BGH-Urteil zur "Judensau"

Antisemitische Darstellung darf bleiben

07:55 Minuten
Antisemitisches Relief, die sogenannte "Judensau"-Skulptur an der evangelischen Stadtkirche in Wittenberg.
Das antisemitische Relief, die sogenannte "Judensau"-Skulptur, kann weiterhin an der Stadtkirche in Wittenberg bleiben. © imago images / Winfried Rothermel
Ulrich Khuon im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
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Die antisemitische Darstellung an der Wittenberger Stadtkirche muss nicht entfernt werden, hat der Bundesgerichtshof entschieden. Der Intendant des Deutschen Theaters Ulrich Khuon begrüßt das Urteil, der Historiker Michael Wolffsohn findet es akzeptabel.
Zwei jüdische Männer trinken aus den Zitzen eines Schweins, ein Rabbiner schaut dem Tier auf den Hintern: Das als "Judensau" bekannte Sandsteinrelief von 1290 hängt in etwa vier Metern Höhe an der Wittenberger Stadtkirche – und ist eindeutig antisemitisch. Aber muss es deswegen entfernt werden?
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat nun entschieden: Nein. Die Kirche habe sich durch einen Aufsteller und einen Erklärtext an der Plastik erfolgreich von dem Inhalt distanziert. Der Kläger – ein Mitglied der jüdischen Gemeinde – könne die Entfernung nicht verlangen, weil es an einer "gegenwärtigen Rechtsverletzung" fehle.

"Kunst zeigt Abgründiges"

Juristen würden immer "sehr formal und spitzfindig formulieren", sagt der Intendant des Deutschen Theaters, Ulrich Khuon. Die Darstellung sei zwar vor langer Zeit erbaut worden, aber die Rechtsverletzung wirke "ja fort, könnte man auch sagen". Insofern sei die Begründung des Gerichts nicht sehr plausibel.

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Trotzdem plädiert auch Khuon dafür, die historische Darstellung weiter an der Kirche zu belassen: "Wenn man jetzt alle Kunstwerke reinigen müsste von dem, wo Minderheiten verletzt werden, das fände ich ein Problem." Schließlich gebe es in der Kunst unglaublich viele Verletzungen. "Da wird immer wieder Abgründiges, auch Hasserfülltes dargestellt", so Khuon. Doch aus dieser "Geschichte der Demütigungen" lasse sich lernen. Nicht im Sinne der Nachahmung, sondern im Sinne der Irrwege.
"Ich finde, dass wir dem Historischen seinen Raum lassen müssen", sagt Khuon. "Ich muss mich ja nicht mit allem identifizieren, was historisch passiert ist. In der Malerei gibt es massenweise Beispiele, wo man sich dauernd zensieren müsste."

Darstellung belastet heutzutage nicht mehr

Auch für den deutsch-jüdischen Historiker Michael Wolffsohn geht das Urteil in Ordnung . Es könne keine Rede mehr davon sein, dass diese "wirklich säuische Judensau", das Verhältnis zwischen Christen und Juden heutzutage noch belaste.
Zudem habe sich auch keine repräsentative jüdische Organisation mehr gegen das Relief gewandt, seit durch eine Erklärung am Boden unmittelbar unterhalb davon erläutert werde, warum es einst aufgestellt wurde. Dies sei von den jüdischen Spitzenverbänden "sehr taktvoll, inhaltsschwer und richtig beschlossen worden", so Wolffsohn.

Triggerwarnungen am Theater

Einen besonders wichtigen Stellenwert räumt Intendant Khuon der Kommentierung, Einordnung, Historisierung und Begleitung ein. Auch am Deutschen Theater wird mittels Triggerwarnungen auf kritische Inhalte verwiesen. "Wir überschwemmen jetzt nicht die BesucherInnen mit Warnungen, weil man sagen muss: Alle Theaterstücke thematisieren Mord und Totschlag."
Doch beispielsweise bei dem Theaterstück "Woyzeck" von Georg Büchner verweist das Deutsche Theater zu Beginn seiner Inszenierung auf den Femizid am Ende des Stückes. "Ich gehe auch diesen Weg mit, weil ich denke: Man muss auf diese Sensibilisierung reagieren" sagt Khuon, "obwohl ich – ehrlich gesagt – vor zehn Jahren auch nicht darauf gekommen wäre, dass ich das warnend vorwegsagen muss. Aber die Gesellschaft lernt als Ganzes, und wir als Einzelne auch."

Von Einzelfall zu Einzelfall entscheiden

Ob zukünftige Generationen unsere Maßstäbe inklusive Triggerwarnungen und Hinweistafeln befürworten werden, da ist sich Khuon allerdings auch nicht ganz sicher. "Vielleicht schauen die auf uns als Jahrzehnte des Puritanismus, der absoluten Durchdisziplinierung. Das wird man sehen."
Deswegen sei es umso wichtiger, immer im Einzelfall zu entscheiden – "und dem Pauschalen so eher zu entgehen".
(lkn/mle)
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