Klima- und Umweltschutz

Schluss mit dem ungebremsten Wachstum

Eine Frau sucht unter einem Berg gebrauchter Kleidern in einer Müll-Deponie ein Kleidungsstück. In der nahe gelegenen Freihandelszone von Iquique kamen 2021 bis Oktober 29.178 Tonnen gebrauchter Kleidung an.
Friedhof für gebrauchte Kleidung in der Atacama-Wüste: eine der Auswüchse des globalen Wirtschaftssystems. © picture alliance / dpa / Antonio Cossio
Ein Kommentar von Uwe Bork · 10.10.2023
Tonnenschwere SUVs, Berge von Plastikklamotten und Flugreisen zu Inseln, die vom Klimawandel besonders betroffen sind: Die Politik des ungebremsten Wachstums bringt verheerende Fehlentwicklungen hervor. Zeit umzudenken, findet Journalist Uwe Bork.
Die legendäre Blechliesel war ein schmales Mädchen. Fords Tin Lizzy, das erste erschwingliche Automobil, brachte in ihrer schlankesten Form nur 540 Kilo auf die Waage. Heute überschreiten SUVs locker die Zwei-Tonnen-Grenze und wirken verglichen mit den über 100 Jahre alten T-Modellen wie Sumo-Ringer unter Judokämpfern.
Klar, die Kargheit früher Oldtimer würde selbst die fanatischsten Auto-Apologeten in die dünnen Polster von Bussen und Bahnen treiben. Dennoch haben unsere wie unter Anabolika-Einsatz entstandenen Autos beste Chancen auf einen Spitzenplatz in den Charts weltweiter Fehlentwicklungen. Dort würden sie auf die scheinbar spottbilligen T-Shirts treffen, die um die halbe Welt reisen, um die Regale unserer Discounter zu füllen, auf interkontinentale Urlaubsreisen zu Inseln, die der steigende Meeresspiegel demnächst zu überspülen droht, und auf Plastikflaschen, die so unkaputtbar sind wie sonst höchstens Atommüll aus GAU-gefährdeten Kernkraftwerken.

Abkehr vom Wachstum dringen notwendig

Wäre unsere Erde ein menschlicher Patient, läge sie längst auf der Intensivstation. Zwar kommen dort die Ärzte zu regelmäßigen Klimakonferenzen zusammen und erklären sehr genau, dass nur eine Abkehr vom Wachstumswahn den Planeten retten könnte, doch statt ökologische Wiederbelebungsmaßnahmen einzuleiten, verordnen sie lieber populistische Placebos. Selbst Baden-Württembergs grantig-grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann macht da mit seiner Bemerkung nicht unbedingt eine Ausnahme, ausgiebiges Duschen ließe sich doch durch den Einsatz von Waschlappen ersetzen. 
Nun mag die Anregung mit der ressourcenschonenden Katzenwäsche ja wirklich etwas kurz greifen, dennoch brauchen wir wohl selbst im Badezimmer ein neues Denken, wenn wir die Chance auf eine in jedem Sinn menschliche Zukunft bewahren wollen.

Sparsamkeit als wichtige Tugend

Vieles wird sich ändern müssen. Holen wir also besser möglichst bald die Werte der Sparsamkeit und Bescheidenheit wieder vom Dachboden, die wir mit anderen Erbstücken dort in der Gewissheit verstaut hatten, sie nie wieder hervorkramen zu müssen.
Auch ich hätte im vergangenen Winter lieber unser Wohnzimmer zur warmen Wohlfühllounge aufgeheizt, statt mich mit Pullovern und Wolldecken auf Temperatur zu halten. Doch ich bin an der „normativen Kraft des Faktischen“ gescheitert, das die Form exorbitant hoher Energiepreise annahm. Und dennoch: Irgendwann fand ich das neue Kühl sogar cool und verfolgte die Füllstände der deutschen Gasspeicher ähnlich gebannt wie konventionellere Sportsfreunde die Spielstände der Bayern-München-Verfolger.

Regional statt global produzieren

Die Welt wird das Drehen am Thermostat natürlich ebenso wenig retten wie die Rückkehr zu alten Waschgewohnheiten oder mehr Gemüse auf dem Teller. Allerdings scheint mir auch die Zeit globaler Großprojekte abgelaufen zu sein. So könnten sich etwa neue Seidenstraßen oder neue Handelsrouten zwischen Indien und Europa als neue Irrwege erweisen. Sie senken zwar die Transportkosten international umtriebiger Unternehmen, schädigen aber die regionale Wirtschaft und den regionalen Handel.
Angesichts von Migrationsbewegungen, Wirtschaftskrisen und Klimakatastrophen werden wir zwar zunehmend global denken müssen, ob es gleichzeitig jedoch auch sinnvoll ist, zur Steigerung des Profits global zu produzieren, kann getrost bezweifelt werden.
Mit Fortschrittsfeindlichkeit hat das nichts zu tun, die dürre Blechliesel läuft zu Recht nicht mehr vom Band. Was aber, wenn heute ein Start-up eine Art T-Modell 2.0 entwickelte? Wenn Kreative zentral entwickelte Technologie zur Dezentralisierung nutzten? Wäre das nicht eine wirklich willkommene Form der Dialektik?
Small is beautiful, klein ist schön? Mag sein. Vor allem ist es aber nachhaltiger – und damit besser.

Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion „Religion, Kirche und Gesellschaft“ des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Uwe Bork arbeitet als Autor, Referent und freier Journalist.

Der Journalist und Autor Uwe Bork
© Uwe Bock
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