Kalifornien schließt Todeszellen

Der Streit um die Death Row

26:12 Minuten
Der Hinrichtungsstuhl im "San Quentin State Prison" Gefängnis in Kalifornien, 2019.
Hier wurde im San Quentin State Prison in Kalifornien die Todesstrafe vollzogen, bevor die Anlage im Jahr 2019 abgebaut wurde. © Getty Images / California Department of Corrections and Rehabilitation
Von Arndt Peltner · 26.04.2022
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Offiziell gibt es die Todesstrafe in Kalifornien noch. Aber sie ist seit 2019 ausgesetzt. Nun will Gouverneur Gavin Newsom die Todeszellen schließen und die Insassen soweit wie möglich in den normalen Strafvollzug integrieren. Auch gegen Widerstand.
Es kam nicht ganz überraschend: die Auflösung der Death Row. Mit der Schließung dieses berühmt-berüchtigten Gefängnistraktes im kalifornischen Staatsgefängnis von San Quentin will Gouverneur Gavin Newsom das fortsetzen, was er kurz nach seiner Vereidigung im Frühjahr 2019 mit der Aussetzung der Todesstrafe eingeleitet hatte.

Es ist seit rund 40 Jahren mehr als bekannt, dass ich gegen die Todesstrafe bin. Ich glaube nicht, dass das eine große Überraschung für jemanden ist. Es gibt diesen Bericht der ‚National Academy of Science‘, in dem heißt es, dass etwa einer von 25 zum Tode Verurteilten unschuldig ist.

Wenn das stimmt und wir damit beginnen die 737 Todeskandidaten in Kalifornien hinzurichten, dann haben wir am Ende etwa 30 Unschuldige exekutiert. Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken. Ich kann das nicht unterschreiben.

Gouverneur Gavin Newsom

Gouverneur gegen Todesstrafe

Damals stoppte Newsom mit diesem Moratorium nicht nur alle weiteren Hinrichtungen in seinem Bundesstaat – er ließ sogar die giftgrüne Hinrichtungskammer abbauen, um diesen Schritt auch symbolisch zu unterstreichen.
Nun, drei Jahre später, also die Schließung der Death Row, die Ankündigung, all die zum Tode Verurteilten in Kalifornien in andere Gefängnisse des Bundesstaates zu verlegen. Dabei ist die Death Penalty nach wie vor Gesetz in Kalifornien und wird auch von einer winzigen Mehrheit weiterhin unterstützt.
Erst 2016 wurde die Proposition 66, die Hinrichtungen im Bundesstaat beschleunigen sollte, in einem Volksentscheid mit einer knappen Mehrheit von 51,1 Prozent der Wählerinnen und Wählern angenommen. Dem zuvor gegangen war eine zehnjährige Aussetzung von Exekutionen im Golden State. Im Dezember 2005, war der einstige Gang Boss, Stanley „Tookie“ Williams, hingerichtet worden.
Sein lang anhaltender Todeskampf war von den Gegnern der Death Penalty als Beweis angeführt worden, um nachzuweisen, dass die Hinrichtung mit einem Gift-Cocktail eine brutale und außerordentliche Bestrafung für einen Todeskandidaten sei, die so per Gesetz verboten ist. Ein Richter stoppte daraufhin alle weiteren Exekutionen, bis der Staat eine „humane“ Giftmischung gefunden hätte.

Befürworter der Strafe fordern schnellere Vollstreckung

Zehn Jahre später wollten sich die Befürworter der Todesstrafe aber nicht länger damit abfinden, dass weiterhin Mörder zum Tode verurteilt wurden, gleichzeitig aber keine Hinrichtungen mehr stattfanden und die Death Row Kaliforniens mit über 700 Häftlingen zur größten des Landes heranwuchs.
Nach dem Abstimmungserfolg von Prop. 66 sollte nun eigentlich alles schneller gehen – allerdings folgte drei Jahre später das Moratorium von Gouverneur Gavin Newsom. Hinrichtungen wurden wieder ausgesetzt. Außerdem ließ der Gouverneur Alternativen prüfen für eine neue Unterbringung der Todeskandidaten im East-Block von San Quentin.
Ein Gefangener macht Klimmzüge in einem Einzelkäfig auf dem Hof vom San Quentin State Prison in Kalifornienen, USA.
Auf dem Hof von San Quentin: Ein Häftling macht Klimmzüge in einem Einzelkäfig.© Getty Images / Justin Sullivan
Der East Block, ein Hochsicherheitstrakt im Staatsgefängnis von San Quentin. Hier ist die Death Row, ein fünfstöckiger Zellenblock, der wie ein eigenes Gebäude im Gebäude wirkt und in dem rund 650 zu Tode Verurteilte isoliert, Zelle an Zelle nebeneinander leben. Auf einem Steg entlang der Außenwand der Zellen patrouillieren rund um die Uhr bewaffnete Wärter. Jede Bewegung außerhalb lässt sich beobachten.
“Wie soll ich das beschreiben, es ist eine 1, 50 Meter mal 2,70 Meter große Zelle. Es gibt einen Bettrahmen aus Stahl, den ich als Tisch benutze, eine dünne Matratze auf dem Boden, auf der ich schlafe. Eine Toilette, ein Waschbecken. Ich habe meinen Fernseher hier, alles was ich besitze, ist hier. Es gibt nicht viel Platz, aber man gewöhnt sich daran”, erzählt Reno.

Minimales Leben in der Todeszelle

Reno ist seit 1980 hier, verurteilt für einen Doppelmord zwei Jahre zuvor. Er gehört zu den Alten der Death Row. Erst kurz vor seiner Tat, 1976, wurde die Todesstrafe in den USA und Kalifornien wiedereingeführt. Seine kleine Zelle nennt er inzwischen „my house“. Mit 35 Jahren kam er hierher, heute ist er fast 77 Jahre alt. Ein alter Mann, oft misstrauisch und chronisch krank.
Eigentlich kennt er nichts anderes als diese kargen vier Wände hinter einer doppelt vergitterten Tür. Seit mehr als 25 Jahren kenne ich ihn, beobachte seinen körperlichen Verfall, höre ihm zu, wenn er die Sinnlosigkeit, die Ausweglosigkeit seiner Situation beschreibt. Gegen seine Depressionen wurde ihm schon vor ein paar Jahren das Antidepressivum Prosac verschrieben.
Blick in eine enge Gefängniszelle mit Bett, Waschbecken und Toilette im San Quentin State Prison in Kalifornien im Jahr 2005
Eine Zelle im San Quentin State Prison im Jahr 2005. „My house“, sagt Häftling Reno zu seinen kargen vier Wänden. © imago / ZUMA Wire / Mark Richards
Die Zustände in der Death Row stoßen bei Aktivisten gegen die Todesstrafe schon lange auf Kritik. Als Gouverneur Gavin Newsom im Frühjahr 2019 ankündigte, alle Hinrichtungen auszusetzen, forderten sie, dass die verurteilten Mörder auch mehr Bewegungsspielräume bekommen müssten.
Bisher dürfen sie weder an Arbeits- noch an Freizeitprogrammen in San Quentin teilnehmen, jedes Mal, wenn sie ihre Zellen verlassen zum Duschen, zum Hofgang oder zu Gottesdienstbesuchen, werden ihnen Hand- und Fußfesseln angelegt. Ihre Mahlzeiten nehmen sie in den Zellen ein und nicht, wie im normalen Strafvollzug, in den Speisehallen von San Quentin. Das mache psychisch krank und das müsse sich ändern – forderten die Aktivisten.
Kurze Zeit nach diesen News kam ein Anruf aus dem East Block von San Quentin. „Sie haben uns hier schriftlich mitgeteilt, dass sie uns alle verlegen wollen. Dass das zweijährige Pilotprojekt anscheinend gut funktioniert hat“, sagt Reno.

Verlegung aus dem Todestrakt soll Pflicht werden

In einem Rundbrief wurde Reno und anderen Mitgefangenen mitgeteilt, dass das “Condemned Inmate Transfer Pilot Program” Ende Januar erfolgreich zu Ende gegangen sei. Nach der Aussetzung der Todesstrafe 2019 hatte Gouverneur Newsom das Pilotprojekt ermöglicht, in dem zu Tode Verurteilte auf freiwilliger Basis in andere Gefängnisse verlegt werden konnten. Oftmals in Strafvollzugsanstalten, die näher an den Wohnorten ihrer Familien liegen.
Ziel des Projekts war es, herauszufinden, ob eine Verlegung all dieser verurteilten Mörder überhaupt möglich sei. Sie in die „Main Population“ anderer Gefängnisse einzugliedern, ohne die massiven Sicherheitsvorkehrungen, die es im Todestrakt von San Quentin gibt.
Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom, will dieses freiwillige Programm der Verlegung nun zu einem Pflichtprogramm machen. Die zweijährige Testphase sei gut verlaufen, heißt es aus dem Justizministerium. Gouverneur Gavin Newsom selbst begründet diesen Schritt auch als Teil des Auftrags der Proposition 66
"Die Wähler wollten die Todesstrafe beibehalten, aber ich glaube, viele haben nicht ganz verstanden, für was sie da gestimmt haben. Als sie dafür votierten, stimmten sie ja auch zu, dass die Strafvollzugsbehörde diese Gefangenen verlegt, damit diese arbeiten sollen", sagt er.
"Genau das haben wir in den letzten zwei Jahren mit ein paar der Verurteilten ausprobiert. Nun wollen wir das ausweiten und alle Menschen aus den Todeszellen verlegen."

Anpassungsschwierigkeiten der Insassen

Ich bin nicht wirklich glücklich darüber, ich bin hier schon zu lange. Der einzige regelmäßige Besucher, den ich habe, wohnt hier in Oakland, sonst kenne ich niemanden in Kalifornien. Irgendwie ist es so wie: Der Teufel, den man kennt, ist besser als der Teufel, den man nicht kennt. Ich bin wirklich schon zu lange hier und will nicht woandershin, mit neuen Leuten in einer neuen Umgebung.

Reno

Als Reno sich meldet und erklärt, dass er alles andere als glücklich über diese geplante Verlegung ist, überrascht mich das nicht. Nach 42 Jahren in der Todeszelle kennt er nichts anderes diese kleine Welt. Das Justizministerium, kurz CDCR, kündigt gerade deshalb auch in dem Schreiben an die Gefangenen an:

“Wenn Sie zu irgendeinem Zeitpunkt Hilfe in diesem Übergangsprozess benötigen, gerade auch in den Monaten, bevor diese neuen Richtlinien umgesetzt werden, reichen Sie bitte das CDCR Formular 7362 ein und eine Fachkraft für Psychologie wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen und Sie dahingehend unterstützen.”

Hilfen für den Übergang

Für Mike Farrell, der durch „M.A.S.H“ bekannte Schauspieler und jetzige Präsident von Death Penalty Focus, einer der führenden Todesstrafengegner-Organisationen in den USA ist das ein ganz wichtiges und notwendiges Angebot.
„Einige von ihnen sind geistig behindert, wenn nicht schon vor ihrer Tat, die sie begangen haben und die sie hierhergebracht hat, dann aber ganz sicher durch die Bedingungen im Todestrakt“, sagt er.
„Das ist psychisch wie physisch sehr belastend. Das muss alles ganz genau und behutsam durchgeführt werden, da braucht es eine Begleitung für diese Leute.“

Widerstand der Opferverbände

Aber nicht nur einige der Verurteilten selbst – auch einige der Opferverbände im Golden State sind alles andere als erfreut über die Pläne des Gouverneurs.

Ich finde, der Gouverneur ist arrogant. Die kalifornischen Wähler haben zweimal für die Todesstrafe gestimmt, erst vor Kurzem mit der Proposition 66. Und er geht nun hin und zieht sich lediglich die Zeile heraus, in der es um die Verlegung in andere Gefängnisse geht. Aber er hält sich nicht an das Gesetz, das da besagt, die Todesstrafe müsse in Kalifornien schneller umgesetzt werden. Er ist also nicht mutig, er ist vielmehr arrogant. Er glaubt, er steht über dem Gesetz und dem Willen des Volkes.

Nina Salarno Besselman

Nina Salarno Besselman ist die Vorsitzende von Crime Victims United, einer Organisation, die sich selbst “The Voice for victims and public safety” nennt. Sie und andere hatten 2016 Proposition 66 unterstützt.

Vorwurf der Rechtlosigkeit

„Es ist eigentlich so: Wenn er unser Gesetz nicht mag, dann soll er mit einer neuen Gesetzesinitiative versuchen, es rückgängig zu machen. Er sagte in einem Treffen mit Opfervertretern, dass er sich von seiner persönlichen Überzeugung leiten ließe, aber niemand in der Regierung sollte seine persönliche Überzeugung über das Gesetz stellen. Das ist Tyrannei, das ist keine Demokratie“, kritisiert sie.
„Wir initiierten einen Volksentscheid, all die Argumente dafür und dagegen wurden gemacht und die Wähler stimmten dafür. Wenn er glaubt, Proposition 66 sollte abgewandelt werden, dann hat er das Geld und die Möglichkeiten dazu, eine neue Abstimmung durchzusetzen. Aber er hat nicht das Recht, seine Überzeugungen über das Gesetz zu stellen.“
Todesstrafengegner Mike Farrell nimmt diese Kritik zwar ernst, aber aus dem Protest gegen die Verlegung spreche auch immer diese grundsätzliche Überzeugung, dass zum Tode Verurteilte in gewisser Weise das Menschsein abgesprochen würde.

"Auch Insassen sind Menschen"

Eine Haltung, die er ablehnt.

Ich glaube, die unbewusste Überzeugung, dass diese Männer und auch Frauen, die zum Tode verurteilt wurden, nicht länger leben sollen, hängt auch damit zusammen, dass die Leute schon so behandelt werden, als existierten sie gar nicht mehr. Sie sind eine Nummer und diese Nummer wird nur noch genannt, wenn sie dann hingerichtet werden.

Das ist eine Art Entmenschlichung. Auch für all die, die die Kontrolle haben und für die Sicherheit verantwortlich sind. Wir müssen also sehr vorsichtig mit den Häftlingen umgehen und sichergehen, dass sie Hilfen bekommen, sie Unterstützung erhalten, bevor man sie aus dem Umfeld rausnimmt, in dem sie zum Teil Jahrzehnte gelebt haben.

Mike Farrell

Viele Schlüssel hängen am Gürtel eines Gefängnismitarbeiters im San Quentin State Prison in der Death Row.
Kontrolle und Sicherheit in der Death Row: Reno kann drei Einrichtungen vorschlagen, in die er verlegt werden will.© Getty Images / Justin Sullivan
Die Death Row wird dichtgemacht. Das steht nun unwiderruflich fest. Insasse Reno muss damit jetzt umgehen, ob er will oder nicht.
„Ob ich eine Wahl habe? Sie meinen, sie wollen unsere Vorschläge berücksichtigen oder uns dahin verlegen, wo wir näher an unseren Besuchern sind. Aber es gibt keine Garantien. Wir sollen drei Einrichtungen vorschlagen und dann entscheiden sie, wohin sie uns schicken“, erzählt er.

Freude über die neue Gefängnisnormalität

Der fast 77-jährige Reno hat in den letzten Tagen auch von seinem Anwalt gehört. Viele der Juristen, die Fälle mit Todesurteil behandeln, sind nicht gerade erfreut über die Pläne zur Verlegung der Death Row, denn San Quentin liegt direkt an der San Francisco Bay in Marin County, ist verkehrstechnisch gut angebunden und relativ einfach zu erreichen.
Viele der anderen Prisons in Kalifornien liegen weit ab vom Schuss. Doch, so Reno, das Programm scheint zumindest bei einigen Häftlingen gut anzukommen, die bereits umgezogen sind. Das zumindest hat er von seinem Anwalt erfahren.

Die aus dem Pilotprogramm scheinen es grundsätzlich gut zu finden, aber das sind auch die Leute, die von Anfang hier wegwollten. Ich habe vor ein paar Tagen von meinem Anwalt einen Brief bekommen und er meinte, dass einige seiner Klienten ihm gesagt hätten, sie seien froh, dass sie verlegt wurden.
Dass sie nun arbeiten, sich weiterbilden können, auf den Hof und in die Tagesräume gehen, alles ohne Handschellen, ohne große Durchsuchungen, all das, was man hier hat.

Aber noch mal: Das sind alles die, die sowieso wegwollten.

Reno

Rehabilitationszentrum statt Death Row

Aus dem East Block, dem Gebäude in dem die kalifornische Death Row derzeit noch untergebracht ist soll, so die Planung, ein Rehabilitationszentrum für die Häftlinge in San Quentin werden. Auch das ein deutliches Signal von Gouverneur Gavin Newsom, einen Ort des Horrors zu einem Ort der Hoffnung und Zukunft zu machen.
Für Mike Farrell von Death Penalty Focus ist allerdings klar, dass es mit dem Ende der eigentlichen Death Row im kalifornischen San Quentin noch nicht getan ist. Er hofft darauf, dass auch die Todesstrafe in seinem Bundesstaat bald Geschichte ist.
„Wenn Gavin Newsom wiedergewählt wird, dann hat er nur noch eine Amtszeit, danach kann er nicht mehr antreten und ein anderer wird den Gouverneursposten übernehmen. Und die Frage ist, ob der- oder diejenige dann mit dem übereinstimmen, was Newsom gemacht hat“, sagt er.
„Das ist ein Problem. Er hat zwar nicht die Macht innerhalb der Regierungsstrukturen, einfach die Todesstrafe für ungültig zu erklären. Aber er kann die Todesurteile vieler Verurteilter im Todestrakt umwandeln in lebenslange Haftstrafen. Nicht von allen, aber zumindest von denen, die nur eine Tat begangen haben.“
Mit dem Ende der eigentlichen Death Row ist das Thema Todesstrafe in Kalifornien also nicht beendet. Gouverneur Gavin Newsom hat noch einiges zu tun, um sein politisches und auch sein ethisches Ziel zu erreichen, die Höchststrafe im Golden State ganz abzuschaffen.
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