Kongolesisch-europäisches Projekt "Fluss im Bauch"

Theater auf postkolonialen Spuren

05:21 Minuten
An den Seiten einer Straße im Kongo wandern Menschen entlang, um an ihr Ziel zu kommen.
Während der Proben für das Stück "Fluss im Bauch" erlebten die europäischen Mitglieder des Theaterprojekts den Alltag im Kongo - inklusive regelmäßiger Stromausfälle. © Eyeem
Von Martin Thomas Pesl · 22.06.2019
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Ein kongolesisch-europäisches Team hat in Kinshasa das Stück "Fluss im Bauch" auf die Bühne gebracht. Das Theaterprojekt setzt sich unter anderem mit der politischen Gegenwart und dem Schatten der kolonialen Vergangenheit auseinander.
Ein Kulturzentrum am Rande von Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Hier hat die österreichische Regisseurin Carina Riedl innerhalb von zwei Monaten eine Theaterproduktion erarbeitet, mit Profis aus dem Kongo und aus Europa. Gespielt, gesungen und performt wird abwechselnd auf Deutsch und Französisch.
"Fluss im Bauch", französisch "Le fleuve dans le ventre", ist ursprünglich ein buchlanges Gedicht des in Österreich lebenden kongolesischen Schriftstellers Fiston Mwanza Mujila: die Auseinandersetzung eines Kongolesen und Weltbürgers mit dem geschichtsträchtigen Kongofluss.

Interesse an relevanten Texten

Carina Riedl erklärt dazu: "Es ist eine Sammlung von Gedichten im Grunde, von ganz verdichteter Sprache, von poetischen Texten, und es ist sehr fragmentarisch. Es gibt sehr, sehr viele thematische Stränge darin. Es gibt sehr persönliche, sehr intime Texte; es gibt sehr politische, sehr gesellschaftlich interessante und relevante Texte. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, die Spieler bereits in der Vorbereitung sehr stark einzubinden und sie zu fragen: Welche Stränge interessieren euch?"
Einer dieser fünf Spieler ist Dorine Mokha, Tänzer und Choreograf. Er sagt: "Meine Rolle hat viel mit meiner Erfahrung als Künstler und Bürger des Kongo zu tun. Es geht um Fragen im Zusammenhang mit Sexualität, Gender, Akzeptanz und Identität, aber auch mit der Gesellschaft und deren Erwartungen an einen Menschen. Was bedeutet es, Kongolese und anders zu sein, Kongolese und schwul zu sein, oder Kongolese, Tänzer und schwul zu sein? Diese Fragen stelle ich mir auch als Künstler, weil sie definieren, wer ich bin."

Ohne staatliche Unterstützung

Auch die Schauspielerin Dada Kahindo ist Teil des Ensembles. Sie betreibt in Kinshasa eine Vernetzungsplattform für Kunstprojekte. Die Szene im Kongo beschreibt sie als eine der lebendigsten Afrikas. Doch staatliche Unterstützung fehlt.
"Viele Theateraufführungen und Ausstellungen müssen bei freiem Eintritt stattfinden. Die Künstler können also nicht von ihrer Arbeit leben, was die Szene schwächt", erklärt Dada Kahindo.
Projekte wie "Fluss im Bauch" sind auf Unterstützung von außen angewiesen, hier etwa durch das Goethe-Institut und den Koproduktionsfonds "Turn". Die Idee zu dem Projekt kam Carina Riedl 2016. Sie bereiste den Kongo zur Vorbereitung auf eine Bühnenfassung des Joseph-Conrad-Romans "Herz der Finsternis".

Aufführung in der Regenzeit

Damals wie jetzt ist die Dramaturgin Kerstin Grübmeyer dabei: "Das ist in Afrika immer dieses Thema weißer Mann vor schwarzer Kulisse, diese koloniale Metapher. Und was Fiston macht, ist ja, den Fluss aus einer kongolesischen Perspektive zurückzuerobern. Zu sagen, das ist mein Fluss, der ist in meinem Bauch, den hab ich gefressen und scheiße und kotze und gebäre ihn wieder aus."
Einige Meter von diesem Fluss entfernt finden nach einigen Verschiebungen wegen politischer Unsicherheit am Ende zweier strapaziöser Probenmonate mit Hitze und Stromausfällen nun tatsächlich Aufführungen statt. Mitten in der Regenzeit. Da muss schon mal eine Aufführung unterbrochen werden, wenn es plötzlich unübertönbar auf das Blechdach herunterprasselt.

Der Kolonialismus gehört zum Alltag

Das Publikum ist weiß und schwarz, alt und jung, teils aus dem etwas reicheren Regierungsviertel mit dem Bus angereist, aber auch Neugierige aus dem Umfeld des dezentralen Spielorts finden sich ein. Und sind zufrieden, wie eine Zuschauerin erklärt: "Ja, eine sehr gute Aufführung. Das hätte ich nicht erwartet. Das Stück ist sehr stark und regt zum Nachdenken an."
Nachzudenken gilt es schließlich bei aller postkolonialen Rückeroberung auch über ein Dilemma, dessen sich Regisseurin Carina Riedl durchaus bewusst ist: Sie ist selbst weiße Europäerin.
"Na ja, das kann ich nicht ändern, das ist die conditio sine qua non. Für mich ist es so relevant, daran zu erinnern, dass Europäer da vor 100 Jahren zwölf Millionen Menschen umgebracht haben und dass die Folgen davon jeden Tag in zwölf Millionen Körpern in Kinshasa herumlaufen, nach wie vor. Was ich dazu tun kann, dieses Thema zu einem Thema zu machen, will ich einfach gerne tun. Und ob das gelingt – oder gut gelingt, dass bitte ich dann andere zu beurteilen."
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