Julia May Jonas: "Vladimir"

Skandal auf dem Campus

06:49 Minuten
Vladimir von Julia May Jonas
© Blessing

Julia May Jonas

Eva Bonné

VladimirBlessing, München 2022

352 Seiten

24,00 Euro

Von Manuela Reichart · 21.05.2022
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"Vladimir" ist die Geschichte einer obsessiven Leidenschaft. Die alternde Universitätsprofessorin verliebt sich in einen jüngeren Kollegen. Gegen ihren Ehemann wird derweil ein Verfahren wegen sexueller Beziehungen zu Studentinnen eingeleitet.
Auf dem Titelbild dieses Romans ist das Porträt eines besonders hübschen jungen Mannes abgedruckt. Er hat die Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet. Ein sinnlicher Moment. Das Foto weist schon den Weg in diese ungewöhnliche Geschichte.
Ungewöhnlich immer noch deswegen, weil hier eine alternde Frau Herz und Verstand an einen sehr viel jüngeren attraktiven Mann verliert, einen, der offensichtlich keine besonderen erotischen Absichten, der eine kleine Tochter hat und mit einer schönen klugen Frau verheiratet ist.
Ebenso wie die Endfünfzigerin unterrichtet der titelgebende Vladmir Literatur an einem kleinen College an der amerikanischen Ost-Küste, beide sind auch schon mit eigenen Büchern hervorgetreten.

Das Begehren trifft sie wie ein Schlag

Sie lebt in einer langjährigen Ehe mit dem gerade abgesetzten Institutsleiter. Ihm werden sexuelle Affären mit Studentinnen vorgeworfen, die zwar lange schon zurückliegen, aber durch eine Briefaktion Betroffener ins Zentrum von Ermittlungen gerückt sind.
Diese Ehe grundiert die Geschichte einer Frau, die die Zukunft hinter sich hat, die sich erinnert an den Beginn ihres gemeinsamen Lebens, an die Abmachung, die sie getroffen hatten: Keine spießige, keine gewöhnliche Ehe wollten sie führen.
Dass das am Ende – nachdem sie dem Sex und den Affären abgeschworen hatte – nur ihm außereheliche Beziehungen ohne schlechtes Gewissen ermöglichte, das hatte sie nicht gestört.
Sie wollte in Ruhe leben und denken und schreiben. Damit ist es nun vorbei. Das Begehren trifft sie wie ein Schlag und der Skandal um ihren Mann hat auch für sie schwerwiegende Folgen: Da sie sich nicht trennt, nicht von ihm distanziert, soll sie ihre Seminare ruhen lassen, damit sich Studentinnen nicht brüskiert fühlten.

Einfluss aktueller Debatten

Es gelingt der Autorin auf spannende Weise Themen ins Zentrum zu stellen, die heute die Debatten bestimmen. Sind die moralischen Richtlinien, die das Leben junger Leute vor allem an der Universität bestimmen, am Ende nicht sinnesfeindlich?
Wie können Dozenten und Dozentinnen, die Angst vor den Reaktionen ihren Studentinnen haben, gut unterrichten? Wie kann man Literatur lieben und verstehen, wenn man sie vor allem unter ideologischen Gesichtspunkten betrachtet?
Heteronormativität kommt hier als Stichwort ebenso vor wie Cancel Culture. Nie jedoch werden diese Themen plakativ abgehandelt. Und das ist eine große Leistung für einen Debütroman, in dem es um das Innenleben einer alternden Frau, um ihre sexuellen Wünsche und vergangenen Fehler geht.

Gibt es einen Neustart?

Die Heldin ist eine gebildete, selbstreflektierende Frau. Sie schaut auf den Körper des Begehrten, auf die wehleidigen Studentinnen, die verlogene neue Moral auf dem Campus, aber am Ende dann doch auch auf die Folgen, die der Sex mit dem Professor für die Studentinnen hatte.
Sie versteht, dass die jungen Frauen noch Jahre später unter dem Gefühl leiden, belogen und benutzt worden zu sein. Eine ungemein kluge und geschickte, nicht unbedingt sympathische Erzählerin ist das.
Das bittere, gut instrumentierte katastrophale Ende gehorcht dann allerdings doch den Gesetzen der Belletristik und alles fügt sich in eine seltsame Alterssanftmut.

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