Julian Barnes

Liebe als ein Akt der Levitation

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Der Schriftsteller Julian Barnes © picture alliance / dpa / Alessandro Della Bella
Von Knut Cordsen · 13.02.2015
In seinem neuen Buch "Lebensstufen" schreibt Julian Barnes über Liebe, Leid und Luftgondelei. Die Geschichte schwebt zwischen den Genres der Erzählung und des Essays - eine bewegende Liebeserklärung an seine verstorbene Lebensgefährtin.
Julian Barnes ist einer der renommiertesten und mit dem Booker-Prize wie mit dem Prix Médicis gleichermaßen gekrönten Autoren Großbritanniens. Der heute 69-jährige Engländer wurde 1984 international berühmt mit "Flauberts Papagei", diesem Buch folgten viele weitere Erfolgstitel wie "Darüber reden", "Arthur & George" und "Vom Ende einer Geschichte". Barnesʼ jüngstes Buch heißt "Lebensstufen".
Ein Trauer-Buch ist dieses schmale Werk, in dem der Witwer Julian Barnes über das Leben mit und den Tod von seiner Frau Pat Kavanagh schreibt. Es kommt daher als ein Triptychon. In drei Teile gliedert sich "Lebensstufen", man ist versucht, es ein dreiflügeliges Buch zu nennen - auch deshalb, weil es darin viel ums Fliegen geht, genauer: um Ballonfahrt. Um die ersten "Ballonatiker", Luftschiffer, wie der Brite Fred Burnaby einer war, und um einen der großen Fotografen des 19. Jahrhunderts, Félix Tournachon, genannt Nadar, ebenfalls einer der ersten wagemutigen Luftreisenden.
Wenn man nun noch erwähnt, dass auch die französische Schauspielerin Sarah Bernhardt und ihre fiktive Liebe zu einem der beiden frühen Aeronauten, in Barnesʼ "Lebensstufen" eine Rolle spielt, dürfte die Verwirrung komplett sein. Was bitte wird hier zusammengespannt? Ganz einfach: Personen und Dinge, "die vorher nicht zusammengebracht wurden", deren Zusammentreffen aber "die Welt verändert".
Leben auf breiten Stufen
So seltsam die Konstruktion von Julian Barnes' jüngstem Buch zunächst anmutet, so gelungen will einem das Ergebnis erscheinen. Es ist eine Geschichte von Liebe, Leid und Luftgondelei, die frei zwischen den Genres der (autobiographischen) Erzählung und des Essays schwebt. Eine der zentralen Stellen lautet: "Wir leben auf breiten Stufen, auf ebenen Bahnen, und doch - und deshalb - streben wir in die Höhe. Wir sind Erdenwesen und können doch manchmal zu den Göttern hinaufreichen. Die einen schwingen sich mit der Kunst empor, die anderen mit der Religion; die meisten mit der Liebe. Eine weiche Landung ist selten."
Was Barnes anhand dreier Geschichten exemplifiziert, ist überwölbt vom Metaphern-Netz des Aufsteigens und Dahingleitens im Fesselballon: Liebe als ein Akt der Levitation, einerseits, andererseits aber auch eine keinesfalls ungefährliche Unternehmung, impliziert sie nicht nur "stürmische Aufschwünge", sondern auch lebensbedrohliche Abstürze. So scheibt Barnes im berührenden abschließenden Teil ganz offen auch darüber, dass er nach dem plötzlichen Krebstod seiner Frau an Selbstmord dachte, diesen Gedanken aber wieder verwarf, weil mit ihm, dem "Haupterinnerer" seiner Frau, auch die Erinnerung an die Verstorbene erlöschen würde: Überleben als moralische Pflicht dem Toten gegenüber.
Verhältnis zum Tod
Es sind solche Momente in diesem niemals sentimentalen, immer lebensklugen Buch, die einen an ein anderes großes Memorial der Literatur denken lassen: an Joan Didions Buch über den Verlust ihres Ehemanns John Gregory Dunne, "Das Jahr magischen Denkens". Barnes hat 2008 bereits einen grandiosen Essay über sein Verhältnis zum Tod herausgebracht: "Nichts, was man fürchten müsste". Eine grausame Ironie der Geschichte wollte es, dass just in jenem Jahr seine langjährige Lebensgefährtin starb, der dieses Buch gewidmet ist: Pat Kavanagh.
"Lebensstufen" ist eine bewegende Liebeserklärung an sie, und, sieht man nur darauf, dass mit Sarah Bernhardt und Nadar zwei Franzosen breiten Raum einnehmen, ein weiteres Zeugnis von Julian Barnesʼ Frankophilie. Diesmal überquert der wunderbare Erzähler den Ärmelkanal mithilfe eines Ballons - und es ist, wie er selbst einmal schreibt: "Immer liegt eine Art lachende Leichtigkeit über dem Ganzen".

Julian Barnes: Lebensstufen
Aus dem Englischen von Gertraude Krueger
Kiepenheuer & Witsch. Köln 2015
142 Seiten. 16.99 Euro

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