Konzertbranche

Unterm Damoklesschwert

13:03 Minuten
Das Publikum feiert beim Tempelhof-Sounds Festival auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Berlin Tempelhof. Eine junge Frau ist auf den Schultern eines anderen Besuchers und freut sich.
Der Konzertbranche stehen noch zwei harte Jahre bevor, vermutet der Veranstalter Berthold Seliger. © picture alliance/dpa
Berthold Seliger im Gespräch mit Andreas Müller |
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Die Coronapandemie scheint in diesem Sommer weit weg zu sein. Viele Konzerte und Festivals finden statt. Doch sie sind mit vielen Problemen konfrontiert, wie Veranstalter Berthold Seliger berichtet. Neben Personalmangel sind dies auch „No-Shows“.
Nach zwei Jahren Pandemie dürfen wir wieder Musik live erleben. Aber wer ist von diesem Wir noch übrig? Viele Fachkräfte sind längst in sicherere Branchen abgewandert, sagt Alarmstufe Rot, ein Bündnis der Veranstaltungswirtschaft. Es herrsche Personalmangel.

Patti Smith mit erfolgreicher Tour

Außerdem haben die willigen Konzertbesucher die Qual der Wahl. Sie können aus einem Überangebot wählen, das die Großen der Branche bevorzugt und Newcomer an den Rand drängt. Der Konzertveranstalter Berthold Seliger bezeichnet dies als „Ying-Yang-Situation“, in der die Branche gerade stecke.
Berthold Seliger
Das Damoklesschwert des Abbruchs schwebe über den Konzerten, sagt Veranstalter Berthold Seliger.© Matthias Reichelt
Er selbst war soeben mit der US-Musikerin Patti Smith auf Tour. Überall habe es Rekordzahlen gegeben, so Seliger. In Berlin sei das Event mit 10.000 Besuchern ausverkauft gewesen. Gleichzeitig habe er gezittert, dass niemand erkrankt.

Tourneen auf schwankendem Boden

Denn die Probleme der Branche habe zwei Ebenen, erläutert Seliger. Zum einen: Corona ist noch nicht vorbei. Noch immer werden Konzerte und Touren abgesagt, weil Beteiligte sich mit Covid-19 infizieren. Das betreffe nicht nur große Namen wie Herbert Grönemeyer, sondern auch kleinere Acts. „Alle derzeit stattfindenden Tourneen werden auf schwankendem und unsicherem Boden abgewickelt. Das Damoklesschwert des Abbruchs schwebt über allen Beteiligten.“
Die andere Ebene ist laut Seliger das Überangebot an Konzerten. Selbst große Namen finden deswegen keine Orte für ihre Auftritte, das betreffe sowohl Stadien als auch Clubs. Freie Kapazitäten gebe es erst wieder im Herbst 2023, „alles bis dahin ist ausgebucht“. Ferner fehle es an Personal. So musste unlängst sogar ein Festival des Bayerischen Rundfunks abgebrochen werden, weil nicht genug Security vorhanden war.   

"Wünschen uns volle Häuser"

Sorge bereitet der Konzertbranche auch das Phänomen der No-Shows, also dass Menschen mit Tickets doch nicht zu den Veranstaltungen gehen. Die Quote dafür liege zwischen zehn und 30 Prozent, erläutert Seliger. Abhängig sei dies vom Publikum – je jünger, desto eher gingen die Menschen auch zu den Konzerten.
Vom No-Show-Phänomen seien aber nicht nur Popkonzerte betroffen, auch Theater und die Klassik litten darunter. Dabei gehe es nicht nur um die Einnahmen durch Tickets, sondern darum, dass die Musiker vor Publikum spielen. „Wir wünschen uns volle Häuser.“

Kosten drücken auf Preise

Wer sich Tickets kauft, ist zurzeit mit steigenden Preisen konfrontiert. Doch müsse man dabei differenzieren, so Seliger. Denn bei den verschobenen Konzerten gelte der ursprüngliche Preis. „Das ist für unsere Branche ein gigantisches Problem, weil die Kosten explodiert sind“ – teilweise um 50 Prozent. So werde ein seriös kalkuliertes Konzert zu einem Zuschussgeschäft. „Selbst ein volles Haus garantiert keinen Gewinn.“
Die Perspektive sei jedoch, dass die Ticketpreise teurer werden, so Seliger, „weil es sich anders nicht mehr rechnet“. Damit verknüpft ist aber das Problem, dass viele Menschen zwar bereit seien, für große Stars viel Geld auszugeben, dies aber im Clubbereich nicht unbedingt der Fall sei.

Branche in Gefahr

Das werfe aber ein weiteres Problem auf: „Wer kümmert sich dann noch um die neuen und jungen Acts?“ Das sei ein existenzielles Problem für die kulturelle Vielfalt der Gesellschaft, ist Seliger überzeugt.
Im Moment unterstütze die Coronahilfe der Regierung noch die kleinen Bands und Clubs. Doch wenn diese Zuschüsse wegfallen, „dann muss das auf dem sogenannten freien Markt finanziert werden – da sehe ich schwarz“. Betroffen sein könnten „ein Viertel bis ein Drittel der ganzen Branche“.

Mehr Tests für Konzerte

Beruhigen könnte sich die Lage wohl erst frühestens 2024, vermutet Seliger. Davor kämen aber noch harte Zeiten. Um einen einigermaßen sichereren Herbst zu ermöglichen, müsste es daher eine PCR-Teststrategie wie in Wien geben, wo es den Bewohnern ermöglicht wird, sich kostenfrei und unkompliziert testen zu lassen. Nur so lasse sich „das Gemeinschaftsgefühl unter einem Groove in diesem Herbst und Winter absichern“.
Bei einer solchen Politik, die Tests ermöglichten, gehe es nicht darum, „den Ausfall zu subventionieren, sondern, dass Konzerten und Clubabende stattfinden“, unterstreicht Seliger. Außerdem fordert er langfristig ein Kulturexistenzgeld für freie Mitarbeiter und Soloselbstständige. Denn diese seien es, die die Konzerte erst ermöglichten.
(rzr)

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