Annekathrin Kohout: "Nerds. Eine Popkulturgeschichte"

Genies für das digitale Bildungsbürgertum

08:55 Minuten
Ein Szenenfoto aus der US-TV-Serie "The Big Bang Theory". Es zeigt die Schauspielerin Melissa Rauch und den Schauspieler Simon Helberg. Sie sitzt am Laptop, er steht schräg hinter ihr.
Der Nerd als Kumpel und Helfer, der gerne karierte Hemden trägt. Dieses Klischee wird, meist sehr unterhaltsam, von TV-Serien wie "The Big Bang Theory" transportiert. © picture alliance / AP Photo / Michael Yarish
Annekathrin Kohout im Gespräch mit Andrea Gerk · 27.01.2022
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Nerds gelten als schräg, etwas weltfremd und sind in TV-Serien meistens die Computer-Kumpels im karierten Hemd. Die Kulturhistorikerin Annekathrin Kohout hat ein Buch über Nerds verfasst und beschreibt, wie sehr sich das Bild dieser Figur verändert.
Nerds – das sind ungepflegte und im Alltag leicht verpeilte, etwas lichtscheue junge Männer, gerne im Holzfällerhemd und meistens an irgendeinem Computer zu finden. In der Schule werden sie häufig als schräge Sonderlinge diskriminiert und speziell von den Mädchen eher als harmlos-nette Kumpel wahrgenommen, die bei Problemen mit dem Laptop helfen, aber nicht als Sexualpartner in Frage kommen.
Soweit das Klischee, das in zahllosen TV-Serien wie etwa in „The Big Bang Theory“ und speziell in Teenie-Serien zu besichtigen ist. Sicherlich gibt es aber viel mehr Schattierungen des Nerds. Die Kulturhistorikerin und Bloggerin Annekathrin Kohout hat sich des Phänomens angenommen und sich in ihrem Buch „Nerds. Eine Popkulturgeschichte“ auf Spurensuche begeben.

"Außenseiter ohne Pein"

Der Autor Max Goldt hat den Nerd einmal als „Außenseiter ohne Pein“ bezeichnet – Kohout stimmt ihm voll zu: „Denn er ist so eine Art Außenseiter, ohne dass es ihn stört. Er hat ja seine Geräte um sich und seine Beschäftigung. Darum kann er auch gut Außenseiter sein.“
Im Gegensatz zu ihrem Autorenkollegen Jonas Engelmann, der den Begriff des Außenseiters und Sonderlings etwas anders definiert und den Nerd davon ausnimmt,  findet Kohout: „Mir war es wichtig zu zeigen, dass es ganz viele strukturelle Ähnlichkeiten gibt zu anderen Außenseiterfiguren wie etwa dem Künstler oder dem Genie.“

Auch der Journalist und Literaturwissenschaftler Jonas Engelmann war zu Gast in "Lesart". Er hat ein Buch über das Phänomen des Außenseiters vorgelegt: "Dahinter, dazwischen, daneben. Von kulturellen Außenseitern und Sonderlingen". Anhand zahlreicher Beispiele von Künstlerinnen und Künstlern, Schriftstellerinnen und Schriftstellern beleuchtet er die Geschichte eines Begriffs .

Bill Gates als Genie und Außenseiter

Wenn man sich die Biografien von Computerpionieren wie Bill Gates oder Paul Allen anschaue, dann werde deutlich, dass sie „an die bekannten Genie-Außenseiter-Topoi anknüpfen, sowohl was ihre Auserwähltheit als auch die Mystifizierung ihrer Kindheit anbelangt“.
Was der Gelehrte oder auch der Künstler für das klassische Bildungsbürgertum sei, „das, würde ich sagen, ist der Nerd für so etwas wie das digitale Bildungsbürgertum.“
Die Kulturwissenschaftlerin und Netzfeministin Annekathrin Kohout.
Der Nerd bedient perfekt die bekannten "Genie-Außenseiter-Topoi", findet Kulturwissenschaftlerin und Autorin Annekathrin Kohout.© Valentina Seidel
Nicht immer seien Nerds beliebte Figuren gewesen, denn sie würden oft als wenig empathisch gelten. Ihre Beliebtheit sei erst eine Entwicklung der letzten Jahre, auch durch die wachsende Bedeutung von Internet und Digitalisierung. Parallel hätten sich zudem auch mehr und mehr weibliche Nerds in Serien etabliert – etwa die Figur der Willow aus „Buffy – Im Bann der Dämonen“ oder der Protagonistin aus der Comedyserie „Clarissa“.

Die Rolle weiblicher Nerds

Kohout beobachtet, dass auch die Bewertung weiblicher Nerds einem Wandel unterworfen ist: „Wenn man sich die Frauendarstellungen so anschaut, dann kommt der Nerd zum Einsatz, um die Frauenfiguren als nicht weiblich genug dastehen zu lassen. Heute ist es dagegen öfter der Fall, dass man dem gleich eine emanzipatorische Note unterstellt, obwohl das gar nicht automatisch so sein muss.“

Annekathrin Kohout: "Nerds. Eine Popkulturgeschichte"
C.H. Beck, 2022
272 Seiten, 16.95 Euro

Jonas Engelmann: "Dahinter, dazwischen, daneben. Von kulturellen Außenseitern und Sonderlingen"
Ventil Verlag, 2021
280 Seiten, 16 Euro

Auch das Bild vom Nerd an sich habe sich geändert: vom hippiesken Weltverbesserer aus dem Silicon Valley hin zum neoliberalen Machtmenschen. Ihrer Beobachtung nach haben sich die Nerds im Zuge der Digitalisierung mittlerweile „die wichtigsten Positionen in unserer Gesellschaft“ erobert: als Konzernleiter, die – „sehr zugespitzt formuliert“– den Alltag der Weltbevölkerung bestimmen.
Damit sich jedoch nicht nur weiße Männer mit diesem neuen Nerd identifizieren könnten, sondern auch Frauen, trans Menschen oder People of Color, finde schon seit einiger Zeit speziell in den USA, aber zunehmend auch in Deutschland, eine kritische Beschäftigung mit dem Nerdbegriff statt.
Im Prinzip werde dieser heute fast schon inflationär gebraucht, findet Kohout. Es gebe „Sportnerds“ oder „Disneynerds“. Das führe zu einer Aushöhlung des Begriffs.
(mkn)

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