Ahrtal vier Monate nach der Flut

Helfer-Shuttle organisiert und stärkt die Freiwilligen

09:00 Minuten
Bundespräsident Steinmeier hat das Sakko ablegegt und schwingt einen schweren Hammer. Neben ihm steht Schmied Rüdiger Schwenk und hält ein Werkzeug über ein glühendes Eisenstück.
Frank-Walter Steinmeier hat das Camp und dessen Schmiede im Oktober besucht. Auch heute noch kommen, ohne prominenten Besuch aus Berlin, jeden Tag rund 100 Freiwillige am Tag zum Treffpunkt, um zu helfen. © picture alliance / dpa / Thomas Frey
Von Anke Petermann · 26.11.2021
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Im Ahrtal sind Freiwillige auch vier Monate nach der großen Flut gern gesehen. Geschäftsleute professionalisieren ehrenamtlich die Vermittlung, am Abend kommen die Helfer zusammen und spüren die Gemeinschaft. Nun bereiten sie sich auf den Winter vor.
Es weihnachtet im Helfercamp auf den Höhen der Ahr-Eifel zwischen Bonn und Bad Neuenahr: Der Solidaritäts-Laden verkauft Adventskalender, mit 24 Türchen für 24 mehr oder minder zerstörte Orte an der Ahr. Über dem Eingang des BaumAHRkt-Zelts ist ein Mini-Weihnachtsbaum aus Lichtern angebracht.

In der Camp-Schmiede schärfen Helfer üblicherweise nach jedem Arbeitstag im Tal Meißel und Brechstangen am Feuer. Kurz vor dem Advent schmieden sie jetzt auch Weihnachtsbäume aus aneinander gelöteten rundgeschlagenen Hufeisen. Und Herzen für eine Versteigerung zugunsten der Flutopfer. Die drei Schmiede-Feuer leuchten in der Dämmerung.

Zusammenkommen am Camp-Café

Die ersten Freiwilligen steigen Rheinland aus einem der Shuttle-Kleinbusse aus. Das Camp-Café im Innovationspark Rheinland in der Nähe des Örtchens Beller füllt sich, es gibt Kaffee, Kuchen, Rohkost, Obst, alkoholfreien Punsch und Glühwein.
An diesem trüben, feuchten Abend klammern einige Rückkehrer die kalten Finger um heiße Tassen. Wie Tanja, die wie die meisten hier ihren Nachnamen nicht nennt. „Wir kommen gerade von der Baustelle. Wir haben ein Haus entkernt, also Putz von den Wänden, Estrich vom Boden“, erklärt sie. Und auf die Frage, was nun noch kommt, sagt sie: „Jetzt ist Feierabend. Jetzt gibt’s was Heißes zu trinken, noch ein bisschen quatschen…“
Sie ist eine von denen, die am Abend wieder nach Hause fahren: Im Siebengebirge sei das, "gar nicht so weit“. Sie sei nicht das erste mal da, will aber auch nicht von regelmäßigen Einsätzen sprechen. "Aber sieben, achtmal schon. Immer wenn's passt, zeitlich, sind wir da.“ Inzwischen meldet man sich auch an: „Ja. Aber hat gut geklappt heute Morgen“, berichtet sie.

Online-Registrierung für Freiwillige


Eine ganz einfache Online-Registrierung erleichtert den Organisatoren beim Helfer-Shuttle neuerdings die Planung. Sie können dann den Hochwasserbetroffenen, die Hilfe anfragen, im Vorfeld mitteilen, ob sie die gefragte Anzahl an Helfern auch bekommen, oder sich mit einem kleineren Kontingent zufriedengeben müssen.
Anfangs lief das gut, einige Male stimmten die angefragten Kontingente genau mit den vorhandenen überein, doch im Lauf des Novembers entstanden auch mal Lücken.
Bei den Tagesresümees abends im Essenszelt, den sogenannten Abendandachten, spricht Helfer-Shuttle-Co-Organisator Thomas Pütz das offen an: „Wir haben die Zahl 151, die Zahl 110 und die Zahl 95. Heute hatten wir genau die richtige Zahl von Helfern die wir gebraucht haben. Gestern hatten wir 30 und am Montag 20 zu wenig.“


Warme Worte an die Helfer im Ahrtal

Von der Idee, die Helferzahl bei 150 zu deckeln, sind die Organisatoren wieder abgegangen. Um Freiwillige zu werben, sie für die kommende harte Zeit bei der Stange zu halten – das steht an.
Thomas Pütz hat keine Angst davor, emotional zu werden. Er verteilt regelmäßig stets bejubelte Streicheleinheiten ans lichter werdende Freiwilligen-Publikum: „Für mich persönlich kann ich sagen: Immer noch, nach wie vor" – und man sei inzwischen bei über vier Monaten – "ich hab' immer noch jeden einzelnen lieb, wie er hier ist. Wir sind bei 100.000 Leuten, die ich lieb hab‘."

Es gibt Lachen und Applaus.

"Für mich seid ihr alle völlig Granaten, und es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ihr das alles für uns tut.“

Verdienstorden für Helfer-Shuttle


„Für uns“ heißt: für uns im Ahrtal. Organisator Pütz ist als Geschäftsführer von Sanitätshäusern und Onlinehandel mit Stammsitz in Bad Neuenahr nämlich selbst betroffen. „Mein Unternehmen ist ja selbst auch abgesoffen, wir haben ja selbst auch einen ordentlichen Flutschaden erlitten durch das Wasser“, berichtet er.
Aufräumen, entkernen, die Versicherung mobilisieren, das alles hätten seine Mitarbeiter geleistet, lobt Pütz. So dass er dem Helfer-Shuttle-Gründer Marc Ulrich beispringen konnte, einem befreundeten Marketing-Unternehmer.
Ulrich und Pütz nahmen unlängst den Verdienstorden als höchste Auszeichnung des Landes Rheinland-Pfalz entgegen, stellvertretend für die gesamte Freiwilligen-Bewegung, wie sie betonen.

Danke und Jubel bei den "Abendandachten"

Bei der Abendandacht im Großzelt wendet sich auch Marc Ulrich ans Publikum: „Ihr habt nicht nur Häuser gerettet, ihr habt Menschenleben gerettet", sagt er. "Wir wissen das, wir sind auch ganz sicher, es würde den ein oder anderen Ahrtaler da unten nicht mehr geben, wenn ihr nicht da gewesen wäret. Nicht nur mit euren Händen, sondern auch mit euern Ohren und vor allen Dingen mit euern Herzen. Dieser Mut und diese Zuversicht….“

Jubel ertönt.
Angesichts von Nässe, Frost und steigenden Corona-Zahlen spürt die Helfer-Bewegung jedoch, dass einschneidende Veränderungen bevorstehen, dass pandemiebedingt sogar der Abbruch der regelmäßigen Treffen mit Gemeinschaftsverpflegung und abendlichem Austausch droht.

"Wilhelmshafen" im Ahrtal

Auch deshalb häufen sich vielleicht die emotionalen Zwischenbilanzen im Helfer-Camp auf der Eifelhöhe. An denen beteiligt sich in einer der Abendandachten auch Wilhelm Hartmann.
Der Gartenbau-Unternehmer aus Fulda hat in Walporzheim ein Containerdorf für Übernachtungen von Freiwilligen ins Leben gerufen und in diesem dörflichen Stadtteil von Bad Neuenahr auch ein Baustoffzelt für gespendete Materialien eingerichtet. „Vor drei Monaten haben wir das Baustoffzelt Kaiser in Walporzheim aufgebaut, und wir haben mit dem heutigen Tag einen Warenumschlag von gespendeten Baustoffen im Wert von drei Millionen Euro geschaffen.“
Wieder Jubel.

„Wilhelmshafen“ nennt die Bewegung den ganze Komplex, angelehnt an den Vornamen des Unternehmers.

Helfer-Infrastruktur muss umziehen

„Wilhelmshafen“ zieht nun weg aus Bad Neuenahr im Tal, denn im Überschwemmungsgebiet dürfen selbst die provisorischen Einrichtungen nicht bleiben. Asyl finden das Containerdorf und das Baustoffzelt im Helfer-Camp auf der Höhe nahe der Autobahn.
Organisatoren und Helfende hoffen, im vergrößerten Camp mit beheizten Container-Unterkünften und dem Reservoir an gespendeten Werkzeugen und Baumaterialien effizient arbeiten zu können. Und zwar den ganzen Winter hindurch bis mindestens in den Mai hinein – so das vorläufige Ziel. Auf- und Umbau werden aus dem Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern bezahlt. 

Dann erklingt ein Lied: „Heut ist dein Geburtstag ...“

Helferin Alexandra feiert ihren Geburtstag im Großzelt – nach einem Arbeitstag zwischen Bauschutt und Staub – mit Gummistiefeln als Festtagsschuhwerk. Aber so stimmkräftig besungen und bejubelt wie wohl auf keinem Geburtstag davor.

„Wir hätten dich sonst sehr vermisst…“

Motivation über soziale Medien

All diese emotionalen Momente erleben nicht nur die ein-, zweihundert Zuhörenden im Großzelt mit. Mehrere Tausend Menschen verfolgen und kommentieren sie mit vielen Herzchen und Smileys auch beim Streaming auf Facebook.
Thomas Pütz nutzt die sozialen Netzwerke gezielt, um die Helfergemeinschaft informiert und motiviert zu halten. Außerdem: „Alle, die helfen, müssen auch unsere Touristen werden, denn viele kannten das Ahrtal gar nicht. Wir möchten einfach, dass alle bei uns bleiben.“

"Alle 11 Minuten verliebt sich ein Helfer ins Ahrtal", heißt es auf einem grünen Banner, das hinter der Kaffeetheke im Camp hängt.

Einsätze im Urlaub

Bei Regen, Dunst und feuchten 6 Grad macht das Ahrtal es jedem schwer, dieser Liebe treu zu bleiben. Doch die Menschen, die in verdreckter Arbeitskleidung aus den Shuttles steigen, lassen sich nicht beirren, so wie zwei Freiwillige aus Weinheim an der Badischen Bergstraße und aus Nordrhein-Westfalen:

„Wenn ich Urlaub habe, komme ich immer zwei bis drei Tage die Woche her, komme morgens an und fahre abends nach Hause.“

„Ich war das dritte Mal hier im Einsatz. Beim ersten Mal neun Tage im August, im Oktober fünf Tage und jetzt bin ich seit Montag hier, und morgen geht’s wieder Richtung Heimat, nach dem Frühstück. Heimat ist Gummersbach im Oberbergischen“, sagt Rolf, der im eigenen Wohnmobil übernachtet.

"Zeigen, dass Leute für die Ahrtaler da sind"

Über ihre Motive verraten der Weinheimer und der Gummersbacher:

„Das Tolle für mich persönlich ist, den Leuten im Ahrtal zu zeigen, dass Leute für sie da sind. Es geht mir nicht um mein Wohlbefinden und dass ich mich gut fühle. Mein Antrieb ist einfach, den Leuten zu zeigen, dass Menschen da sind, die sie unterstützen wollen.“

„Ich kenne das Ahrtal von früher. Es wäre schön, wenn es mal wieder so aussehen würde. Da will ich eben meinen Anteil bei tun.“ 
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