Klang- und sinnreiche Wortduelle

In Liebesdingen trat Kurt Tucholsky gern als Narr auf. Frauen und Bücher waren lebenslang seine Leidenschaft. Der Beleg: "Rheinsberg". 1985 wurde seine Liebesgeschichte vom Rundfunk der DDR als Hörspiel inszeniert. Dieser Griff ins deutsche Rundarchiv für eine Neuauflage hat sich gelohnt.
"Psst! - Wölfchen? Hallo, Claire muss ganz ganz leise sein. Papa sitzt nebenan. Hallo, hallo, wo bist du denn, Wolfgang?"

Noch befindet sich Wölfchen, Claires Geliebter, in der Hörmuschel des Telefons. Doch bald schon, so will es Kurt Tucholsky, sitzen beide im Zug nach Rheinsberg.

"Löwenberg, Löwenberg - Reisende nach Rheinsberg über Trieben, Herzberg, Lindow nach Rheinsberg begeben sich bitte durch den Tunnel zum Außenbahnsteig."

Drei Tage nehmen die Unverheirateten, getarnt als "Ehepaar Gambetta", eine Auszeit vom Berliner Alltag. Die verliebten Großstädter wollen die ländliche Idylle und sich selbst in vollen Zügen genießen.

"Sieh mal: ne Akazie! , ne blühende Akazie, lauter blühende Akazien! Is gar keine, is ne Magnolie. Also wer weiß denn von uns beiden in der Botanik besser Bescheid? Ich oder ich?... Aber Wölfchen, wo es doch ne Magnolie is."

Das 1985 vom Rundfunk der DDR produzierte Hörspiel folgt nur teilweise der literarischen Vorlage. Souverän, fast freejazzartig wird der Text improvisiert. So wird das rebellische Potential gegen autoritären Zwang und spießige Moral, das in Tucholskys Geschichte steckt, virtuos hervorgekitzelt.

Eine blutjunge Ulrike Krumbiegel ergeht sich lustvoll in einer Sprechgymnastik, die der Gravitation spottet und auf alle Regeln kleinbürgerlicher Lebensart pfeift. Selbst bei der Auswahl der Garderode wird der Aufstand geprobt.

"Der gnädige Herr möchte ihre grünen Gewänder nur mit mäßigen Vergnügen ertragen... Und wenn sie die Ästimation meiner Farbauffassung ebenso ignorabel empfinden wie die Wahrung eines subordinativen Umgangs mit ihrer Herrschaft..."

Die sonore, in sich fließende Erzählerstimme Kurt Böwes erdet das emotional aufgeladene Zungenballett.

"Sehnsucht nach der Erfüllung? Viel, fast alles auf der Welt war zu befriedigen. Beinahe jede Sehnsucht war zu erfüllen. Nur diese nicht."

Das brandenburgische Rheinsberg, von dem heute wohl niemand sprechen würde, hätte dort nicht der Alte Fritz seine glücklichste Zeit verbracht, dient als historisch vieldeutige Kulisse. Ulrike Krumbiegel und Gunter Schoß liefern sich klang- wie sinnreiche Wortduelle, die zu den absurdesten in der Literaturgeschichte gehören.

"Weißt du, lieber reise ich mit einem Flohzirkus wie mit dir. Als, Claire, als mit dir. Ach Gott, konnste auch besser mir nicht zu bekorrigieren zu gebrauchs gehabs habs! Ich spreche dir das schiere Hochdeutsch!"

In Wölfchen versteckt sich indes das alter ego des Autors. Spielerisch um Seriosität bemüht, lauert in ihm die scharfzüngige Rhetorik Tucholskys. In belehrenden Unterweisungen, die Schoß mit gequetschtem Atem zelebriert, klingt ein Unbehagen an, das nicht nur dem Wilhelminischen Zeitgeist gilt.

"Sehssu, mein Affgen, das is nu deine Heimat. Sag mal: und du würdest für dieselbe in den Tod gehen? Du hast es schriftlich, liebes Weib, dass ich nur für dich in den Tod gehe. Verwirre die Begriffe nicht. Amor patriae ist nicht gleichzusetzen mit der "amor" als solcher. Die Gefühle sind andere."

Sorglos, aber keineswegs weltfremd bewegen sich die Liebenden durch eine Sprachlandschaft, die an Friedrich Hölderlins Vers erinnert: "Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht". Diese Sehnsucht nach einer grenzenlosen Freiheit hatte zur Entstehungszeit 1985 in der DDR eine klare Aussage. Dass die Utopie vom zwanglosen Dasein nie in Erfüllung gehen wird, außer im Zustand des Verliebtseins, wird beim genussvollen Hören tröstlich bewusst.

"Wölfchen, guck mal wie die Eisbeeren zerknallen, wenn man die mit dem Fuß zerknackt. Wie Knallererbsen. Warum tust du es? Hast du keinen Sinn für Schönheit? Fühlst du nicht, dass das befriedigt, erlöst, wie von einem Druck befreit, wenn die Beere - endlich - aufknackt?"

Besprochen von Carola Wiemers

Kurt Tucholsky: Rheinsberg
Ein Hörbuch für Verliebte
Mit Kurt Böwe, Ulrike Krumbiegel, Dagmar Manzel,
DAV Hörspiel 2012, Deutsches Rundfunkarchiv: Produktion Rundfunk der DDR 1985, 1 CD, 13 Tracks, Laufzeit 57:27 min, 14,99 Euro

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