„Judensau“-Reliefs

Streit um steingewordenen Antisemitismus

08:17 Minuten
Steinernes Relief einer Sau mit menschlichem Gesicht, an deren Zitzen Männer trinken.
Seit Jahren umstritten: Am gotischen Dom in Regensburg hängt ein sogenanntes „Judensau“-Relief. © Deutschlandradio / Igal Avidan
Von Igal Avidan · 13.11.2022
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An der Stadtkirche in Wittenberg und am Dom von Regensburg zeigen Reliefs eine „Judensau“. Solche Schmähbilder beschäftigen Gerichte, jüdische Gemeinden und Kirchengemeinden. Wie soll man mit diesen historischen Zeugnissen von Antisemitismus umgehen?
An der Südseite des Regensburger Doms stehen einige Touristen unter einem Relief, das hier 1275 angebracht wurde und seit Jahresbeginn wieder in den Lokalmedien diskutiert wird. Der Leiter des Besucherzentrums am Regensburger Dom, Hagen Horoba, erläutert die "Schandskulptur", in diesem Fall eine "Judensau":
„Wir sehen ein Schwein, an dessen Zitzen zwei Juden saugen oder sich zu schaffen machen. Einen dritten Juden sieht man noch, der den Kopf oder das Ohr dieser Sau in Händen hält oder etwas rein flüstert“.

Die gutgemeinte Erklärtafel ist falsch

Unter diesem Relief hängt seit 2005 eine kleine Tafel mit folgendem Text: "Oben an diesem Pfeiler, der zum mittelalterlichen Judenghetto wies, befindet sich die Spottfigur der sogenannten ‚Judensau‘. (...) Diese Skulptur als steinernes Zeugnis einer vergangenen Epoche muss im Zusammenhang mit ihrer Zeit gesehen werden."
„Falsch“, sagt Sylvia Seifert, Expertin für die jüdische Geschichte von Regensburg: „Nein, es ist kein Ghetto. Das erste Ghetto in Europa gab es 1516 in Venedig. Im Mittelalter gab es keine Ghettos. Das war ein jüdisches Viertel. Der Unterschied zwischen einem Ghetto und einem Viertel ist – grob gesprochen – erst mal, wer die Schlüsselgewalt hatte. Solang die Schlüsselgewalt bei den jüdischen Gemeinden war, war das ein jüdisches Viertel“. Wo die 500 Juden abgeschieden, aber eben doch neben den 20.000 Christen, lebten – auch mit der „Judensau“-Skulptur an der Kathedrale.

Sündenböcke für den Niedergang der Stadt

Im Gegensatz zu den Juden in Augsburg, Nürnberg oder Frankfurt wurden die Regensburger Juden nach dem Ausbruch der Pest im Jahr 1357 nicht vertrieben. Erst 160 Jahre später führten politische und wirtschaftliche Gründe zu ihrer Vertreibung, sagt Seifert:
„Der Kaiser Maximilian I. ist im Jahr 1519 verstorben, und im Mittelalter - auch noch im 16. Jahrhundert - war es üblich, dass der Kaiser gewählt wurde. Das machten die sieben Kurfürsten, und zu einer Zeit, als es kein Telefon gab, dauerte es natürlich bis ein neuer Kaiser gewählt wird. Und diese Zeit nutzte natürlich der Rat der Stadt und der Bürgermeister aus, weil der wirtschaftliche Niedergang der Stadt so arg war, dass es zu Unmut gekommen ist in der christlichen Bevölkerung und man die Juden für den wirtschaftlichen Niedergang der Stadt verantwortlich machte – was falsch war“.
Eine blonde Frau zeigt auf einen an der Wand aufgehängten Holzschnitt.
Erinnerung gegenwärtig halten: Ilse Danziger, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde von Regensburg, versteht das Schmährelief an der Kirche als Mahnmal.© Deutschlandradio / Igal Avidan
Nicht nur sachliche Fehler haben dazu geführt, dass die Tafel unter der Schmähskulptur nach 17 Jahren ersetzt wird. "Mir war es schon ein Anliegen, dass eine andere Tafel an den Dom kommt, die klar und deutlich zu sehen ist, und auch ein anderer Text", erklärt Ilse Danziger, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Regensburg. Der Text auf dem bestehenden Hinweisschild, wirke aus heutiger Sicht verharmlosend.
"Damals, als es angebracht wurde, gab es vielleicht ein bisschen eine heile Welt, heute ist es nicht mehr ganz so", , sagt Danziger. "Der Antisemitismus ist wieder ziemlich im Aufflammen, und ich denke, heute sollte der Text ein Mahnmal werden.“

Klartext auf einem neuen Schild

Der neue Text entstand an einem Runden Tisch, an dem die Diözese, die Regensburger Jüdische Gemeinde, der Staat Bayern als Eigentümer des Doms sowie die Denkmalschutzbehörde teilnahmen. Initiiert hat ihn der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle. Dompropst Franz Frühmorgen vertrat dort das Domkapitel, also das katholische Leitungsgremium der Kathedrale.
„Bislang war der Text nur in deutscher Sprache, und wir haben so viele Touristen und Besucher in Regensburg, die der deutschen Sprache nicht unbedingt mächtig sind, deshalb wollten wir den Text auch auf Englisch abdrucken", erklärt Frühmorgen, "und das war dann auch der Anstoß, den Text nochmal zu bearbeiten, nochmals zu präzisieren und für die heutige Zeit verständlich zu machen.“
Zwei Männer mittleren Alters stehen vor dem Schild, das am Regensburger Dom den historischen Kontext zum "Judensau"-Relief liefert.
Plädoyer für eine klare Botschaft: Dompropst Franz Frühmorgen (links) und Hagen Horoba vom Besucherzentrum vor dem alten Hinweisschild am Regensburger Dom© Deutschlandradio / Igal Avidan
Außerdem ist die Tafel mit Brailleschrift für sehbehinderte Menschen versehen. Dank eines QR-Codes kann man den Text auch anhören, der mit folgenden Worten endet: "Mit dieser menschenverachtenden Propaganda wurden Jüdinnen und Juden zu Feinden des Christentums erklärt. So wurde über Jahrhunderte Hass gegen sie geschürt. Ausgrenzung, Verfolgung bis hin zu Mord waren die Folge."
Auch wenn der neue Text klarer ist, hält der jüdische Aktivist Michael Düllmann von einer solchen Erklärtafel gar nichts. Seit fünf Jahren kämpft er vor Gericht dafür, die "Judensau" an der Stadtkirche in Wittenberg zu entfernen.

Sollen die Schmähreliefs verschwinden?

„Die 'Judensau' ist eine obszöne Lüge, weil sie die Juden quasi als Nichtmenschen, als Teufelskinder, als Satanskinder darstellt, in obszönster Weise mit Sodomie, mit Analverkehr, mit Schweinen in Verbindung bringt", so Düllmann. "Das ist von der Skulptur her nicht erkennbar, dass es sich um einen Rabbiner handelt. Zum Rabbiner hat Luther diese erwachsene Figur hinter der Sau gemacht.“
In seiner antijudaistischen Schmähschrift „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi“ dämonisierte Martin Luther 1543 das rabbinische Judentum. Im Zuge der Versetzung der "Judensau" auf die Südseite des Chors wurde 1570 der lateinische Spruch: "Rabini Schem Hamphoras", gefolgt von der jüdischen Gottesbezeichnung über der Skulptur angebracht.

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„Ich bin für die Abnahme der Judensau, ihre Überstellung in ein Museum, am besten ins Lutherhaus", fordert Düllmann deshalb. "Da wird auch die Kanzel, von der Luther Antisemitismus predigte, aufbewahrt und dort sind auch Luthers original antisemitische Schriften. Da passt die Judensau genau hin. Solange die Judensau an der Kirche ist, ist sie Teil kirchlicher Verkündigung.“

Mahnmal für die Folgen des Judenhasses

Das gilt nach Düllmanns Einschätzung für jede Kirche, auch für den Regensburger Dom. Danziger kann er nicht überzeugen, dass es besser wäre, die Skulptur zu entfernen. „Da bin ich komplett dagegen" sagt die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Regensburg. "Wenn ich etwas wegtue, dann ist es weg und gerät in Vergessenheit und ist nur für einen bestimmten Kreis zugänglich“.
Danziger führt durch das jüdische Gemeindezentrum, das selbst eine Art Mahnmal für die Folgen des Judenhasses seit dem Mittelalter ist. Zur Vertreibung der Juden aus Regensburg trug auch die „Judensau“ bei.
„Das ist unsere Synagoge, auf die wir sehr stolz sind“, sagt Danziger. Und die sei vor gar nicht allzu langer Zeit, erst eingeweiht worden: „Im Februar 2019, genau 500 Jahre nach der Zerstörung der Synagoge auf der Neupfarrplatz", erklärt sie. "Das zeigt, dass wir immer noch da sind - und da bleiben wollen.“
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