Konferenz "translocations" in Berlin

Wenn Kulturgüter geraubt werden

08:45 Minuten
Museum für Kunst und Gewerbe zeigt Bronzeköpfe aus Benin.
Drei Raubkunst-Bronzen aus Benin in Westafrika sind im Hamburger MKG ausgestellt, nachdem das Museum die Herkunftsgeschichte der Stücke erforscht hatte. © picture alliance/dpa/Daniel Bockwoldt
Bénédicte Savoy im Gespräch mit Marietta Schwarz · 04.12.2019
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Wenn eine Gesellschaft ihrer Kulturgüter beraubt wird, hinterlässt das Spuren - zum Beispiel in der kollektiven Erinnerung. Über diese Langzeitfolgen von Kunstraub sprechen Fachleute aus aller Welt in Berlin auf der Konferenz "translocations".
Kolonialismus, Kunstraub und Restitution von Kulturgütern sind seit Jahren wichtige Themen im Kulturbetrieb. Eine Expertin auf diesem Gebiet ist Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die für Emmanuel Macron einen Bericht zur Rückgabe von geraubten Kulturgütern erstellte und an der TU Berlin forscht. Sie ist Teil der in Berlin stattfindenden Konferenz "translocations" zur "Weltgeschichte des Kunstraubs".
"Translokation", der Titel der Konferenz, sei ein Begriff, der eigentlich aus der Genforschung stamme und einen Ortswechsel meine. Der Begriff besage "dass, wenn sich etwas von einem Ort zum anderen bewegt, sich auch verändert", erklärt Bénédicte Savoy. "Das heißt, ein Kultobjekt, das aus Afrika weggenommen wird – zum Beispiel in der Zeit des deutschen Kolonialismus – kommt bei uns an und wird zu etwas anderem. Und falls es eines Tages zurückkehren sollte, ist es wieder etwas anderes."

Der gesellschaftliche Verlust von Kulturgütern

Begriffe wie Raubkunst, Beutekunst oder Kunstraub beinhalteten immer eine Interpretation oder Position. Dabei gehe es den Wissenschaftlern nicht um die Kategorien "Gut" und Böse". "Es geht darum, zu beobachten, zum Beispiel welche Emotionen in Gemeinden, Städten, Staaten, auf Kontinenten ausgelöst werden, wenn man von seinem Kulturgut abgetrennt wird", so Savoy. "Es geht darum zu zeigen, dass das Getrenntwerden von materiellen Kulturgütern Spuren hinterlässt in den Psychologien, in den kollektiven Erinnerungen, in den Geschichtsschreibungen, die eben langzeitige Spuren sind."
Dabei blicken die Fachleute auf Translokationen in der Antike genauso wie in der Gegenwart. Es gehe nicht darum, jedes Ereignis zu rekonstruieren. "Was wir versuchen, sind Konzepte oder Momente zu erkennen, die immer wieder kommen. Zum Beispiel die Erfahrung des Verlustes von Kulturgütern", sagt Savoy.

Eine dritte Dimension im Museum

Museen würden aktuell ungern die Ergebnisse ihrer Forschung präsentieren, bedauert Savoy. Wenn man sich allerdings bei einem Museumsbesuch Fragen wie 'Seit wann ist dieses Werk hier? Wer hat es unter welchen Umständen erworben?' stellen würde, erhalte das Museum plötzlich eine dritte Dimension, erklärt die Historikerin: Es gebe "nicht nur die Zeit der Kunstwerke und die eigene Zeit, sondern auch diese dritte Zeit, die Zeit des Kommens der Objekte".
Für ihre Forschung zur "Weltgeschichte des Kunstraubs" erhielt Savoy 2016 den mit 2,5 Millionen Euro höchstdotierten deutschen Wissenschaftspreis, den Gottfried-Wilhelm-Leibnitz-Preis, der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
(nho)

translocations Konferenz
5. bis 7. Dezember 2019
TU Berlin
Straße des 17. Juni 150/152
10623 Berlin

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