Khaled Khalifa: "Keine Messer in den Küchen dieser Stadt"

Die Angst als täglicher Begleiter

05:54 Minuten
Das Cover des Buches zeigt eine belebte Straßenszene in Aleppo.
In dem neuen Roman von Khaled Khalifa dient eine Familie als Spiegel eines Landes, das von Ängsten und unerfüllbaren Sehnsüchten zerrissen ist. © Rowohlt
Von Moritz Behrendt · 08.05.2020
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Entstanden ist Khalid Khalifas Roman noch bevor Aleppo im Krieg zerstört wurde. Aber die Willkür der Diktatur und die permanente Überwachung hatte die Gesellschaft schon damals längst beschädigt. In Syrien durfte das Buch nicht erscheinen.
Alles beginnt mit dem Tod. In vier der fünf Kapitel ist das langsame Sterben der Mutter Ausgangspunkt für verschlungene und sich manchmal widersprechende Erzählungen einer Familiengeschichte über drei Generationen. Im fünften Kapitel macht der Tod des alten syrischen Diktators den Anfang eines weiteren Erzählstrangs. Wobei dieser Anfang wie alle Neuanfänge in "Keine Messer in den Küchen dieser Stadt" zum Scheitern verurteilt ist.

Das Talent zum Unglücklichsein

Khalid Khalifas Roman gleicht einer Kiste mit vergilbten Familienfotos. Episodenhaft und keineswegs chronologisch beschreibt der Autor das Leben der Geschwister Saussan, Raschîd und des ebenso konturen- wie namenlosen Ich-Erzählers. Die sprunghafte Saussan wird zunächst Fallschirmspringerin beim Militär, dient sich dann als Mätresse einem aufstrebenden Offizier an, bevor sie ihr Heil in der Frömmigkeit sucht.
Dem empfindsamen Raschîd bringt seine Karriere als Musiker ebenso wenig Befriedigung wie sein Weg in den Dschihad im Nachbarland Irak, nachdem dort 2003 die Amerikaner einmarschiert sind. Das Talent zum Unglücklichsein haben die Geschwister gemeinsam mit den früheren Generationen ihrer Familie. Während die Älteren der Sehnsucht an ein Syrien vor der Diktatur nachhängen, als ein bürgerliches Leben in Aleppo möglich war, fehlt den Jüngeren jegliche Orientierung.

Die Stadt selbst ist ein Protagonist

Die mäandernde Handlung und die nicht immer glaubwürdig dargestellte Entwicklung der Familienmitglieder gehören nicht gerade zu den Stärken des Buches. Dagegen strahlen zwei weitere "Protagonisten" eindrucksvoll eine düstere Kraft aus: Die Angst und die Stadt Aleppo.
Khalifa beschreibt die Angst als täglichen Begleiter aller Menschen in Syrien: Überall lauern Geheimdienstspitzel, selbst vermeintlich mächtige Personen können von einem Moment auf den anderen in Ungnade fallen. Jede zwischenmenschliche Beziehung ist eine potenzielle Gefahr. Aleppo wird dargestellt als Stadt, deren Charakter als bürgerliche Handelsmetropole von der bleiernen Schwere der sozialistischen Diktatur ebenso erdrückt wird wie vom stetigen Zuzug der Menschen vom Dorf.

Sex als Mittel der Macht

Khaled Khalifa hat seinen Roman geschrieben, bevor Aleppo im Krieg massiv zerstört wurde. Obwohl der Autor weiterhin in Damaskus lebt, konnte sein Buch in Syrien nie erscheinen. Dafür ist es zu direkt: sowohl in der Ablehnung des Regimes als auch in seinem Umgang mit Homosexualität.
Sex ist omnipräsent in dem Roman - mal brutal, mal sinnlich, aber immer mit dem Ziel, Macht über andere auszuüben, egal ob es um das Liebesleben des schwulen Onkels Nisâr geht oder um Saussans Affären. Auch den Familienmitgliedern untereinander gelingt es kaum, miteinander warm zu werden - die Familie ist in "Keine Messer in den Küchen dieser Stadt" damit der Spiegel eines Landes, das von Ängsten und unerfüllbaren Sehnsüchten zerrissen ist.
Der Roman überzeugt literarisch nicht vollends, aber er macht deutlich, wieviel Schaden die syrische Gesellschaft schon vor dem Krieg genommen hat.

Khaled Khalifa: "Keine Messer in den Küchen dieser Stadt"
Aus dem Arabischen übersetzt von Hartmut Fähndrich
Rowohlt, Hamburg 2020
288 Seiten, 22 Euro

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