Juliane Pickel: "Krummer Hund"

Explosionen unter der Schädeldecke

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Cover des Buchs "Krummer Hund" von Juliane Pickel.
Ungewöhnlich sensibel erzählt: "Krummer Hund" von Juliane Pickel. © Deutschlandradio / Beltz & Gelberg
Von Sylvia Schwab · 19.05.2021
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Juliane Pickel ist für ihr Debüt "Krummer Hund" gleich mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Peter-Härtling-Preis. Die Geschichte um Daniel ist so intensiv, emotional und stimmig erzählt, dass man sich ihrem Sog kaum entziehen kann.
Ganz schön krass geht dieser Jugendroman los: "Nachdem er meinen Hund umgebracht hat, fragt der Typ meine Mutter, ob sie am Abend mit ihm Sushi essen geht." Der "Typ" ist Tierarzt und musste Daniels geliebten Hund töten, weil der Krebs hatte. Dafür hasst Daniel diesen Thomas König.
Ziemlich chaotisch ist Daniels Leben, und noch verworrener ist sein Seelenleben. Der Hund war das Abschiedsgeschenk seines Vaters, der einfach aus seinem Leben verschwand, als Daniel zehn Jahre alt war. Seine Trauer ist deshalb umso tiefer.
Daniel leidet außerdem unter den wechselnden Liebhabern seiner Mutter, wie auch unter den subtilen Gemeinheiten seiner kaltschnäuzigen Mitschülerin "Princess Evil". Sie gibt ihm noch mehr das Gefühl, ein Nerd und Außenseiter zu sein. Einzig sein Freund Edgar hält zu ihm. Und Mathematik liebt er, weil sie so wohltuend berechenbar ist.
Am schlimmsten aber sind Daniels Tobsuchtsanfälle, die ihn alles, was in Reichweite ist, blindwütig zerstören lassen. Einem Systemsprenger gleich flippt er völlig aus: "Dann ist es, als würde ein Funke zünden, und direkt unter meiner Schädeldecke gibt es eine strahlend helle und völlig geräuschlose Explosion."

Hitze in der Brust, Zittern und Blackout

Genau das ist die Stärke dieses Buches: Wie Juliane Pickel Daniel in der Ich-Form erzählen lässt, ist ungewöhnlich sensibel. So intensiv der Junge fühlt, so genau er sich selbst und die Menschen um sich herum beobachtet, so präzise und einfühlsam schildert er, was ihn selbst und andere bewegt.
Porträt von Juliane Pickel
Juliane Pickel hat den Peter-Härtling-Preis 2021 völlig verdient bekommen, meint unsere Rezensentin.© Carla Deiters
Man spürt beim Lesen förmlich, wie sich einer seiner rasenden Wutanfälle mit Hitze in der Brust, Zittern und Blackout ankündigt. Wie sich Euphorie, Verrat oder ein schlechtes Gewissen anfühlen. Daniel lässt uns in witzigen, lakonischen, rührenden oder markigen Sätzen an seiner Verzweiflung wie an seiner Begeisterung teilhaben und versinkt dabei nie in Klischees oder Selbstmitleid.
Und so sind auch die positiven Veränderungen in Daniels Leben nachvollziehbar. Wenn sich der "Doc" bald als cooler Typ erweist, der die egozentrische Mutter vielleicht nicht so unglücklich machen wird wie seine zahlreichen Vorgänger. Wenn "Princess Evil" Daniel ihre andere, verletzliche und traurige Seite zeigt. Und die Freundschaft zu Edgar sich als so tief erweist, dass der ihm sogar einen Verrat verzeiht.

Tiefe Einblicke in fremde Gefühlswelten

Daniel gehört zu den im Augenblick zahlreichen Protagonisten in der Jugendliteratur, die als Außenseiter, (psychisch) Kranke oder sozial Benachteiligte Einblicke in ihre extremen Erfahrungen geben und so den Erfahrungsschatz weiten. Denn sie werben für Verständnis: Gefühlswelten, das lernt man hier, müssen gesehen und verstanden werden. Viele junge Leserinnen und Leser werden sich wiederfinden in Daniels Gefühlsstau. Er wird zur Blaupause ihrer Emotionen: Lernt er, lernen sie mit ihm.
Und so hat Juliane Pickel den Peter-Härtling-Preis 2021 völlig verdient bekommen. Hoffentlich hören wir mehr von dieser Autorin, der es so gut gelingt – wie es in der Jury-Begründung heißt - "Daniels Geschichte bildintensiv und immer stimmig zu erzählen".

Juliane Pickel: "Krummer Hund"
Beltz & Gelberg / Weinheim 2021
258 Seiten, 14,95 Euro
ab 14 Jahren

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