte es uns gehen: Schüler:innen in Deutschland sollten mehr über moderne griechische Geschichte lernen. Damit würde auch das Bewusstsein für das deutsche Verantwortungserbe in dieser Region Europas geschärft. Und zugleich gewönne die Debatte um Reparationen in der deutschen Öffentlichkeit so überhaupt erst die nötige Legitimität, um auf eine Weise geführt zu werden, die Europa nicht spaltet, sondern versöhnt.