Juli Zeh als Verfassungsrichterin in Brandenburg

Dankbar für den Rechtsstaat

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Das Foto zeigt die Schriftstellerin Juli Zeh bei ihrer Vereidigung als brandenburgische Verfassungsrichterin.
"Doch, es ist gut": Juli Zeh bei ihrer Vereidigung als brandenburgische Verfassungsrichterin. © picture alliance / Bernd Settnik / dpa-Zentralbild
Von Christoph Richter · 29.01.2020
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Juli Zeh hat nicht nur als Schriftstellerin Erfolg, sie engagiert sich auch politisch. Seit einem Jahr ist die promovierte Juristin zudem Brandenburger Verfassungsrichterin – und sieht ihre Aufgabe darin, den Rechtsstaat zu verteidigen.
"Das ist tatsächlich in der Fantasie schon die Erfüllung eines Traums, in der Realität ist es das erst recht. Es macht nicht nur Spaß, sondern es erfüllt mich geradezu."
Dick eingemummelt mit einem warmen Hoodie und dicker Mütze sitzt Juli Zeh auf einer Ufer-Bank des idyllisch gelegenen Groß Behnitzer Sees, in der Nähe von Nauen im Havelland. Dort, wo sich einst das historische Herrenhaus von Lokomotiven-Bauer Borsig befand und in dessen Umgebung die Familie schon im 19. Jahrhundert Öko-Landwirtschaft betrieb.
Um die Füße streunt nervös und aufgeregt ihr kleiner Hund. Ein wuseliger Mischling, der den Reporter immer wieder keck anspringt. Zuhause hopst er auch schon mal über die roten Aktenbündel des Verfassungsgerichts, die in der Wohnung sich überall in kleinen Stapeln auftürmen, erzählt Juli Zeh.

In der Küche liegen Akten

"Was tatsächlich rumliegt – auch in der Küche und im Wohnzimmer – sehr zum Ärger meines Mannes, sind die Akten. Weil ich gerne zwischendurch Akten lese. Ja, ich lese gerne Akten. Ich finde Akten toll. Andere finden das ja ganz schlimm, wenn sie die schon sehen. Mich fixt das richtig an."
Juli Zeh – deren Bücher bereits jetzt schon in viele Sprachen übersetzt wurden – versteht sich nicht als abgehobene, wildträumende, gar weltfremde Künstlerin. Sie sei kein Jonathan Meese – sondern ein explizit politisch denkender Mensch, unterstreicht die Erfolgsautorin. Die Arbeit als Verfassungsrichterin sei für sie "eine Art Erdung, eine Möglichkeit, einbezogen zu sein."
Sie mische sich eben gern in gesellschaftliche Debatten ein, sagt Juli Zeh noch. Mit einem überzeugenden Lächeln.
"Von daher ist so eine Richter-Stelle eben einfach eine Einbindung in das gesellschaftliche Leben. Ich finde es aber auch andersrum wichtig, dass Menschen, die einen künstlerischen Blick auf die Welt haben, sich auch an gesellschaftlichen Anliegen aktiv beteiligen. Weil es eine wichtige Stimme, eine wichtige Kraft ist, die da mitspielen sollte."
Vor einem Jahr wurde das SPD-Mitglied Juli Zeh mit einer großen Mehrheit im Brandenburger Landtag auf Vorschlag der Sozialdemokraten in das Ehrenamt gewählt. Jetzt wache sie darüber, dass die Landesverfassung eingehalten werde.
"Viele Beschwerdeführer glauben, wir agieren wie ein weiteres Gericht. Aber das stimmt nur halb. Wir überprüfen nur Urteile, ob sie verfassungskonform sind. Es muss sogenannte Willkür vorliegen. Der Richter muss völlig sachfremd, nicht nachvollziehbar entschieden haben, dann könnten wir ein Urteil aufheben. Oder er muss ganz essentielle Prozessrechte verletzt haben, das wäre ein Verfassungsverstoß."

Auch Andreas Dresen sitzt im Verfassungsgericht

Bestseller-Autorin Juli Zeh ist eine von acht weiteren Brandenburger Verfassungsrichtern, darunter ist auch der renommierte Filmemacher Andreas Dresen, bekannt für seine Filme "Halbe Treppe" oder "Gundermann". Möglich ist das in Brandenburg, weil – anders als beim Bundesverfassungsgericht – drei Richter ohne jede juristische Vorbildung ins Gremium gewählt werden können.
Anders liegt der Fall bei Juli Zeh, sie ist kein juristischer Laie. Unter Richtern ist sie unter ihresgleichen. Denn sie hat nicht nur zwei Staatsexamen, sondern auch einen internationalen Master-Abschluss. 2010 promovierte sie mit summa cum laude, also mit Bestnote.
Die 45-Jährige ist aber nicht die typische Eppendorfer Perlenketten- und Barbourjacke tragende Juristin. Sondern eine bodenständige Frau, die mit DocMartens und im Land-Rover unterwegs und im Ländlichen fest verwurzelt ist. Eben ein bisschen Nirvana-Grunge.
An knapp vierzig Entscheidungen war Juli Zeh bislang beteiligt. Die Bandbreite ist groß: Es geht um Bußgeldsachen, Sorgerechtsangelegenheiten, Klagen von Parteien, weil sie zur Wahl nicht zugelassen wurden, bis hin zur Beschwerde eines Mörders, dem keine Psychotherapie genehmigt wurde, obwohl es im Vollzugsplan vorgesehen war.
"Ich kann jetzt nicht ins Konkrete gehen, weil ich das nicht erzählen darf. Aber: Die Sachen, die mich am meisten anfassen, sind Familienangelegenheiten. Weil da häufig Kinder im Spiel sind, die wirklich Opfer sind. Da ist es besonders schwierig."

Die einfache Mehrheit reicht aus

Bei komplizierten Fällen passiere es auch schon mal, dass man sich die Prozessbeteiligten nochmal einbestellt. Da müsse man sich dann allerdings auch eine Robe anziehen, erzählt Juli Zeh. Am Liebsten ist es ihr letztlich, wenn alle neun Richter mit einer Stimme entscheiden.
"Weil es für uns als Gremium ein schönes Gefühl ist, wenn man nicht im totalen Dissens die Entscheidung trifft. Und weil es auch nach außen zeigt, dass wir uns sicher sind."
Am Ende reicht aber eine einfache Mehrheit aus.
Natürlich bietet die Arbeit als Verfassungsrichterin Juli Zeh viel Stoff für die Schriftstellerei. Klar, sagt die gebürtige Rheinländerin. Doch sie dürfe davon natürlich nichts in ihren Texten verwenden. Vielleicht später einmal werde ein Text im Gericht spielen. Aber die Betroffenen könnten sich sicher sein, niemals zur literarischen Vorlage zu werden. Schiebt sie noch schnell hinterher, während sie sich in der Brandenburger Kälte eine Zigarette dreht.
"Ich hab eigentlich die meisten Dinge, mit denen ich mich intensiv befasst habe in den letzten Jahren, auch irgendwann in die Literatur einfließen lassen."

Mehr als nur ein Job

Die Arbeit als Verfassungsrichterin ist für Juli Zeh mehr als nur ein Job. Sondern sei gewissermaßen auch politische Weiterbildungs-Arbeit. Das sagt die Erfolgs-Autorin insbesondere in Richtung derjenigen, die aus der rechten Ecke laut pöbeln und behaupten, der Rechtsstaat wäre im Niedergang. Gerade denen wolle sie zeigen, ergänzt die vielfach prämierte Autorin noch, wie gut der Rechtsstaat funktioniere.
"Dass ich tatsächlich glaube, dass wir in Deutschland sehr froh und dankbar sein können für das, was hier gewachsen ist. Auch im internationalen Vergleich. Umso wichtiger ist es, das auch zu schützen, zu verteidigen. Und vor allen Dingen, immer wieder dazu zu stehen. Und immer wieder zu sagen: Doch, es ist gut. Es funktioniert gut. Immer wieder standzuhalten, immer wieder sich dahinter zu stellen."
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