Extremismusforschung

Wo die Radikalisierung beginnt

08:38 Minuten
Demonstranten vor dem US-Capitol. Eine Frau hat sich als Freiheitsstatue verkleidet und trägt ein T-Shirt der rechtsextremen  QAnon-Bewegung.
Die Demokratiefeinde ähneln sich, ob nun hier vor dem US-Capitol 2021 oder bei Protesten in Deutschland, Großbritannien oder Australien, sagt Extremismusforscherin Julia Ebner. © picture alliance / AP / Ted S. Warren
Julia Ebner im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
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Die Gefahr der Demokratiefeinde ist in der Corona-Pandemie gewachsen und ein internationaler Trend, sagt Extremismusforscherin Julia Ebner. Um das Phänomen zu beschreiben, werden auch neue Begriffe gebraucht, wie beispielsweise "Delegitimierung".
Mit der "Bedrohung der Inneren Sicherheit Deutschlands – von Delegitimierung bis Desinformation" befasst sich am heutigen Donnerstag ein Symposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Sorge bereite den Experten dabei unter anderem, dass sich Demokratie- und Systemgegner in der Corona-Pandemie verstärkt hätten und politisch nicht mehr so leicht zuzuordnen seien, sagt die Extremismusforscherin Julia Ebner, die daran teilnimmt.

Wo hört legitime Kritik auf?

Eine wichtige Frage sei, wo die Grenze zwischen legitimer Kritik und Extremismus zu ziehen sei, sagt Ebner. Dabei gehe es darum, eine Balance zu finden und die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht einzuschränken. Andererseits sei nicht zu übersehen, dass sich eine radikale Rhetorik immer mehr gegen die Demokratie richte.
Sie werde aggressive und gewaltbereiter. Die Extremismusforscherin beobachtet ein Misstrauen gegen demokratische Institutionen, Medien und Wissenschaftler, das langfristig die Demokratie schwächt.

Neue Begriffe nötig

Nach Einschätzung von Ebner ist unser Extremismusbegriff relativ altmodisch und benötigt eine neue Definition. Das erkläre auch, warum der Verfassungsschutz den Begriff "Delegitimierung des Staates" gebrauche.
Anhänger von extremistischen Netzwerken orientierten sich nicht mehr an einer zentralen Ideologie, sondern stellten ihre eigenen ideologischen Elemente selbst zusammen.
"So als würden sie ihre eigene Galerie zusammenstellen aus extremistischen Ideen und Verschwörungsmythen", sagt die Expertin. Das hänge auch damit zusammen, dass man sich beispielsweise in verschiedenen Telegram-Gruppen Informationen zusammensuchen könne.

Sprache und Gewaltbereitschaft

Es sei sehr schwer, zu ermitteln, wo für die Sicherheitsbehörden eine relevante Gefahr und Handlungsbedarf bestehe, so Ebner. Deshalb müsse die Sprache analysiert werden, linguistische Auffälligkeiten und Narrative, die als Muster beispielsweise in Terrormanifesten oder bei gewaltbereiten Gruppen auftauchen.
Radikalisierung sei immer mit einer Identitätskrise, Frustrationen oder Ängsten verbunden, sagt die Wissenschaftlerin. Das habe gesellschaftlich in der Pandemie zugenommen.
"Ein weiteres Muster besteht in den schwarz-weiß-Narrativen, ein Denken in Eigengruppe versus Fremdgruppe." Damit gehe eine Entmenschlichung und Dämonisierung einher. Auch ein "alternatives Mediensystem" sei ein weiterer Faktor.

Internationaler Trend

"Es gibt sehr viele Verflechtungen und Überlappungen", so die Extremismusforscherin. Das gelte einmal für die "Reichsbürgerszene" und extremistische Milieus, aber auch für Verschwörungstheoretiker und andere Subkulturen.
"Es ist auch ein internationaler Trend", betont Ebner. Die Slogans und Poster, die auf den Anti-Corona-Protesten zu sehen waren, seien die gleichen wie beim Sturm auf das Capitol in Washington 2021 oder bei Protesten in Australien oder Großbritannien.

(gem)

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