Kersten Knipp: „Die Erfindung der Eleganz“

Wie wir Augenhöhe gelernt haben

10:33 Minuten
Illustration von zwei Frauen, die gemeinsam tanzen.
Wie ein Spiel oder ein Tanz: Im 17. Jahrhundert entwickelte sich beispielsweise eine Gesprächskultur, die heute noch gültig ist – sagt Journalist Kersten Knipp. Und betont die Rolle der Frauen. © Getty Images / iStockphoto / irinabogomolova
Moderation: Andrea Gerk · 15.12.2022
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„Europa im 17. Jahrhundert und die Kunst des geselligen Lebens“, so lautet der Untertitel des Buchs von Kersten Knipp über Eleganz. Der Befund des Publizisten: Die Umgangsformen haben seit damals Bestand – doch Dinge wie das Gendern stören.
Anmutige Bewegungen beim Tanzen, eine edle, aber schlichte Bluse oder auch eine höfliche Geste beim Betreten eines Lokals: All das kann Ausdruck von Eleganz sein – einer Haltung, die sich gar nicht so leicht fassen und beschreiben lässt. Der Journalist und Publizist Kersten Knipp hat versucht, dem Phänomen auf die Schliche zu kommen. In seinem Buch „Die Erfindung der Eleganz. Europa im 17. Jahrhundert und die Kunst des geselligen Lebens“ untersucht er den Ursprung der Eleganz.
Knipp ist wichtig, dass es bei Eleganz nicht einfach um Luxus geht oder um teure Dinge, sondern um eine Haltung, eine Art innere Gestimmtheit.

Bürgertum sucht nach neuen Umgangsformen

„Der Ursprung des Buches war für mich der Gedanke, dass man nicht allein in der Welt ist, sondern dass man, wo immer man ist, mit anderen Menschen zu tun hat – und es dann darauf ankommt, sich in andere Leute einzufühlen, auf sie zuzugehen, mit ihnen zu interagieren. Auf eine Art, die angenehm ist.“ Das sei ganz wesentlich, setze aber viel voraus. Geld gehöre allerdings nicht dazu. Stattdessen gehe es darum, sich bewusst zu werden. So sei er überzeugt, „kann das Leben in der Gesellschaft sehr viel angenehmer werden“.
In seinem Buch zeigt Kersten Knipp, wie diese Haltung im 17. Jahrhundert entstanden ist. Damals sei in Frankreich das Bürgertum entstanden. Zuvor habe eine höfische Kultur, eine Kriegerkultur geherrscht. „Vorher gab es ja die großen Kriege, insbesondere in Frankreich, in Europa überhaupt, und der Hugenottenkrieg beispielsweise.“ Mit dem Ende des Kriegs sei auch die Überzeugung gekommen: Wir müssen unsere Konflikte anders lösen. „So gerät peu à peu der sogenannte Schwertadel ins Hintertreffen. Es kommt etwas Neues, ein Verwaltungsadel; und damit aber auch gleichzeitig das Bürgertum, das auf der Suche nach neuen Umgangsformen ist, die ihren neuen Berufsbildern Anwalt, Arzt, Jurist, entsprechen.“

Weg von hierarchischen Gesprächen

Was es in dieser Zeit bedeutete, sich elegant zu benehmen, habe sich besonders in der Gesprächskultur gezeigt, erklärt Kersten Knipp. Dabei sei es darum gegangen, „wie man etwa eine frei dahinfließende Unterhaltung schafft, und nicht mehr eben eine Befehlsempfängerstruktur innerhalb eines Gespräches, die ständisch organisiert ist“. Also es habe nicht mehr gegolten: Der über mir steht, bestimmt das Gespräch. In der Folge heiße das: „Ich höre zu, ich lächle. Ich versuche, die Reaktion des Gegenübers vorwegzunehmen, um mir dann zu überlegen, wie gestalte ich es so, dass es für den anderen auch angenehm ist?“
Das Gespräch, die Unterhaltung also als eine Art Spiel, in dem man seine Geistesgegenwärtigkeit beweisen wolle, aber nicht im Sinne eines Wettkampfes, sondern im Dienst an dem Gespräch. „Da entwickelt man eine ganze Psychologie des Gesprächs mit vielen nonverbalen Zeichen oder eben auch der Rücksicht auf die Themen, die dem anderen am Herzen liegen.“ Da sei etwas ungeheuer Feines, Sensibles, Delikates entstanden, so Knipp. Und obwohl es vor 300 bis 400 Jahren entwickelt wurde, sei es noch immer der Stand unseres 21. Jahrhunderts.
Allerdings mit Einschränkungen, räumt Kersten Knipp ein. „In der Tat, wir haben auch eine Gesprächskultur oder überhaupt eine Kultur der Umgangsformen, die manchmal dann doch ein bisschen grob ist.“ Beispielsweise das Phänomen, dass man sich auf dem Bürgersteig nicht mehr ausweiche. Oder dass E-Scooter auf dort stehen gelassen oder hingeworfen würden, „als hätten sie Dreijährige dort zurückgelassen.“ Da fehle es aus seiner Sicht an Empathie und Bewusstsein eines sozialen Miteinanders.

"Gendern hemmt die Eleganz der Sprache"

Dass im Umgang mit der Sprache das Bestreben in vielen Bereichen stärker geworden ist, sich sensibler auszudrücken gegenüber Empfindlichkeiten anderer, begrüße er grundsätzlich als Rücksichtnahme „auf Menschen, die vielleicht nicht so repräsentiert sind oder die sich nicht so artikulieren können oder eben auch auf sogenannte Minderheiten“. Aber Knipp kritisiert, dass das inzwischen „zu einer Regel geworden ist, der man sich kaum entziehen kann“. Es hemme die Eleganz der Sprache. „Wenn man jetzt immer das Gender markiert, auf die vielen Weisen, in denen es möglich ist, mit dem Binnen-I oder dergleichen, das scheint mir ein bisschen penetrant zu sein und nicht immer im Sinne eines wirklich fließenden Gesprächs.“
Ein Ergebnis von Knipps Beschäftigung mit der damaligen gesellschaftlichen Entwicklung hin zu mehr sozialem Miteinander: Frauen hatten einen großen Anteil daran. So gründete beispielsweise Madame de Rambouillet den ersten Salon in Paris, in dem sich Angehörige des Bürgertums, aber auch des Adels oder des Königshofes trafen. „Und man führte dort eben diese Kunst des Gesprächs ein: Erlaubt war alles. Man konnte über alles sprechen, nur bitte nicht langweilig.“ Der Gastgeberin sei es sehr wichtig gewesen, dass Frauen sich daran beteiligen – und sie gaben das weiter an ihre Männer. „Die Männer sagten, wenn wir uns wirklich verfeinern wollen, dann müssen wir zu den Frauen gehen und von ihnen lernen.“
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