Hans-Hermann Klare: Auerbach. Eine jüdisch-deutsche Tragödie

Wider das pathologisch gute Gewissen der Täter

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Das Cover zeigt auf neutralem Grund den Namen des Autors Hans-Hermann Klare und den Buchtitel "Auerbach. Eine jüdisch-deutsche Tragödie oder Wie der Antisemitismus den Krieg überlebte"
© Aufbau Verlag

Hans-Hermann Klare

Auerbach. Eine jüdisch-deutsche Tragödie oder Wie der Antisemitismus den Krieg überlebteAufbau Verlag, Berlin 2022

475 Seiten

28,00 Euro

Von Marko Martin · 15.08.2022
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Hans-Hermann Klares aufwühlendes Buch „Auerbach“ erzählt von einem KZ-Überlebenden, der sein Engagement für andere Nazi-Opfer im Nachkriegsdeutschland mit dem Leben bezahlte. Es zeigt auch, wie viele NS-Juristen noch nach dem Krieg weitermachten.
Der Schriftsteller und Shoah-Überlebende Ralph Giordano prägte einst den Begriff der „Zweiten Schuld“, den „großen Frieden mit den Tätern“. Nicht zuletzt seinen zahlreichen publizistischen Interventionen war es zu verdanken, dass sich vor mehr als einem Jahrzehnt schließlich auch das Bundesjustizministerium der eigenen Vergangenheit stellte und Historikern die Archive öffnete.
Zutage kamen Akten um Akten, die belegten, wie einstige Täter und Mitläufer der Nazizeit noch bis in die Siebziger-Jahre hinein im hiesigen Gerichtswesen präsent gewesen waren und nicht selten bei Prozessen ihre ehemalige Partei- und Gesinnungsgenossen mit fragwürdigen Begründungen freigesprochen oder Strafuntersuchungen bereits im Vorfeld unterminiert hatten.

Nazi-Opfer im Nachkriegsdeutschland

Wie aber war die Situation derjenigen, die als Juden oder auch als nichtjüdische Hitlergegner ins Exil gezwungen worden waren oder in den KZs überlebt hatten? Mehrere bemerkenswerte Spielfilme über den berühmten hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und Ursula Krechels preisgekrönter Roman „Landgericht“ von 2012 über das Nachkriegsschicksal eines unbeugsamen Richters haben hier die Perspektive geweitet.
Gleiches gilt für die umfangreiche Recherche des ehemaligen „Stern“-Journalisten Hans-Hermann Klare, der jetzt unter dem Buchtitel „Auerbach“ eine tragische Biografie in Erinnerung bringt, um die ab nun jeder wissen sollte, der sich mit bundesdeutscher Geschichte beschäftigt.
Erzählt wird vom Leben und Selbstmord des 1906 in einer gutbürgerlich-jüdischen Familie Hamburgs geborenen Philipp Auerbach, der die Nazizeit in Belgien und danach als Auschwitz- und Buchenwald-Häftling überlebt hatte, um schließlich 1952 in München eine Medikamenten-Überdosis zu nehmen, zermürbt von der Empathielosigkeit der dortigen (Täter-)Justiz.
Schwarzweißaufnahme von Philipp Auerbach mit Hut und Brille.
Dr. Philipp Auerbach in einer Aufnahme aus den 1950er-Jahren.© picture-alliance / dpa
Detailliert, doch überaus lesbar wird von einem lebenslang Aktiven, ja Hyperaktiven berichtet, der bereits in der Weimarer Republik im sozialdemokratischen Schutzbund „Reichsbanner Schwarz Rot Gold“ engagiert gewesen war, als polyglotter und eloquenter Zeitgenosse anderen KZ-Häftlingen beistand und wertvolle Überlebensratschläge gab – und nach 1945 zuerst in Düsseldorf und danach in München administrative Verantwortung übernommen hatte, um für Überlebende und sogenannte „displaced persons“ Entschädigungszahlungen zu erkämpfen.
Dass er dabei in den Nachkriegswirren als „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ nicht immer den vermeintlich korrekten Dienstweg einhielt, Zahlungen mitunter (jedoch nie zum eigenen Vorteil) „umleitete“ und in die richtigen – manchmal aber auch in falsche, ihn betrügende – Hände brachte: Es lag in der Natur der Sache, da zahlreiche der deutschen Behördenmitarbeiter ohnehin nur unter dem Druck der alliierten Militärbehörden tätig wurden, Anträge verschleppten und viel dafür taten, um die Opfer zu entmutigen.
Als deren unkonventionellen Anwalt verstand sich Philipp Auerbach, der schließlich sogar die Trennung von Frau und Tochter akzeptierte: Nein, er würde nicht nach New York auswandern, sondern versuchen, zumindest in Bayern Gerechtigkeit zu schaffen und dazu auch jüdisches Gemeindeleben wieder mit aufzubauen.

Ein zerrissener, fehlbarer Mensch

Zum vollständigen Bild gehört freilich, dass er sich auch dort Feinde machte – zu brachial und nicht selten selbstherrlich war seine Hilfsbereitschaft, und auch das KZ-Trauma der erfahrenen Persönlichkeitsvernichtung wurde von ihm auf fatale Weise „aufgearbeitet“: Schon lange vor seiner Promotion hatte sich Philipp Auerbach mit einem Doktortitel geschmückt und nahm es auch sonst mit so manchen Bürokratie-Wahrheiten nicht allzu genau.

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Kein Heiligenbild also zeichnet Hans-Hermann Klare in seinem skrupulös recherchierten Buch, stattdessen das Bild eines zerrissenen, auch fehlbaren Menschen, der schließlich kaputt geht am pathologisch guten Gewissen der ehemaligen Täter.
Aufgrund von Verleumdungen und aufgebauschtem Fehlverhalten wird Auerbach verhaftet, kommt trotz schwerer Erkrankung in Untersuchungshaft und wird 1952 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt – sein Richter war bereits unter den Nazis tätig gewesen.
Nach Auerbachs „Freitod“ kam es zu Demonstrationen ehemaliger „displaced persons“, auf die die Münchner Polizei mit Wasserwerfern reagierte – ehe zwei Jahre später ein Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtages zum Resümee kam, dass Philipp Auerbach unschuldig gewesen war. Zu wenig, zu spät.
Bleibt zu hoffen, dass Hans-Hermann Klares beeindruckendes Buch „Auerbach“ nun viele, ganz viele Leser findet. 
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