Aus den Medien zur PR
Weil es im Journalismus an Aufstiegschancen mangelt, wechseln viele irgendwann in PR-Rollen © IMAGO / Panthermedia / nialowwa via imago-images.de
Wenn Journalisten die Seiten wechseln
10:21 Minuten
Eine PR-Position scheint für viele Journalisten mittlerweile eine attraktive Karriereoption zu sein. Diese Situation hängt auch mit mangelnden Perspektiven zusammen, beklagt der Medienexperte René Martens.
In den letzten Wochen haben zwei Medienmeldungen für Aufmerksamkeit gesorgt. Erst kam der Wechsel von ARD-Korrespondent Michael Stempfle als Sprecher ins Verteidigungsministerium – wenige Tage nach einem lobenden Kommentar über seinen neuen Chef Boris Pistorius. Und dann kam die Enthüllung, dass Bundeskanzler Olaf Scholz sich für ein großes Interview auf der Digitalkonferenz Republica im Sommer letzten Jahres selber die Moderatorin aussuchen durfte. Die Wahl fiel auf die Ex-Tagesschau-Sprecherin Linda Zervakis. Niemand der Beteiligten machte diese Verbindung transparent.
Für den Medienjournalisten René Martens ist das durchaus kritikwürdig, gerade vonseiten der Konferenz, die sich implizit auch mit dem Funktionieren von Medien beschäftigt. Dort hätte man eigentlich wissen sollen, dass dieser Vorgang früher oder später öffentlich werden würde. Er glaubt jedoch auch, dass eine Offenlegung dazu geführt hätte, dass das Interview nicht funktioniert. Er findet, dass die Republica das Interview unter diesen Voraussetzungen eigentlich hätte absagen sollen.
Den Fall Michael Stempfle sieht Martens hingegen weniger kritisch, weil der Wechsel vom Journalismus in PR-Positionen mittlerweile ein normaler Vorgang sei. Viel problematischer sei der Weg zurück, wenn die Personen also wieder zurück in die Medien gehen. Für den Medienjournalisten offenbart sich hier jedoch auch ein strukturelles Problem im Journalismus:
“Verlage müssen sparen oder tun so, als ob sie sparen müssen. Das führt dazu, dass die Aufstiegschancen und Perspektiven schlechter werden. Gleichzeitig haben in den letzten Jahren staatliche Institutionen oder auch Wirtschaftsunternehmen aufgestockt, was Pressearbeit angeht, weil sie stärker als Akteure agieren wollen und sich nicht mehr nur als Objekte der Berichterstattung verstehen.”
Es mangelt an Perspektiven
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei es zudem üblich, zwischen Sprecher- und Journalistenrollen zu wechseln. So war zum Beispiel die Chefredakteurin des MDR vorher Unternehmenssprecherin und im NDR ist die ehemalige “ZAPP”-Chefin Annette Leiterer mittlerweile Sprecherin des Norddeutschen Rundfunks. Das habe auch oft mit mangelnden Perspektiven zu tun, sagt Martens:
“Das sagt natürlich auch was aus über Medienjournalismus in den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Wo soll man denn, wenn man eine Leitungsfunktion bei 'ZAPP' hat, noch aufsteigen? Es gibt so wenig Möglichkeiten, in Medien journalistisch zu agieren über einen längeren Zeitraum. Es gibt da keine Karriereschrittsoption – oder wenige jedenfalls.”
Wo die genauen Grenzen liegen, müssten Journalisten aber letztlich selbst entscheiden, meint der Medienexperte. Wenn sich beispielsweise die Moderatorin Shary Reeves vorstellen kann, den Podcast von Friedrich Merz zu moderieren, dann sei das eben so. Schließlich müsse man ohnehin immer darauf achten, von welchen Auftraggebern man Aufgaben annehme und bereit ist, mit seinem Namen dahinterstehen. Gleichzeitig sollte man aber bei politischen Institutionen scharfe Kriterien anlegen.
Sollten dann trotzdem Grenzen überschritten werden, sollte die Berichterstattung dazu möglichst differenziert sein. Es sei wichtig, auf den Einzelfall zu blicken und nicht zu Verallgemeinerungen zu neigen, was die gesamte Branche angeht. Auf der allgemeinen Ebene sollte man eher über die strukturellen Symptome, die zu solchen Wechseln führen, sprechen, so Martens.
(hte)