Jurek Beckers Postkarten

"Du alte Schmuckschatulle"

Buchcover Jurek Becker: "Am Strand von Bochum ist allerhand los"
Der Band ist ein sehr intimer Einblick in das Leben von Jurek Becker. © Suhrkamp / imago stock&people
Von Michael Opitz · 06.06.2018
Weltbekannt wurde Jurek Becker durch seinen Roman "Jakob der Lügner". Weniger bekannt ist, dass er ein passionierter Postkartenschreiber war. Ein von seiner Witwe herausgegebener Band zeigt nun eine Auswahl – und den wahren Grund seiner Leidenschaft.
Im Januar 1994 schrieb der Schriftsteller Jurek Becker, Autor des Weltbestsellers "Jakob der Lügner", dem Schauspieler und Sänger Manfred Krug eine Postkarte: "Lieber Manfred, an jedem Tag ereignet sich irgendetwas, das mich an Dich denken läßt. Heute war es zum Beispiel ein Kotelett, das ich mir gebraten habe. Beim Essen musste ich denken: Wenn Manfred es gebraten hätte, wäre es nicht so zäh. In Liebe Jurek".
Die an Manfred Krug adressierte Karte ist eine von 380 Postkarten, die sich in dem Band befindet, den Christine Becker – mit ihr war Jurek Becker von 1986 bis zu seinem Tod 1997 verheiratet – herausgegeben hat. Zwei Tage später schrieb Becker erneut an Krug:
"Oder nimm, was heute früh passiert ist: Ich bitte Christine um einen Tee, sie sagt, ich soll mir selber welchen kochen, und schon denke ich: Das würde Manfred sich nicht bieten lassen."
Becker hat diese Karte von einer Reise nach Indien mitgebracht. Sie zeigt einen Dompteur, um dessen Hals ein Elefant seinen Rüssel gelegt hat.

Die Karten konnten nie kitschig genug sein

Jurek Becker war ein passionierter Postkartenschreiber, der sich eine Anzahl von originellen Karten mitnahm, wenn er auf Reisen ging, denn zu ungewiss war, ob er vor Ort ein ansprechendes Kartenmotiv würde finden können. Er war äußerst wählerisch, die Karten konnten nie kitschig genug sein, und die beiden an Krug geschickten Postkarten sind für das von Becker entworfene "Kartenwerk" durchaus typisch.
Was er auf den Karten mitteilt, klingt belanglos, nichts hat Ereignischarakter. Fast nebensächlich wird auf den von Becker an seine Frau Christine, an seinen Sohn Johnny, das Ehepaar Unseld u.a. geschriebenen Karten das rein Faktische. Beckers Kartengrüße wollen in erster Linie für Freude bei dem Empfänger sorgen. Ganz selbstlos aber ist das Schreiben der Karten dennoch nicht:
"Weißt Du eigentlich", heißt es auf einer Karte an Christine Becker, "daß ich Dir nicht nur deswegen schreibe, um D i r eine Freude zu machen? Denn gewöhnlich, wenn ich Dir schreibe, bist Du ja nicht hier; und wenn ich Dir schreibe, bist Du eben doch ein bißchen hier. So sieht’s aus."

Die Zurückgelassenen in seine Nähe holen

Wenn Jurek Becker in der Fremde weilt, dann holt er sich die Vertrauten und Freunde, die er zurücklassen musste, in seine Nähe, wenn er ihnen schreibt. So sorgt er dafür, dass das sie verbindende Band während sie getrennt sind, nicht abreißt.
Jurek Becker, der als Kind Ghetto und Konzentrationslager überlebte, will, wenn er fern ist, denen nah bleiben, die ihm unverzichtbar sind. Direkt teilt er ihnen dies nicht mit. Aber er versteht seine Postkarten – insgesamt gibt es fast tausend Karten – als ein "Zeichengeben".
Beinahe nebensächlich wird bei diesen postalischen Mitteilungen, wie es um den Absender selbst steht. Wichtiger sind Sportereignisse, etwa die Olympischen Spiele und nur am Rande kommt die Weltpolitik vor:
"Du alte Schmuckschatulle," schreibt er im Januar 1990 an Ch. Becker, "nun stehen ja hübsche Veränderungen ins Haus, wie? Erstens läuft Deine Uni-Fron aus, zweitens wird es bald Frühling, drittens gerät die deutsche Frage in Bewegung, und viertens fahren wir in diesem Jahr nach Neuseeland."
Es ist eine große Freude und ein besonderes Vergnügen, in diesem wunderbar gestalteten und von Christine Becker sorgfältig kommentierten Band zu lesen, in dem jeweils auf einer Seite neben dem Text auch das Motiv der Karte abgebildet wird: ein sehr intimer Einblick in das Leben dieses Ausnahmeschriftstellers.

Jurek Becker: "Am Strand von Bochum ist allerhand los". Postkarten
Herausgegeben von Christine Becker
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
398 Seiten. 32,00 Euro

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