Leonardo Padura: "Wie Staub im Wind"

Porträt einer ernüchterten Generation

05:46 Minuten
Das Cover zeigt einen Innenraum mit alten Marmorsäulen, durch die alten Fenster fällt grelles Licht. Darüber sind Buchtitel und Autorenname zu sehen.
© Unionsverlag

Leonardo Padura

aus dem Spanischen übersetzt von Peter Kultzen

Wie Staub im WindUnion, Zürich 2022

515 Seiten

26,00 Euro

Von Victoria Eglau · 06.04.2022
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"Wie Staub im Wind" erzählt die wechselvolle Geschichte einer Gruppe junger Kubaner, die sich Ende der 70er-Jahre an der Uni kennenlernen. Ihr anfänglicher Idealismus weicht der Ernüchterung über die Lage der Insel. Die meisten wandern aus.
Adela Fitzberg ist eine junge New Yorkerin, die in Florida studiert und dort eine Liebesgeschichte mit einem Exilkubaner beginnt. Adelas Mutter, die einst selbst aus dem sozialistischen Karibikstaat floh, ist sowohl die Beziehung der Tochter als auch deren großes Interesse für Kuba ein Dorn im Auge.
Warum, das erschließt sich erst sehr viel später: Als die in Havanna lebende Mutter des Freundes, Marco, ein Facebook-Konto eröffnet und ein mehrere Jahrzehnte altes Foto einer Gruppe von Freunden postet, macht Adela eine Entdeckung, die sie – fast 500 Roman-Seiten später – zum dunklen Geheimnis ihrer Mutter führt. 

Risse in der verschworenen Gemeinschaft

Wie Staub im Wind erzählt die wechselvolle Geschichte der Mitglieder des Clans – so nennt sich die fiktive Gruppe: Ein Dutzend Kubaner und Kubanerinnen, die sich Ende der 1970er-Jahre als Studenten kennenlernen, zu Freunden und Liebenden werden und zusammen unzählige ausgelassene Feste feiern.
Bis eines Tages Risse in der verschworenen Gemeinschaft entstehen: Streit, Verrat und schließlich unerklärliche Tragödien. Walter stirbt nach einem Sturz von einer Hochhausterrasse und die schwangere Elisa verschwindet von einem Tag auf den anderen. Zudem glaubt die Gruppe, dass sie ausspioniert wird.

Leben verwandelt sich in Überlebenskampf

In den folgenden Jahren verlassen die meisten der Freunde die Insel. Die Gruppe zerstreut sich – like dust in the wind – in alle Himmelsrichtungen: nach Barcelona, Puerto Rico und Buenos Aires. Und das Leben jener, die bleiben, verwandelt sich in einen täglichen Überlebenskampf, denn es fehlt an allem: Essen, Strom und öffentlichen Transportmitteln.  

Das Schicksal des Clans ist eng verbunden mit dem einer Generation von Kubanerinnen und Kubanern, der Leonardo Padura mit seinem Roman wohl ein literarisches Denkmal setzen wollte: Menschen, die – wie der Schriftsteller selbst – in den 1950er-Jahren geboren wurden, sich mit den Idealen der sozialistischen Revolution identifizierten und im jungen kubanischen Staat eine akademische Ausbildung erhielten.

Roman voller Perspektivwechsel

Bei vielen jedoch wich der Idealismus später der Ernüchterung über staatliche Gängelung, fehlende persönliche Entfaltungsmöglichkeiten und die schwere Versorgungskrise der 90er-Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. 

"Wie Staub im Wind" ist ein Roman über die kubanische Diaspora und ihr Spannungsverhältnis zu den in der Heimat Verbliebenen, aber es ist kein Buch über ideologische Differenzen. Padura interessieren Beziehungen, in denen sich Abgründe auftun, die viel mit den Abgründen des eigenen Landes zu tun haben.
Glaubhaft und facettenreich schreibt er über ein Exil, das er selbst nicht erlebt hat: Der Autor lebt bis heute auf Kuba. In einem Roman voller Perspektivwechsel und Zeitsprünge bleibt er nah bei seinen Figuren mit ihren ganz unterschiedlichen Lebenswegen.
Die Clan-Mitglieder sind auch nach Jahrzehnten noch besessen davon, Licht in das Dunkel ihrer Geheimnisse zu bringen. Auch wenn "Wie Staub im Wind" kein Krimi ist, gelingt es dem Autor der bekannten "Mario Conde"-Reihe, den Spannungsbogen – trotz einiger Längen – bis zum Romanende zu halten.
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