Werbeverbote

Lebensfremd, naiv und unglaubwürdig

Eine überrascht wirkende Frau macht große Augen und hält eine riesigen Lolli vor ihr Gesicht.
Riesenlollis gehören unter Garantie zu den ungesunden Lebensmitteln - sollte man für sie Werbung machen dürfen? © picture alliance / Zoonar / Khosrow Rajab Kordi
Ein Kommentar von Adrian Lobe · 15.06.2023
Helfen Werbeverbote, damit wir keine gesundheitsschädlichen Produkte mehr kaufen? Der Politikwissenschaftler Adrian Lobe hat erhebliche Zweifel. Außerdem brauche der mündige Bürger keine moralischen Beipackzettel, meint er.
Hier ein saftiges „XXL-Schnitzel“, dort eine „ofenfrische“ Tiefkühlpizza – die Lebensmittelindustrie bombardiert Verbraucher mit Werbung für ungesunde Produkte. Eine durchschnittliche Werbepause im Privatfernsehen deckt gefühlt den Kalorienbedarf für eine ganze Woche. Die Bundesregierung will nun gegensteuern und zum Schutz von Kindern Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt verbieten.
Nicht nur die Süßwarenindustrie sieht sich regulatorischem Druck ausgesetzt, auch andere Branchen bekommen Gegenwind. Die niederländische Stadt Haarlem etwa verbietet ab dem kommenden Jahr Außenwerbung für Fleischprodukte an Bussen, Haltestellen oder Anzeigetafeln. Die englische Profifußballliga Premier League will Glückspielwerbung von Trikots verbannen. Und die französische Regierung hat im vergangenen Jahr im Rahmen eines Klimagesetzes ein Werbeverbot für fossile Kraftstoffe verhängt.
Nun gibt es für ein Werbeverbot gute Gründe. Reklame manipuliert Bürger und propagiert häufig nicht nachhaltige Lebensweisen. So zeigt eine Untersuchung, dass Straßenwerbung von Fast-Food-Ketten vor allem in ärmeren Gegenden mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil übergewichtiger Kinder konzentriert ist.
Der Staat hat auch eine Schutzaufgabe, gerade für jüngere und gesundheitlich gefährdete Menschen. Doch genau da beginnt das Problem. Wer definiert, was ungesunde oder gesunde Lebensmittel sind? Wie viel Fett oder Zucker darf’s denn sein? Kann der mündige Bürger nicht selbst entscheiden, was er für sich und seine Kinder in den Einkaufswagen legt?
In Frankreich geht die Bevormundung der Bürger mittlerweile so weit, dass Autowerbung mit einem staatlichen Beipackzettel versehen ist: „Bevorzugen Sie für kurze Strecken den Fußweg oder das Fahrrad“, heißt es da. Oder: „Denken Sie daran, Fahrgemeinschaften zu bilden.“
Wie lebensfremd ist das denn? Der Bürger auf dem Land müsste lange auf eine Mitfahrgelegenheit warten. Und was ist mit Menschen, die aufgrund einer körperlichen Behinderung nicht zu Fuß gehen oder Fahrrad fahren können und daher auf das Auto angewiesen sind?
Das zeigt: Wohlfeile politische Ratschläge und Verbote können schnell diskriminierend sein und im schlimmsten Fall das Gegenteil bewirken.
Bestes Beispiel Tabakwerbung: Was hat der Gesetzgeber nicht für Anstrengungen unternommen, um das Rauchen mit Warnhinweisen oder Werbeverboten zurückzudrängen. Trotzdem ist die Zahl junger Raucher zuletzt stark gestiegen. Die Tabaklobby ist sehr findig darin, Werbeverbote zu umgehen und ihr manipulatives Freiheits- und Abenteuerversprechen im öffentlichen Raum weiter zu verbreiten.
Da saugen dann Influencer auf Instagram vor Naturkulisse an E-Zigaretten und verkaufen das Ganze als cool. Im Nebel dieser Werbebotschaften merkt kaum jemand, wie wirkungslos staatliche Verhaltenssteuerung ist. Schlimmer noch: Sie ist inkonsequent.
Warum dürfen klimaschädliche Flugreisen beworben werden, Fleischprodukte aber nicht? Wie glaubwürdig ist ein Staat, der mit staatlichen Brauereien und Weingütern Kasse macht und Alkoholwerbung toleriert, aber gleichzeitig Werbung für Süßigkeiten verbietet?
Die Annahme, mit einem Werbeverbot verschwinden auch die Produkte, ist naiv. Wenn der Staat etwas für die Gesundheit junger Menschen tun will, sollte er – Stichwort „Quengelware“ – Süßigkeiten aus dem Kassenbereich verbannen.
Viel mehr könnte mit gesundem Schulessen und Aufklärung erreicht werden. Wenn es die Regierung ernst mit dem Klimaschutz meint, sollte sie schleunigst unerwünschte Briefkastenwerbung verbieten. Damit ließen sich auf einen Schlag mehr als eine halbe Million Tonnen CO2 einsparen.

Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Seit 2014 arbeitet er als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum, u. a. „Die Zeit“, „NZZ“ und „Süddeutsche Zeitung“. 2016 wurde er für seine Artikel über Datenschutz und Überwachung mit dem Preis des Forschungsnetzwerks „Surveillance Studies“ ausgezeichnet. Er ist zudem Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus. 2022 erschien bei C.H. Beck sein neues Buch „Mach das Internet aus, ich muss telefonieren“.

Adrian Lobe
© privat
Mehr zum Thema