Joshua Wong: "Unfree Speech"

Aus dem Innern der Hongkonger Protestbewegung

06:31 Minuten
Porträt von Joshua Wong während einer Demonstration an Neujahr 2020.
In seinem neuen Buch "Unfree Speech" erzählt Joshua Wong von der Protestbewegung, deren Symbolfigur er wurde. © Picture Alliance / ZUMA Wire / Liau Chung-ren
Von Marko Martin · 21.03.2020
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In „Unfree Speech“ erzält der der 23-jährige Hongkonger Demokratie-Aktivist Joshua Wong von den Erfahrungen mit der Protestbewegung, deren Symbolfigur er wurde. Von seiner präzise argumentierenden Haltung könnten westliche Gesellschaften einiges lernen.
Der 23-jährige Hongkonger Demokratie-Aktivist Joshua Wong hat mit "Unfree Speech" ein Buch geschrieben, das den jungen Mann als einen ebenso empathischen wie präzis argumentierenden Demokraten zeigt. Von ihm könnten auch unsere westlichen Gesellschaften so einiges lernen.
Hurtig geschriebene Bücher, die sich einem aktuellen Thema widmen, haben häufig ein besonders baldiges Verfallsdatum – besonders dann, wenn sie von neuen Entwicklungen überrollt werden oder die Medienöffentlichkeit gerade mit anderen, womöglich ja drängenderen Problemen beschäftigt ist. Freilich gibt es zu jeder Regel auch eine Ausnahme und diese könnte das Buch des jungen Hongkonger Demokratie-Aktivisten Joshua Wong sein. "Unfree Speech" erzählt von den Erfahrungen aus einer Stadt, deren Protestbewegung solange im Fokus weltweiter Aufmerksamkeit stand, bis sich von einem Markt in der festlandchinesischen Stadt Wuhan ein Virus ausbreitete, das seitdem die Schlagzeilen dominiert und uns alle beschäftigt und bedroht.
Spätestens nach dem Ende der Pandemie aber werden das winzige, höchstens noch teilautonome Hongkong und deren millionenfach demokratische Mitbeteiligung fordernden Bürger erneut in den Fokus geraten. Denn wer außer ihnen wagt es, der mächtigen Volksrepublik China auf diese Weise die Stirn zu bieten?

2019 zur Symbolfigur geworden

Joshua Wongs Buch wird also wichtig bleiben, denn es bietet weit mehr als aktivistische Aufforderungs-Prosa und anekdotenselige Nabelschau. Der 1996 geborene Menschenrechtler ist Sohn christlicher Eltern, die im Sommer 1989 geheiratet hatten, doch aufgrund des Pekinger Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens auf jede Feierlichkeit verzichteten. Insofern ist Wong von Kindesbeinen an mit der Frage konfrontiert, ob sich zumindest in Hongkong Freiheitsrechte und Rechtsstaat verteidigen lassen. Was mit einem frühen Protest gegen schlechtes Kantinenessen begann und sich mit der Initiation einer erfolgreichen Schüler- und schließlich Massenbewegung 2012 gegen den Plan institutionalisierter schulischer Gehirnwäsche fortsetzte, brachte ihn 2017 schließlich für 68 Tage ins Gefängnis. Spätestens bei den im Sommer 2019 begonnenen Massenprotesten wurde er zu einer Symbolfigur.
Gerade deshalb überrascht positiv, mit welcher Ruhe und Gelassenheit der junge Mann von seinen Erfahrungen berichtet, empathische Kurzporträts seiner Mitstreiter zeichnet und die gewitzte Strategie und Logistik der Hongkonger Demonstranten beschreibt. Nicht die juvenile Idee einer wie auch immer gearteten "Weltrettung" steht im Mittelpunkt der Aktivitäten und Überlegungen, sondern der immer wieder unternommene Versuch, die Einhaltung jener Versprechen einzufordern, die Festlandchina 1997 nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft gegeben hatte, ergo auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, administrativer Transparenz und gesetzlichem Schutz vor Willkür zu bestehen.

Sachlich und mit einem Hauch feinster Ironie

Etwas Entscheidendes kommt hinzu: Joshua Wong ist nicht blind für die sozialen Verwerfungen, exorbitanten Mietpreise und Umweltprobleme in der Millionenstadt, aber er spielt – anders als das in der Volksrepublik oft geschieht und auch bei vielen Diktaturschönrednern im Westen Beifall findet – soziale und politische Rechte nicht gegeneinander aus. Er glaubt ganz und gar nicht, dass ein vermeintlich allwissender "großer Führer" die Probleme einer modernen Gesellschaft besser lösen könne als umfassend informierte Bürger, die die Möglichkeit haben, ihre Repräsentanten selbst zu wählen. Sachlich, nicht selten mit einem Anhauch feiner Ironie, insistiert Joshua Wong auf diese Selbstverständlichkeit und weist auf etwas hin, was im Westen allzu oft vergessen wird: Hongkongs aufbegehrende Bürger befinden sich an forderster Front gegenüber einer digitalisierten Diktatur, die auch anderen ihr allein auf Gehorsam rekurrierendes Menschenbild aufdrängen will.
Gerade deshalb besteht Wong auf dem Primat der Gewaltfreiheit, lässt sich nicht zu antichinesischen Ressentiments hinreißen und hat überdies einen genauen Blick dafür, welchen auswärtigen Politikern es tatsächlich ernst ist mit der Unterstützung der Hongkonger. Als er im September 2019 nach einer Rede in Washington von Nancy Pelosi, der demokratischen Sprecherin des Repräsentantenhauses, umarmt wird, ist Joshua Wong auch deshalb so bewegt, weil seine Eltern ihm schon als Kind von ihr erzählt hatten: "Diese furchtlose Kongressabgeordnete hatte 1991 auf dem Platz des Himmlischen Friedens mit einem Transparent protestiert, auf dem zu lesen stand `Gewidmet all jenen, die für die Demokratie in China sterben´.
Nach Lektüre dieses ebenso modesten wie präzisen Buchs bleibt zu hoffen, dass die Welt von diesem Joshua Wong und seinen unzähligen Mitstreitern auch weiterhin hören wird.

Joshua Wong: "Unfree Speech. Nur wenn alle ihre Stimme erheben, retten wir die Demokratie"
S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2020
208 Seiten, 16 Euro

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