Veranstaltungsbranche in der Coronakrise

Düstere Aussichten für das kommende Konzertjahr

14:57 Minuten
Blick in die geschlossene Columbiahalle in Berlin.
Blick in die geschlossene Columbiahalle in Berlin: Daran werde sich kurzfristig wenig ändern, meint Konzertagent Berthold Seliger. © picture alliance/Eventpress Hoensch
Berthold Seliger im Gespräch mit Andreas Müller · 30.11.2021
Audio herunterladen
"Ich bin in großer Sorge", sagt Konzertveranstalter Berthold Seliger mit Blick auf das bevorstehende Jahr. Zwar werde es eine Vielzahl von Konzerten geben, doch die Branche habe stark unter Corona gelitten. Handlungsbedarf sieht er bei der Politik.
„Die Situation ist katastrophal“, sagt Konzertveranstalter Berthold Seliger nach anderthalb Jahren Pandemie. Seine Branche habe sich von Anfang an solidarisch erklärt. Nun werde man einen Shutdown von mehr als zwei Jahren erleben, befürchtet der Chef der Konzertagentur Seliger. Die Politik kritisiert er stark, spricht von „grandioser Untätigkeit und Unfähigkeit“. Allerdings – räumt Seliger ein – gebe es teilweise Hilfsmaßnahmen, die sinnvoll seien.

Internationale Tourneen bisher kaum planbar

Vor allem die Planungsunsicherheit mache es den Veranstaltern schwer. „Wir arbeiten ein halbes Jahr bis zu einem Jahr im Voraus“, erklärt Seliger. Kurzfristig zu realisieren seien Konzerte mit internationalen Acts nicht. Zwar habe es kurzzeitig eine Phase der Entspannung gegeben, einzelne Konzerte von deutschen Musikern hätten stattfinden können. Aber auch hier lauern und lauerten Probleme: Konzerte mit verminderter Zuschauer-Kapazität seien keine Lösung. Das rechne sich vorne und hinten nicht.

„Man hört ja oft diesen Satz: Die Konzertbranche war die erste, die schließen musste, und sie wird die letzte sein, die wieder öffnen wird. Ich kann diesen Satz nicht mehr hören. Der hat eine irrsinnige Brutalität nach zwei Jahren, in denen wir eigentlich alles einstellen mussten.“

Newcomer werden leiden

Auch im kommenden Jahr werde sich die Lage nicht wesentlich entspannen, fürchtet Berthold Seliger, der seit 1988 eine eigene Konzertagentur betreibt. Tourneen im Frühling und im Sommer werde es geben. Tatsächlich würden sogar dreimal mehr Konzerte im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit stattfinden, glaubt er mit Blick auf Nachholtermine.
Aber gerade Newcomer-Acts liefen Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten. Denn Konzertveranstalter müssten sich im kommenden Jahr auf Bands konzentrieren, mit denen sich Geld verdienen lasse. Sogenannte „Aufbau-Themen“ hätten hier das Nachsehen.
Darüber hinaus hätten längst viele Arbeitskräfte der Branche den Rücken gekehrt. „Wir haben einen gigantischen Fachkräftemangel“, erklärt Seliger. Gerade die Soloselbstständigen hätten sich notgedrungen längst einen anderen Job gesucht. Dieses Problem sei nur mit einer langfristigen Maßnahme in den Griff zu bekommen. Der Konzertagent schlägt ein Kultur-Existenzgeld vor, eine Art Arbeitslosengeld. Darauf sollten nach den Vorstellungen von Seliger nicht nur Musiker Anspruch haben, sondern auch andere selbstständig Beschäftigte der Branche.

Musikliebhaber trauen sich nicht ins Konzert

Unter Musikfans herrsche Angst. „Wir haben eine No-Show-Rate von 30 Prozent“, sagt Seliger. Dabei handele es sich um Menschen, die zwar Tickets hätten, aber den Konzerten fernblieben – aus Angst vor einer Infektion. Einnahmen aus Getränkeverkäufen fielen weg, Erstattungsfragen seien ungeklärt.
„Wir in der Branche versuchen zu vermitteln, dass es durchaus sicher ist, ins Konzert zu gehen“, sagt Berthold Seliger. Doch angesichts von gefüllten Fußballstadien sei die Message der Politik, dass Konzerte weniger wichtig und unsicherer seien. Es müsse geimpft werden und 2G umgesetzt werden. Sonst, befürchtet Seliger, werde man von der vierten in die fünfte Welle rutschen.

"Wie vor zwei Jahren wird es nicht"

Vollständig erholen werde sich das Konzertleben im kommenden Jahr noch nicht, meint Seliger. "Ich bin in großer Sorge", sagt der Berliner. Und: „Wie vor zwei Jahren wird es nicht.“
Mehr zum Thema